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Werders Leistungszentrum "Ungern andere abwerten": Nachwuchsboss Dommer über die Top-Talente

Marc Dommer hat als sportlicher Leiter des Nachwuchsleistungszentrums von Werder Bremen die Top-Talente im Blick. Im Interview spricht er über ihre Chancen und übt Selbstkritik.
20.07.2025, 18:52 Uhr
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Von Marius Winkelmann

Ob im Training oder in den Testspielen der Profis: Die U19-Top-Talente Karim Coulibaly, Patrice Covic und Co. stehen bei Werder Bremen gerade voll im Fokus. Einer, der ihren Weg vom Scoutingprozess über die Verpflichtung bis zum heutigen Tag haargenau verfolgt und begleitet hat, ist Marc Dommer. Im Interview mit unserer Deichstube spricht der sportliche Leiter des Bremer Leistungszentrums über die Durchbruch-Chancen der Youngster in der Bundesliga und übt Selbstkritik wegen Leon Opitz. Zudem verrät der 50-Jährige, wie Werder wieder zu einem Top-LZ in Deutschland werden und mehr Talente als zuletzt zu Bundesliga-Stammspielern formen will

Die U19 ist vor einigen Wochen Pokalsieger und fast Deutscher Meister geworden. Herr Dommer, haben Sie eigentlich einen besonders schönen Glückwunsch bekommen?

Marc Dommer: Ich erinnere mich noch gut, dass meine ganze Familie, insbesondere mein Papa, zu Hause mitgefiebert und während des Spiels WhatsApp-Nachrichten geschrieben hat. So nach dem Motto: „Ja, komm! Ihr packt das noch.“ Meine Familie, meine Frau und mein Papa haben auch am schnellsten gratuliert – teils sehr emotional.

Wie neidisch sind die anderen Bundesliga-Clubs aktuell auf Werders Nachwuchs?

(überlegt) Das ist schwer zu beurteilen. Wir haben bestimmt ein paar Spieler, auf die man neidisch sein kann. Ich würde behaupten, dass viele nationale und internationale Vereine einige Jungs, die jetzt bei den Profis mittrainieren, auch gerne bei sich haben würden.

Schnappt man das in der Branche auf?

Man kriegt schon mit, dass viele Vereine uns zu diesen Spielern gratulieren und sie sicherlich auch mittelfristig beobachten und im Blick behalten.

Sie haben vor einem halben Jahr gesagt: „Unser Ziel muss es sein, dass jedes Jahr ein Spieler aus dem Leistungszentrum entwächst, der auch Stammspieler in unserer Profimannschaft werden kann." Wie nah ist Werder diesem Ziel inzwischen gekommen?

Wir sind auf einem guten Weg, aber noch lange nicht am Ziel. Wir haben jetzt zu Recht den Pokalsieg der U19 gefeiert, aber eigentlich ist das nur ein Etappenziel. Unser Ziel muss weiterhin bleiben, Stammspieler für die Bundesliga auszubilden. Und ich meine Stammspieler, die auch Spiele gewinnen können. Wir haben die sechs Jungs jetzt im Profi-Training dabei, fünf davon könnten noch ein Jahr U19 spielen. Das ist ein guter Zwischenschritt, aber eben auch nur das. Der nächste Schritt wird hoffentlich sein, dass es irgendwann die ersten Spielminuten gibt.

Sie sprechen von Wesley Adeh, Karim Coulibaly, Mick Schmetgens, Stefan Smarkalev, Patrice Covic und Salim Musah. Wem trauen Sie den Sprung am ehesten zu?

