Von Guatemala nach Belize City waren es nur etwas mehr als fünf Stunden. Gegen zwei Uhr nachts jamaikanischer Zeit läuft das Schiff in den Hafen ein. Auf der Brücke beobachte ich mit Kapitän Cristian und dem Lotsen die Einfahrt und das Anlegemanöver. Die Fahrrinne ist nicht besonders breit. Und bis an die Kaimauern kann die „CFS Panjang“ nicht heran, weil die Tiefe des Hafenbeckens nicht ausreicht. Für größere Schiffe gibt es daher einen kleinen Schwimmponton mit Verbindung zum Kai. Dort machen wir fest. Nach diesem Manöver mutmaße ich, Kapitän Cristian könne auch problemlos an einer Briefmarke anlegen.
Die Crewmitglieder haben bereits angekündigt, dass in Belize alles etwas länger dauert. Glaubt man, die Jamaikaner seien relaxt, sind es die Leute in Belize erst recht. So hat der Gabelstaplerfahrer die Ruhe weg, um die schmale Gangway vom Ponton zur Reling zu setzen. Maschineningenieur Sergiy ist in der Offiziersmesse und telefoniert mit den Lieben daheim. Dort ist es gerade zehn Uhr morgens – eine gute Zeit zum Telefonieren, da er sie dann problemlos zu Hause oder auf dem Handy erreichen kann.
Auch im Hafen von Belize City haben sie nur einen Kran, der mehr für Stück- oder Projektgüter geeignet ist. An den Lasthaken hängen die Arbeiter per Hand einen Schlitten an, der die Container beim Be- und Entladen austarieren soll. Wohlgemerkt: von Hand. Sicherheitsvorkehrungen für die Hafenarbeiter? Helme sind nur wenige zu sehen, obwohl der Hafenbetreiber ein britisches Unternehmen ist. Doch für Belize, dem früheren British Honduras, gelten Sicherheitsvorkehrungen, wie sie aus Europa bekannt sind, sichtlich nicht. Einer der Vollmatrosen berichtet, dass erst vor einem Jahr dort ein Hafenarbeiter ums Leben gekommen ist.
Es sind es nur wenige Container zu laden. Der örtliche Planer sagt, sie wären bis vier Uhr morgens fertig. Für fünf Minuten stehe ich auf belizischem Boden, um ein Foto zu machen. Länger nicht, weil Belize City gefährlich ist – erst recht bei Nacht. Zum anderen nehme ich lieber ausreichend Abstand zum Kran. Leichtmatrose Giorgi hat Wache bis wir ablegen, voraussichtlich bis sechs Uhr. Bis vier Uhr leiste ich ihm Gesellschaft, dann lege ich mich hin.
Ein entspannter Morgen für mich wegen des späten Ablegens: Deshalb schlafe ich bis kurz vor 9.30 Uhr und hole mir etwas zum Frühstücken. In der Messe steht immer etwas zum Essen. Für den kleinen Hunger zwischendurch gibt es Obst und Brot, für Aufschnitt ist ebenso gesorgt. Verhungern muss an Bord wirklich niemand. Auch für die Decksmannschaft geht es heute später los. Beim Entrosten und Streichen des Decks kann ich nur begrenzt helfen, und Deckkadett Emre will sich nicht beim Wischen der Offiziersmesse helfen lassen. Ich ziehe mich in meine Kabine zurück. Schließlich nähert sich das Schiff gegen 15 Uhr dem Hafen von Puerto Cortés in Honduras. Auf der Brücke stehen Kapitän Cristian und der Zweite Offizier, Christopher. Vor uns ist ein kleines Fischerboot – etwa so groß wie ein 420er-Segler, also 4,20 Meter lang. Von diesen kleinen Booten sind um diese Uhrzeit einige unterwegs. Es muss wohl eine gute Zeit zum Fischen sein. Wer die „CFS Panjang“, die etwa 30-mal so lang ist, noch nicht bemerkt hat, tut dies nun: Der Kapitän lässt das Nebelhorn ertönen.
Jetzt in den Hafen einzufahren, ist nicht wirtschaftlich – wir sind viel zu früh zum Be- und Entladen da. Und Liegezeit an der Kaimauer kostet. Wir ankern. In Puerto Cortés gibt es eine Ankerzone, in der sich jedes Schiff seinen Platz aussuchen kann. Der Kapitän erklärt mir, dass Schiffen in anderen Häfen eine genaue Ankerposition zugewiesen wird. Er wirkt müde, schließlich hat er in dieser Nacht nur vier Stunden geschlafen. Unabhängig vom Schichtplan, den er sich mit dem Ersten und Zweiten Offizier teilt, übernimmt der Kapitän das An- und Ablegemanöver.
