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Frosta-Chef Felix Ahlers "Für Verbraucher ist gar nicht klar, was in den Produkten drinsteckt"

Felix Ahlers lenkt das Tiefkühlkostunternehmen Frosta in Bremerhaven. Seine Karriere begann in der Sterneküche in Frankreich. Ein Gespräch übers Kochen, über Klimaziele und Kritik an der Politik.
22.07.2023, 08:00 Uhr
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Von Lisa Schröder

Herr Ahlers, Sie haben in Paris in einem Sternerestaurant Ihre Ausbildung zum Koch gemacht. Wie oft stehen Sie heute noch selbst am Herd?

Felix Ahlers: Ich mache das relativ oft – auch hier bei Frosta. Wir entwickeln in unserer Küche in Bremerhaven neue Gerichte. Da koche ich gerne mit, das ist immer spannend. Gerade bei den Fleisch- und Fischalternativen muss man genau hingucken: Wie kriegen wir den Geschmack hin? Wir wollen mit echtem Gemüse und nicht mit Zusatzstoffen arbeiten. Das ist schon relativ kompliziert.

Und was kommt zu Hause auf den Tisch?

Ich habe später auch in einem Restaurant in Italien gearbeitet. Ich koche eher südländische als norddeutsche Küche. Wahrscheinlich bin ich nicht der typische Kunde von Frosta, weil ich eben sehr gerne selbst etwas zubereite. Das ist eigentlich immer das Beste.

Warum hat es Sie in die Küche gezogen?

Ich habe schon als Fünfjähriger gerne gekocht, was vermutlich an meinem Kindergarten lag. Wir haben es dort in Miniküchen gelernt. Das Handwerkliche daran hat mich fasziniert. Ich habe später einen Backwettbewerb von ,Brigitte‘ gewonnen. Meine Mutter hat auch immer gerne und gut gekocht.

Sie scheinen einen eher ruhigen Charakter zu haben. Wie sind Sie in der Küche klargekommen, der doch ein rauer Ton nachgesagt wird?

Der herrscht tatsächlich. In Frankreich war das eine Mischung aus Witz und Ernst. Ich weiß noch: Oft mussten wir 20 Kilo schwere und 300 Grad heiße Bleche aus dem Ofen holen, wenn wir zum Beispiel Gemüse und Knochen angeröstet haben, um daraus Fonds zu machen. Und dann stand hinter einem jemand mit einem nassen Handtuch und hat zugeschlagen, wenn man das nicht hochgekriegt hat. In der Küche kann es superhektisch sein. Ich kann mich da aber gut anpassen. Ich mag auch gerne Leute, die eher impulsiv sind – selbst, wenn ich es nicht bin. Ich glaube, man muss im Leben versuchen, mit sehr unterschiedlichen ­Situationen und Personen zurechtzukommen. Dann hat man es leichter.

Ans Abbrechen haben Sie nie gedacht?

Die ersten Monate gingen wir wirklich durch eine harte Schule. In Frankreich hat die Lehre noch einen anderen Stellenwert. Koch ist dort ein Ehrenberuf. Wir wurden also sehr getestet. Über Tage musste zum Beispiel Gemüse gewaschen werden. Nur die Hälfte hat das durchgehalten. Ich kann mich noch erinnern, wie vor mir jemand ein aufwendiges Kanapee zubereitete. Dann hieß es: ,Davon machst du jetzt 1000 Stück‘. Zum Glück habe ich schnell rausgefunden, in dieser Zeit zu zeigen: Ich meine es ernst.

Haben Sie davon erzählt, was Ihre Familie mit Frosta verbindet?

Nein. Gar nicht. Frankreich war einfach eine völlig andere Welt.

Im Rückblick scheint Ihre Karriere für Ihre heutige Position perfekt zu passen – erst die Kochlehre, später das Volkswirtschaftsstudium und die Arbeit für den Nudelhersteller Delverde. Die Übernahme der Firma war aber nicht geplant.

Mein Großvater hat den Einstieg meines Vaters ins Unternehmen immer vorausgesetzt. Das fand mein Vater schrecklich. Darum hat er mich nie in eine bestimmte Richtung gelenkt. Das kann ich nur jedem empfehlen, den Kindern diese Freiheit zu lassen. Ich glaube, das Schlimmste ist, wenn man sofort anfängt, da zu arbeiten, wo die Eltern sind. Meine Erfahrung außerhalb von Frosta hilft mir heute sehr. Ich verstehe die Perspektive von Mitarbeitern viel besser. Und ich habe das Gefühl: Es ist meine eigene Entscheidung, dass ich jetzt hier bin.