Ich stelle ungern Jungs auf ein Podest und möchte auch ungern andere abwerten. Ich glaube wirklich, dass alle eine realistische Chance haben. Bei Karim Coulibaly wüsste ich keine Fertigkeit, die ihm fehlt. Klar muss man sehen, wie er vor 40.000 Zuschauern unter Druck agiert – wenn vielleicht auch mal ein Fehler passiert. Aber er ist schon ein sehr kompletter Innenverteidiger. Ich sehe auch bei Stefan Smakalev sehr viel Talent als Torwart. Mick Schmetgens ist ein total guter, schlauer Innenverteidiger, der sowohl defensiv als auch offensiv richtig gute Aktionen hat. Wesley Adeh ist ein Sechser-Achter-Typ, der einen Spielrhythmus mitbestimmen kann. Patrice Covic ist derjenige, der mit kreativen Offensivaktionen den Unterschied machen kann. Und wir haben mit Salim Musah einen Stürmertypen, den man sucht, der mit seiner Körperlichkeit einfach schwer zu verteidigen ist. Er bringt sowohl frontal als auch mit Rücken zum Gegner eine gewisse Qualität mit, hat ein gutes Tempo und eine gute Torquote. Aber klar ist auch: Alle Jungs werden weitere Schritte machen müssen, um das Profi-Niveau zu adaptieren.

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Wie haben Sie die sechs Top-Talente auf die Zeit bei den Profis vorbereitet?

Sehr ganzheitlich. Zum einen natürlich durch ein entsprechendes Fußballtraining, aber auch durch eine athletische Vorbereitung. Man hat jetzt schon in den ersten Einheiten mit den Profis gesehen, dass die Jungs athletisch mithalten können. Zudem haben wir eine sehr enge sportpsychologische Betreuung mit Carl Weimer, der mit den Jungs sehr gezielt daran arbeitet, wie sie mit Drucksituationen, Stress und Rückschlägen umgehen.

Neuerdings haben Sie auch noch Björn Schierenbeck in neuer Funktion als Top-Talente-Manager dabei. Welche Rolle spielt er?

„Schiere“ begleitet die Jungs ganz eng, ist täglich mit auf dem Platz. Das ist ein Meilenstein für uns in der Begleitung der Top-Talente. Er erfasst die individuellen Bedürfnisse und gibt den jungen Spielern im Trainerteam eine Lobby. Wir haben den Bedarf für uns gesehen, dass wir so eine Schnittstelle brauchen, um noch enger an den Spielern dran zu sein und noch individueller auf sie einzugehen. Da war „Schiere“ prädestiniert als jemand, der selbst diese Rolle erlebt hat, als junger Spieler in die Profimannschaft zu kommen und der in der Nachwuchsleitung lange den Übergangsbereich begleitet hat.

Hand aufs Herz: Wie sehr fiebern Sie gerade mit den Talenten mit? Würden Sie am liebsten jede Trainingseinheit und jedes Testspiel live verfolgen?

(lacht) Absolut! Ich habe da beim ersten Profi-Training zugeguckt und mich dabei ertappt, wie ich total mitfiebere bei allen Aktionen, die die Jungs haben. Ich bin emotional dabei, hoffe, dass es gut läuft. Auf der anderen Seite darf man aber auch nicht den Fehler machen und bei jedem Fehlpass von einem Jugendspieler denken: Ach Mist, das hätte jetzt aber besser laufen können.

Apropos besser laufen: Warum hat Leon Opitz nach vielversprechendem Start mit drei Profi-Einsätzen nicht den Durchbruch geschafft und ist ein wenig von der Bildfläche verschwunden, ehe er zuletzt in der U23 wieder richtig aufgeblüht ist und nun eine neue Chance bekommt?

Wir müssen da in erster Linie immer selbstkritisch auf uns gucken. Vielleicht haben wir ihn nicht gut genug vorbereitet, um auf diesem Niveau mental zu bestehen in dem Moment. Ich glaube nicht, dass wir da irgendjemandem einen Vorwurf machen können, dass Leon nicht gespielt hat. Wir müssen gucken, dass wir die Spieler so stark machen, dass man nicht an ihnen vorbeikommt. Für Leon war der Schritt nochmal zurück in die U23 total wichtig, um sich zu stabilisieren, um wieder Selbstvertrauen zu gewinnen und auch den Glauben an sich selbst zurückzubekommen. Er hat da richtig gut performt und wir hoffen, dass er jetzt so weit ist und wir ihn so unterstützen, dass er sich oben durchsetzen kann.

Insgesamt haben zuletzt wenig Spieler den Sprung aus dem Nachwuchs in die Bundesliga geschafft. Wie will Werder es schaffen, die Durchlässigkeit nach oben wieder zu erhöhen?

