Mit dem Ehrenrat beim SV Werder ist das recht ähnlich wie mit den Zitronenfaltern: Man darf die Begrifflichkeit nicht zu wörtlich nehmen, sonst führt sie in die Irre. Denn tatsächlich ist Werders Ehrenrat kein Gremium, das dem Verein in der jüngeren Vergangenheit besondere Ehre einbrachte. Im Gegenteil. Und während die Werder-Profis in der Bundesliga für Furore sorgen und als Aufsteiger nur einen Punkt hinter Bayern und Dortmund stehen, ist im Verein das sorgenvolle Grummeln darüber zu vernehmen, ob auch weiter unten im Klub so professionell gearbeitet wird: Schließlich steht im November eine Mitgliederversammlung mit Präsidentschaftswahlen an, und diese Wahl dürfte wegen der angestrebten Satzungsänderung folgenreich werden.

Grün auf Weiß ist die Werder-Kolumne des WESER-KURIER, in der Chefreporter Jean-Julien Beer einen Blick hinter die Kulissen des Bundesligisten wirft, Zusammenhänge erklärt und die Entwicklungen im Verein einordnet.
Die Vereinspolitik ist zwar nicht so prickelnd wie Siege in der Bundesliga, aber bei genauer Betrachtung trotzdem sehr spannend. Denn es ist ja nicht so, dass ein Gremium wie der Ehrenrat nur über gelegentliche Vereinsausschlüsse berät und sonst die Servietten für seine Weihnachtsfeier aussucht. Die Herren und Damen haben großen Einfluss. Genau deshalb bemühten sich im vergangenen Jahr so viele kritische Geister, auf der Mitgliederversammlung in dieses Gremium gewählt zu werden. Dazu muss man wissen: Der Ehrenrat bildet bei Werder immer den Großteil des Wahlausschusses, und der entscheidet die ganz großen Sachen: Wer darf Präsident werden? Wer darf für den Aufsichtsrat kandidieren? Dieses Gremium ist der Steigbügelhalter zur Macht.
Beim letzten Mal ging das gehörig schief. Vor der mit Spannung erwarteten Mitgliederversammlung nach dem Abstieg sollte der damalige Wahlausschuss die Kandidaten für den Aufsichtsrat aussuchen, um nach der Ära Marco Bode wieder ein starkes Gremium zu bilden. Trotz klarer Hinweise war ein Kandidat wegen Kontakten zur rechten Szene gar nicht tragbar, eine Frau fehlte anfangs sogar völlig auf der Liste, was den SV Werder in ein komisches Licht rückte. Beides war schade für einen Verein, der seine gesellschaftliche Verantwortung betont. Ob ein Wahlausschuss derart isoliert agieren sollte, fragen sich inzwischen einige bei Werder. Andererseits: In solchen Gremien verstehen es viele als ihre Pflicht, die Satzung millimetergenau einzuhalten und sich mit niemandem informell auszutauschen. Das kann man so machen – dann müssen die Entscheidungen aber auch sitzen.
Dass nicht einmal Claudio Pizarro zum Ehrenmitglied ernannt werden durfte, wie es die Geschäftsführung beim Ehrenrat beantragt hatte, war ganz sicher nicht im Sinne der Werder-Anhänger. Und dass der amtierende Präsident Hubertus Hess-Grunewald zuletzt nicht einmal wusste, ob er bei der Mitgliederversammlung zur Wahl stehen darf, kann man keinem Außenstehenden vermitteln. Schon vor Monaten hatte er dem neu gebildeten Wahlausschuss Rede und Antwort gestanden. Obwohl man sich seit Jahren kennt, war das keine Sache von fünf Minuten. Da wurden viele Meinungen zur Zukunft des Vereins abgeklopft, wie schon vor seinen ersten beiden Amtszeiten als Präsident. Ob er erneut antreten darf, blieb danach offen.
Denn das Problem ist: Würde es weitere Kandidaten für das Amt geben, dürften die Werder-Mitglieder ihren Präsidenten keineswegs auswählen. Gegenkandidaten für das Präsidentenamt sind laut Satzung nämlich nicht vorgesehen. Im Endeffekt wählen also gar nicht die Mitglieder ihren Präsidenten, sondern der Wahlausschuss (und damit zu großen Teilen der Ehrenrat) stellt seinen Wunschkandidaten zur Wahl – und sonst niemanden. Deshalb musste auch Hess-Grunewald zuletzt abwarten.
Auf der Versammlung am 20. November soll die Satzung so verändert werden, dass der künftige Präsident nicht mehr Geschäftsführer ist, sondern einen Platz im Aufsichtsrat bekommt, dessen Vorsitz er übernehmen soll. Auch hier gibt es aber ein Tuschelthema bei Werder: Denn selbst wenn diese Satzungsänderung beschlossen wird, könnte der Präsident gar nicht automatisch Chef des Aufsichtsrates werden. Werders Profiabteilungen sind in eine Kapitalgesellschaft ausgegliedert, und das Aktienrecht schreibt vor, dass die Aufsichtsräte frei entscheiden können, wer den Vorsitz übernimmt. Der Hauptgesellschafter – hier der Sportverein Werder – kann höchstens seinen Anspruch darauf formulieren, und die Aufsichtsräte müssten dann spuren. Beim FC Bayern ging das gut, als die Präsidenten Uli Hoeneß und dann Herbert Hainer zum Chef des Aufsichtsrates gewählt wurden. Geht eine solche interne Wahl anders aus, gäbe es bei Werder dann großen Redebedarf. Nur gut, dass Füllkrug & Co. derzeit von solchen Themen ablenken …