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Ihre Schwester Friederike verantwortet die Öffentlichkeitsarbeit bei Frosta. Warum funktioniert die Zusammenarbeit in Ihrem Fall?

Das kann ich gar nicht ganz genau erklären. Ein bisschen ist Glück dabei. Es liegt aber vielleicht auch an der Erziehung. Wir haben uns immer schon selten gestritten. Und wir ergänzen uns ganz gut.

Auf Ihre Initiative geht zurück, wofür die Marke heute steht: das Reinheitsgebot. Auf die bis dahin vielen künstlichen Zusatzstoffe in den Gerichten wird bei Frosta verzichtet. Wer kam auf den Begriff?

Wir haben bis 2003 noch bis zu 60 Zusatzstoffe und Aromen eingesetzt. Über die Zeit waren es immer mehr geworden, denn jedes Jahr gerieten wir weiter unter Preisdruck. Echte Zutaten wurden aus Kostengründen ersetzt. Wir haben uns die Geschichte des Reinheitsgebots für Bier angeguckt und Parallelen gesehen: Die Brauer hatten vorher versucht, das Bier durch Zusätze günstiger zu machen. Es wurde aber in keiner Weise besser.

Ihr Umsatz fiel aufgrund der teureren Preise stark. Es mussten Mitarbeiter gehen. Was hat Sie damals so sicher gemacht, dass dieser Kurs dennoch richtig ist?

Wir wussten, dass wir bessere Produkte entwickelt hatten. Plötzlich haben auch unsere Mitarbeiter die Gerichte gegessen. Früher war ja das Verrückte: Wir haben massenhaft Lebensmittel produziert, aber sie selbst nicht gegessen. Als ich vorher mal ein Produkt von uns gemacht habe, guckten alle komisch. Was macht der denn da? Der Weg war also richtig. Wir haben aber den Kunden nicht gleich vermitteln können, was sich bei Frosta mit dem Reinheitsgebot verändert hat.

Die Situation war brenzlig, eine Insolvenz drohte.

Ja. Wir fanden es aber auch als Aktionäre wichtig, dass wir komplett hinter dem Produkt stehen können. Da war vielleicht ein bisschen Fatalismus in unserer Haltung dabei.

Haben Sie aus der Geschichte eine Erkenntnis gezogen, die Ihnen heute beim Lenken der Geschäfte hilft? Sicher gab es trotz der Überzeugung schlaflose Nächte.

Wir haben das Ganze mit unseren Mitarbeitern entwickelt. Wir haben den Weg dann nur durchhalten können, weil der Enthusiasmus so hoch war – und zwar nicht nur bei uns als Familie, sondern bei allen Beteiligten. Das habe ich heute noch im Kopf: Es ist wichtig, die Mitarbeiter früh einzubinden.

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Jüngst waren überall Teuerungen spürbar. Gerade sinken etwa die Tiefkühlfischpreise wieder. Welche Entwicklung erwarten Sie bei den Lebensmitteln?

Das ist sicher ganz unterschiedlich je nach Produkt. Schwankungen hat es immer gegeben. Insgesamt wird die Verarbeitung von Lebensmitteln tendenziell teurer. Die Löhne werden gerade erhöht. Zugleich wird der Mangel an Mitarbeitern größer, weshalb die Gehälter weiter steigen werden.

Zuvor gab es öfter eine andere Diskussion: Lebensmittel in Deutschland sind eigentlich viel zu billig.

Ja, absolut. Die Möglichkeiten, Lebensmittel mit Zusatzstoffen billig zu machen, sind eben enorm. Für den Verbraucher ist gar nicht klar, was in den Produkten drinsteckt, weil alles positiv klingt. Die Zusatzstoffe werden verharmlost. Wir setzen uns für strengere Vorgaben ein. ‚Natürliches Aroma‘ sollte nicht auf Verpackungen stehen dürfen, wenn für den Geschmack nicht echte Zutaten sorgen. Das Problem ist gravierend. Wir essen heute viel mehr verarbeitete Lebensmittel. Die Gesetze sind aber so, als wäre alles noch wie früher.

Ihre Hoffnungen ruhen auf der Politik, weil Sie sich in der Branche allein fühlen?

Genau. Es gibt in der Lebensmittelbranche eine extrem harte Status-quo-Resistenz. Vor allem will man keine Transparenz, woher zum Beispiel die Zutaten kommen.

Gibt es im Hause Ahlers Verbote? Ein Produkt, das nicht in den Einkaufswagen kommt, weil Sie um die Zutaten wissen?

Ich würde bei Kindern auf jeden Fall grundsätzlich versuchen, Produkte mit Aromen zu vermeiden.

Weil die ungesund sind?