Das hat etwas mit strategischer Kaderplanung zu tun und damit, wie sehr man in der Ausrichtung des Vereins wirklich den Nachwuchsbereich als eine zentrale Säule der Kaderplanung ansieht. Dazu müssen wir es schaffen, herausragend im Nachwuchs zu scouten, Talente zu identifizieren und sie auch zu rekrutieren. Das ist gar nicht so leicht in der regionalen und bundesweiten Konkurrenzsituation. Es nützt nichts, Talente nur zu erkennen, du musst sie auch bekommen und dann top ausbilden. Wenn dieser Dreiklang aus Sichtung, Rekrutierung und Ausbildung gelingt und du tatsächlich Plätze für Nachwuchsspieler im Profibereich freihältst - und das in einer ambitionierten, aber auch menschlichen Kultur -, dann hast du eine hohe Chance, dass am Ende ein guter Output dabei rauskommt. Das muss das Ziel sein.

Der neue Werder-Trainer Horst Steffen gilt als Talent-Entwickler. Erhoffen Sie sich durch seine Verpflichtung mehr Einsatzchancen für den Nachwuchs?

Für mich schwingt da immer so ein bisschen Kritik am Vorgänger mit und das möchte ich eigentlich nicht. Ich habe nicht das Gefühl gehabt, dass unter Ole Werner der Austausch nicht gestimmt hätte oder man sich keine Gedanken gemacht hätte, wie man mit Talenten umgehen will. Es ist so, dass Horst garantiert einen engen Austausch pflegen und er die Talente als ernsthaften Teil der Kaderplanung ansehen wird. Aber Fakt ist auch: Die Jungs müssen gut genug sein, um sich da oben durchzusetzen. Es gibt keinen Freifahrtschein, weil man aus dem Nachwuchs kommt. Man muss einen Spieler dahin bringen, dass man mit ihm Spiele gewinnt in der Bundesliga. Und das können wir schaffen.

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Mit dem Trainerwechsel von Werner zu Steffen ist auch Co-Trainer Hannes Drews nicht mehr da, der sich regelmäßig mit den Trainern des LZ ausgetauscht hat. Wer übernimmt jetzt diese Schnittstelle?

Es ist nicht so, dass dieser Austausch nur über Hannes Drews stattgefunden hat. Im Gegenteil. Ich glaube, es gibt keinen Tag, an dem ich nicht mit Clemens Fritz, Peter Niemeyer oder Johannes Jahns im Austausch bin. Da gibt es eine sehr enge Kommunikation in verschiedenen Strategiesitzungen, Spielerverpflichtungsterminen und in allen anderen möglichen Rahmen. Die Rolle von Hannes in der Spieltags- oder Wochenanalyse wird „Schiere“ übernehmen, der ja auch mit den Profis auf dem Trainingsplatz steht. Ansonsten bin ich sehr optimistisch, dass wir auch eine enge Kommunikation mit Horst und seinem Team haben werden.

Warum?

Ich kenne Horst persönlich. Er ist im Westen lange unterwegs gewesen, wir haben 2003 zusammen die A-Lizenz gemacht. Das ist zwar schon ein bisschen her, aber ich habe ihn als damaligen U19-Trainer in Gladbach sehr positiv in Erinnerung – als Mensch, aber auch als Kommunikator. Ich habe ihn aus terminlichen Gründen in Bremen bisher zwar noch gar nicht getroffen, aber ich habe keine Bedenken, dass wir künftig nicht in regem Austausch sein werden.

Wie froh sind Sie darüber, dass die Anlage in der Pauliner Marsch und das Leistungszentrum derzeit umgebaut und modernisiert werden?

