Man weiß wenig über Oliver Burke, deshalb kann man nicht völlig ausschließen, dass der Schotte Texte von Emanuel Geibel liest. Der spielt nicht bei Union Berlin, seinem künftigen Verein, sondern lebte von 1815 bis 1884. Selbst wenn Burke ihn nicht kennt – eine Zeile des deutschen Lyrikers sollte sich der Stürmer merken: Es ist das Glück ein flüchtig Ding.

Grün auf Weiß ist die Werder-Kolumne des WESER-KURIER, in der Chefreporter Jean-Julien Beer einen Blick hinter die Kulissen des Bremer Traditionsvereins wirft, Zusammenhänge erklärt und Entwicklungen einordnet.
Allein schon Glück: Ein Wort, dass Oliver Burke im Laufe seiner Karriere selten begegnete. Seit der heute 28 Jahre alte Angreifer im Sommer 2016 für 15 (!) Millionen Euro von Nottingham zu RB Leipzig wechselte, kommt er auf zehn Vereine im Profifußball. Glücklich (und erfolgreich) wurde er nirgendwo. Alle paar Monate schoss er manchmal ein Tor, in Spaniens Liga war es ein einziges, ebenso in der englischen Premier League. Man dachte schon: Das wird nichts mehr. Bis er bei Werder plötzlich das Toreschießen begann – aber auch das erst im dritten Anlauf, denn nach den schwächeren ersten Jahren schickte ihn Werder auf Leihbasis weg.
Die Fans in Bremen mochten Burke früh, obwohl er selten traf. Eigentlich liebten ihn die Leute immer für dieses eine Tor, das ihm in der ersten Saison beim spektakulären 3:2-Sieg in Dortmund gelang. Irgendwann wurde er liebevoll-ulkig „Der Schotte mit dem Bart“ genannt, und die Zuschauer sprangen schon jubelnd auf, wenn Burke nur zu einer Einwechslung heranstürmte. Das gab es zuletzt bei Claudio Pizarro. Wobei man sagen muss: Diese beiden Stürmer trennen Welten. Pizarro würde nie so einen Bart tragen, und Burke würde nie so viele schöne Tore schießen. Und doch eroberten beide die Herzen der Bremer Fans.
In dieser Rückrunde wurde Burke Stammspieler, obwohl er im Winter nur Werders fünfter Angreifer war. Er verdrängte sogar Neuzugang André Silva auf die Ersatzbank. Burke schoss seit Januar vier Bundesligatore. Man sollte meinen: Er war als Fußballprofi zum ersten Mal glücklich. Endlich irgendwo angekommen und gemocht nach seiner Odyssee durch halb Fußball-Europa. In Bremen. Bei Werder.
Ist es zu romantisch gedacht, wenn man glaubt: Das macht was mit einem Fußballer? Der weiß das zu schätzen, der will jetzt mehr davon erleben und diese Zuneigung weiter mit den Menschen in Bremen teilen? Klar: Profifußball ist ein Geschäft, und am Ende eines Vertrages kann jeder gehen. Aber: Es war Burke selbst, der vor wenigen Wochen anders sprach. Da sagte er: Ich liebe den Verein. Ich genieße es, hier zu sein. Hoffentlich kann ich noch länger bleiben. Burke sagte auch, er wolle mit Werder künftig international spielen.
Dass Werder ihm zunächst weniger Gehalt bot, dafür aber höhere Leistungsprämien – das war logisch. Seine fünf Saisontore sind kein Anlass, ihn in Gold aufzuwiegen. Burke wollte mehr, gerade nach seinen jüngsten Treffern. Auch das: logisch. Aber als Werder ihm dann genau das anbot, was er sich zu Beginn der Gespräche vor vier Wochen erhofft hatte – spätestens da hätte die Geschichte zu einem Happy End führen müssen. Wenn es denn wirklich um wahre Gefühle und eine tiefe Dankbarkeit gegangen wäre, nachdem er in Bremen – übrigens völlig unverhofft – vor drei Jahren die Chance seines Lebens erhielt, noch einmal auf Erstliga-Niveau Fußball spielen zu können.
Er hätte in Bremen glücklich bleiben können
Aber als die Entscheidung für Berlin fiel, ging es nur ums Geld. Davon bekommt er bei Union, seiner x-ten Station, künftig mehr. Burke ist kein Romantiker, er ist ein Söldner. Er spielt für Geld, nicht für die Leute oder die Gefühle im Fußball. Das ist in seinem Job legitim. Aber es ist ein Stich ins Herz jener Werder-Fans, die etwas anderes in ihm sahen.
Ob sein Wechsel klug war, wird man erst später wissen. Verstehen muss man es nicht. Burke hatte nirgends so viel Rückendeckung vom Trainer und von den Fans wie bei Werder. Er hätte hier mit einem guten Vertrag glücklich bleiben können. Aber das war ihm, trotz der Zuneigung, nicht wichtig.