Ja. Die Aromen suggerieren einen Geschmack, den es in der Natur gar nicht gibt. Und die Kinder gewöhnen sich daran. Das Geschmacksempfinden gibt Orientierung, damit wir uns richtig und gesund ernähren. Wenn die Aromen das kaputtmachen, ist dieser Mechanismus nicht mehr da. Das führt aus meiner Sicht zu Allergien und Unverträglichkeiten und oft zu schlechter Ernährung.

Warum unternimmt die Politik denn nicht mehr?

Weil die Sache komplex ist. Die Politiker kapieren nicht, dass sie permanent hinters Licht geführt werden. Früher gab es zum Beispiel ganz oft die E-Stoffe. Die sieht man jetzt gar nicht mehr, weil wieder neue Produkte entstanden sind. Heute steht überall ,Molkereierzeugnis‘ drauf – selbst auf Pasta.

Das klingt wie vom Bauern nebenan.

Das sind aber reine Geschmacksverstärker in hoher Konzentration.

Seit einiger Zeit gibt es vegane und vegetarische Alternativen bei Frosta. Wie kommen die Produkte an?

Immer besser. Sonst liefen die Fleischprodukte deutlich stärker im Verkauf. Das ändert sich jetzt in Richtung der Gerichte, die vegan sind oder per se kein Fleisch enthalten.

Können Sie sich vorstellen, dass es irgendwann in der Zukunft keinen echten Fisch und kein echtes Fleisch mehr in Ihren Produkten gibt?

Das kann ich mir gut vorstellen. Es wird aber noch lange dauern, weil viele den Geschmack noch haben möchten. Fisch ist außerdem sehr gesund. Das ist bei Fleisch teils etwas anders. Ich glaube, wir werden am Ende merken, dass die Leute relativ egoistisch sind: Sie essen das, was ihnen gut schmeckt und guttut. Das steht dann selbst im Verhältnis zum Klimaschutz immer noch an erster Stelle.

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Frosta sieht sich als Pionier der Branche. Sie versuchen sich zum Beispiel auch an der Entwicklung von Papiertüten. Welche Herausforderung steht derzeit an?

Wir haben uns zum Ziel gesetzt, unsere Energie künftig selbst durch Erneuerbare zu erzeugen – durch Windkraft, Sonne und Erdwärme. Das ist eine große Aufgabe. In Lommatzsch in Sachsen haben wir eigene Felder für den Gemüseanbau. Auf weniger optimalen Flächen bauen wir gerade Solarzellen auf. Es kann dabei deutlich mehr Energie erzeugt werden, als das Werk vor Ort braucht. Wir können also auch noch Wasserstoff damit herstellen, den wir in Bremerhaven nutzen wollen.

Auf dem Gelände hier im Fischereihafen soll sich noch in diesem Jahr ein Windkraftrad drehen. Klappt das?

Bis Ende 2023 sollte sich bei uns ein eigenes Windrad drehen, um zehn Prozent des Stromverbrauches abzudecken. Leider dauert das Genehmigungsverfahren immer noch zu lang. Hier bedarf es vereinfachter Vorgaben, damit der Ausbau erneuerbarer Energien schneller vorankommt, besonders in unkritischen Gewerbegebieten. Wir kämpfen noch, damit die Windkraftanlage sich wenigstens Anfang 2024 dreht.

Der Klimawandel wird spürbarer. Welche Aufgaben haben die Lebensmittelhersteller vor sich?

Wir haben insgesamt die Verantwortung dafür, den Klimawandel zu stoppen. Wir leiden schon jetzt darunter, dass wir keine regelmäßigen Ernten mehr haben. Die Landwirtschaft setzt oft auf kurzfristige Lösungen wie Pestizide. Das schadet aber langfristig den Böden.

Wie oft kommt es zu Ernteausfällen?

Wir verarbeiten im Jahr unter anderem rund 10.000 Tonnen Erbsen. In einem schlechten Jahr kann der Rückgang bei 30 Prozent liegen. Das war schon früher so. Die Schwankungen werden aber immer größer. Im Moment ist Paprika aus Italien und Spanien schwer zu kriegen. Das liegt am extremen Wassermangel dort. Jedes Jahr schreitet das Anbaugebiet auf der Landkarte weiter Richtung Norden – wir nennen das den Paprikagürtel. Da zeigt sich wirklich eindeutig, dass es den Klimawandel gibt. Wir müssen so viel wie möglich dagegen tun.

Das Gespräch führte Lisa Schröder.

Zur Person

Felix Ahlers

ist Vorstandsvorsitzender der Frosta AG. Er lenkt den Tiefkühlkosthersteller mit Sitz in Bremerhaven in dritter Generation. Ahlers lebt in Hamburg.

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