Ich bin überzeugt, dass die Menschen und die Kultur wichtiger sind als Plätze und Kabinen. Und trotzdem ist das ein Quantensprung für uns. Wenn ich allein an die beiden alten Kunstrasenplätze denke, zwischen denen es einen Zaun gab, dessen Tür bis 30 Zentimeter an die Auslinie eines Platzes aufging, während da gespielt wurde - das war ein Sicherheitsrisiko. Das waren Zustände, die nicht optimal waren. Ohne es zu überhöhen: Du kannst auch auf einem Ascheplatz oder in der Wüste zum Profi werden, wenn du das Mindset dafür und Personen hast, die an dich glauben. Aber am Ende stehen wir in einer Konkurrenz zu anderen Vereinen und auch das sind Faktoren, die Spieler, Eltern und Berater bei ihren Entscheidungen beeinflussen.

Was genau meinen Sie?

Es hilft einfach, wenn man weiß, dass es vernünftige Kabinen, Videosysteme und Plätze gibt. Wenn die Anlage ein Flair vermittelt, in dem sich Eltern und Begleiter wohlfühlen können. Genau das wird unsere Anlage ausstrahlen, wenn sie fertig ist. Es werden keine goldenen Wasserhähne da sein, es wird keinen übertriebenen Luxus geben. Es wird bodenständig und Werder-like sein. Aber es wird alles da sein, was wir für eine gute Ausbildung brauchen.

Für die Ausbildung der Spieler ist seit einigen Monaten auch Oliver Hüsing zuständig, mit dem sie gemeinsam die LZ-Doppelspitze bilden. Wie würden Sie Ihre Zusammenarbeit beschreiben?

Die Verpflichtung von Olli ist eine der wichtigsten, die wir im Nachwuchsbereich in dem Zeitraum, den ich überblicken kann, gemacht haben. Sie war ein absoluter Turbo-Boost für uns. Olli ist jemand, der ohne eine große Einarbeitungszeit sofort in den Themen drin ist, der eigeninitiativ Sachen anpackt, der im Zwischenmenschlichen herausragend ist und der von seiner Ausstrahlung her einfach auch Menschen mitnehmen kann. Dazu bringt er als Ex-Profi auch noch eine große sportliche Expertise mit. Ich könnte mir keinen besseren Kollegen an meiner Seite vorstellen.

Sie haben 13 Jahre lang erfolgreich im Nachwuchs des 1. FC Köln gearbeitet, ihre Familie lebt noch immer in der Domstadt. Inzwischen sind Sie aber schon zweieinhalb Jahre lang für Werder tätig. Wie haben Sie die Zeit im Norden erlebt?

Ich habe den Wechsel nicht bereut, obwohl ich als Kind in rot-weißer Bettwäsche geschlafen habe (lacht). Aber die eine Sache ist, einen Lieblingsverein zu haben und die andere Sache ist, bei einem Verein zu arbeiten, mit dessen Kultur man sich vollends identifizieren kann. Ich bin sehr glücklich, in so einer Kultur gelandet zu sein, die durch Stabilität geprägt ist. Ich habe in meinen letzten dreieinhalb Jahren in Köln vier verschiedene Geschäftsführer gehabt. Hier bei Werder gibt es feste Ansprechpartner und hohe Ambitionen. Man ist bereit, sich hohe Ziele zu stecken, viel dafür zu investieren – nicht nur Geld, sondern auch Energie, Manpower und Leidenschaft. Man ist bereit, innovativ zu sein, in einem menschlich total angenehmen Klima. Das ist im Profifußball und auch in den Leistungszentren nicht selbstverständlich. Deshalb blicke ich auf die Zeit hier total positiv zurück. Wohl wissend, dass wir noch lange nicht da sind, wo wir auf allen Ebenen auch hinkommen wollen, nämlich ein absolutes Top-LZ in Deutschland zu werden.

Was fehlt noch dafür?

Die Infrastruktur ist ein Punkt, der gerade in der Transformation ist. Ich habe mal gesagt, dass wir auf allen Ebenen eine Höchstleistungskultur brauchen, also die Bereitschaft, immer das Beste zu geben und aus Rückschlägen immer wieder zu lernen. Da können wir überall noch ein paar Prozent rauskitzeln. Am Ende misst sich ein Top-Leistungszentrum aber an der Durchlässigkeit in den Profibereich - und da sind wir noch nicht erfolgreich genug. Das ist das, was vor allem fehlt.

Das Gespräch führte Marius Winkelmann.

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