Es waren Sätze, wie sie so (oder in ähnlicher, leicht abgewandelter Form), Saison für Saison von Fußballprofis formuliert werden. Wann immer der Baum brennt und es zu löschen gilt. Die Sätze gehen so: „Wir haben gesagt, dass es Phasen geben wird, in denen es nicht so läuft, und jetzt haben wir so eine Phase. Da müssen wir zusammenhalten.“ Gegenüber den Journalisten zu Protokoll gegeben hat das Marco Friedl, der Kapitän des SV Werder Bremen, und zwar am späten Freitagabend, unmittelbar nach der deutlichen 0:4-Niederlage gegen den FC Bayern München – was beim Blick auf den Zeitpunkt der Saison doch mindestens bemerkenswert war.
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„Schwierige Phasen“, in denen man „zusammenhalten muss“, das klingt doch eher nach Mitte November, nach Rückstand aufs rettende Ufer und handfester Krise. Aber eben nicht nach: erster Spieltag. Klar, Werder hat sich im DFB-Pokal (mal wieder) bis auf die Knochen blamiert und danach auch den Liga-Auftakt verloren (allerdings gegen die Bayern, wo Misserfolge seit 2008 traurige Tradition haben). Überbordende Euphorie wäre da also Fehl am Platz und entsprechend schwer nach außen zu vermitteln. Die große Dringlichkeit und Schwere im Tonfall, den neben Friedl auch andere Spieler und Offizielle zur Einordnung des Zwei-Spiele-zwei-Pleiten-Starts anschlugen, warf allerdings auch Fragen auf. Die zentrale: Wie kann es sein, dass die Stimmung im Team nach vier Wochen Vorbereitung und Einschwören auf die neue Saison – inklusive eines international beachteten Transfers (Keita!) – schon nach zwei verlorenen Pflichtspielen derart frostig ist? Nachgefragt bei einem, der es wissen muss: Clemens Fritz.
Anruf am Sonntagmittag, knapp 38 Stunden nach dem Abpfiff gegen die Bayern. „Wir haben das Spiel mittlerweile analysiert und die Fehler besprochen“, sagt Werders Leiter Profifußball im Gespräch mit unserer Deichstube und hält fest: „Am Ende sieht das Ergebnis zwar deutlich aus, aber eine Leistungssteigerung im Vergleich zum Pokalspiel war eben auch klar zu erkennen.“ Zudem dürfe nicht vergessen werden, „dass die Bayern nicht unser Gradmesser und Maßstab sind“. Sätze, die relativieren, die sich der Katerstimmung am Osterdeich entgegenstellen sollen. Und die deutlich versöhnlicher, ja zuversichtlicher klingen als das, was am Freitagabend in den Katakomben des Weserstadions zu vernehmen war.
Werder wirkt nicht wie aus einem Guss
„Erstmal ist es doch positiv zu bewerten, wenn die Mannschaft selbstkritisch mit sich umgeht“, sagt Fritz, der die „Wir-müssen-zusammenhalten-Forderung“ von Kapitän Friedl natürlich auch zur Kenntnis genommen hat. Sie aber nicht überinterpretiert verstanden wissen will. „Nach dem Spiel mit den zwei späten Gegentoren war die Enttäuschung natürlich groß, was sich auch an den Aussagen der Spieler gezeigt hat“, erklärt der Ex-Profi, ehe er verbal einen Punkt hinter die Stimmungsdiskussion setzt: „Das hat aber nichts damit zu tun, dass wir ein Problem in der Mannschaft haben.“ Gewisse Schwierigkeiten aber offensichtlich sehr wohl.
Anders formuliert: Wie aus einem Guss, wie eine unerschütterliche Einheit wirkt Werder aktuell nicht. Obwohl bisher kein Stammspieler den Klub verlassen hat und punktuell Verstärkungen dazugekommen sind. Vielmehr sind es kleinere bis mittelgroße Störgeräusche – Topstürmer Niclas Füllkrug kritisiert öffentlich die Abwehr, Trainer Ole Werner betont bei jeder Gelegenheit, dass der Kader noch nicht fertig sei –, die den Werder-Sound im August 2023 prägen. Möglich, dass Kapitän Friedl mit seinem Appell (auch) in diese Richtung gezielt hat, damit die Mannschaft wieder dahin kommt, wo sie vor einem Jahr war.
Zur Erinnerung: Während der Vorrunde der vergangenen Saison überzeugte der Aufsteiger Werder vor allem mit seiner großen Geschlossenheit, die ihn förmlich durch die ersten 17 Spiele trug, was letztlich mehr als nur der Grundstein für den späteren Klassenerhalt war. In der Rückrunde setzte dann ein Negativtrend ein, der sich auch nach der Sommerpause weiter fortsetzt. Ein Trend, der auch den Spielern nicht entgangen sein wird.
Anders als heute hatte im Sommer 2022 frühzeitig festgestanden, dass die Mannschaft fertig ist, personelle Ungewissheit herrschte nicht mehr vor, während aktuell noch immer nicht klar ist, ob Füllkrug nun bleibt oder geht, was eventuell mit Ilia Gruev passiert und wann vielleicht wer noch kommt. So etwas sorgt für Gesprächsstoff in der Kabine und kann freilich auch zu Unzufriedenheit und Missstimmung beitragen – auch wenn Clemens Fritz diese These vehement wegwischt.
„Das sollte im Team keine Rolle spielen. Natürlich sprechen die Jungs über solche Themen, aber das beeinflusst ihre Leistung auf dem Platz überhaupt nicht. Sie sind alle Profis genug. So ein Transfersommer ist für niemanden bei uns Neuland“, betont der 42-Jährige, der angekündigt hat, nur noch einen neuen Linksverteidiger holen zu wollen. Mehr ginge wirtschaftlich nicht. Darüber hinaus sieht Fritz den Kader als gut aufgestellt an: „In der Breite haben wir auch jetzt schon viele Möglichkeiten.“ Was wiederum nicht ganz zur Aussage von Chefcoach Werner vom Freitagabend passt: „Grundsätzlich würde uns insgesamt noch ein bisschen Bewegung in der Gruppe guttun.“
Aber auch hier, „keine Probleme“, sagt Fritz. „Es ist ja richtig, dass wir aktuell ein Ungleichgewicht haben. In Sturm und Mittelfeld ist der Konkurrenzkampf sehr groß, auf den Flügeln aktuell nicht. Mit Ole gibt es da überhaupt keine Probleme. Er ist in alle Themen involviert und kennt die Möglichkeiten des Vereins sehr genau.“ Und grundsätzlich ist natürlich auch Werner klar, was die beste und schnellste Lösung für gute Stimmung bei Werder ist: ein erstes Erfolgserlebnis im kommenden Auswärtsspiel beim SC Freiburg. So wenig aktuell auch dafür sprechen mag.