Das Schiff liegt ab 16 Uhr vor Anker. Mit Blick auf die bewaldeten Berge rund um Puerto Cortés – einige sogar mit Schnee auf dem Gipfel – gibt es gewiss Schlimmeres. Zum ersten Mal bin ich auf dem Wasser, ohne das Stampfen der Maschinen zu hören. Eine ungewöhnliche Ruhe. Nach dem Abendessen treffe ich Kapitän Cristian wieder und sage scherzhaft, dass jetzt Zeit zum Angeln wäre. Er nimmt das ernst und fragt in der Crew nach Equipment. Auf Schiffen gibt es immer mal jemanden mit einer Angel, Kapitän Wrede, der andere Kapitän, der gerade seinen Urlaub in Hamburg genießt, hätte wohl etwas. Immerhin hängt in der Offiziersmesse ein Gewicht. Das reicht mir, sodass ich es mit einer Kon-
struktion versuche, wie sie US-Serienstar und Profibastler MacGyver nicht besser zusammengebaut hätte: Mit einer Nagelschere forme ich eine Sicherheitsnadel zu einem Haken. Das Gewicht knote ich an eine Paketschnur, befestige den improvisierten Haken daran. Als Köder dient ein Stück Weißbrot. Bis Sonnenuntergang stehe ich am Achterdeck und versuche mein Anglerglück – ohne Erfolg. MacGyver hätte in der Zeit wohl einen weißen Hai gefangen. Als Giorgi meine Konstruktion sieht, lacht er und sagt: „Das muss echt ein doofer Fisch sein, der an so was anbeißt.“ Den Versuch war es dennoch wert.
Einen Teil der Crew treffe ich im Raucherraum. Sie sitzen um ein großes Blech mit Langostinos – es ist das Abschiedsessen des Maschineningenieurs Sergiy. Er geht nach dieser Tour von Bord. Und da sei es russische Tradition, sich mit einem Essen zu verabschieden. Die Cocktailsoße hat er selbst gemacht. Dank der russisch-ukrainischen Gastfreundschaft habe ich wenige Minuten später ein Bier in der Hand und Langostinos auf dem Teller. Giorgi erzählt: „Wenn ich von Bord gehe, brauche ich erst mal zwei bis drei Wochen, bis ich mich an das Festland und die normalen Klamotten gewöhnt habe. Denn manchmal schlafe ich ja sogar in meinem Overall, wenn beispielsweise zwischen den zwei Häfen Haina und Caucedo in der Dominikanischen Republik gerade einmal ein Abstand von zwei Stunden Fahrt liegt.“
Während wir vor Anker liegen, nutzen die Crewmitglieder den Vorteil des nahen Landes. Dank ihrer guatemaltekischen SIM-Karten haben sie mobiles Internet. Sie schreiben ihren Familien sowie Freunden und schauen, was die in den sozialen Medien treiben. Kostya zeigt uns Fotos von seiner jüngsten Tochter. Sie ist acht Monate alt und hat die gleichen dunklen Augen wie er. Seine ältere Tochter ist sechs Jahre alt. Ob er dabei sein wird, wenn sie ihren ersten Schultag hat, der in Russland und der Ukraine groß gefeiert wird, weiß er noch nicht genau. Doch mit derartigen Situationen haben sich die Seeleute längst arrangiert. Dennoch gebe es manche Tage, da falle ihnen der Umgang mit der großen räumlichen Distanz doch nicht so leicht. Immerhin sei es dank der sozialen Medien heutzutage einfacher als noch vor zehn Jahren, per Smartphone Kontakt zu halten und ein bisschen am Leben daheim teilzuhaben.
An diesem Abend kreisen die Gespräche um alles, was den Seemann bewegt – auch über das Thema: „In jedem Hafen eine andere.“ Die Matrosen der „CFS Panjang“ drücken es so aus: „Weißt Du, Florian, wenn Du von Bord gehst, willst Du auch etwas relaxen. Und da ist es schon gut, das Schiff auch mal von Landseite zu sehen. Aber das reicht eben nicht. Da gehören eben auch nette Frauen dazu.“ Es macht den Eindruck, als ob die Singles unter ihnen das so sehen. Es scheint, dass sie durchaus in jedem Hafen eine andere kennen – ob sie dafür zahlen oder nicht, ist ihre Sache. Einhellig ist ihre Meinung über Frauen an Bord: „Eine Frau allein ist nicht gut. Dann machen sich die Männer Hoffnung, dass da mehr daraus werden könnte. Für die Frau wäre die Situation auch nicht so schön. Es sollten dann mindestens zwei Frauen an Bord sein, damit die eine sich nicht allein fühlt“, sagt einer.
Weitere Informationen
Belize
. . .ist ein Land in Zentralamerika, das etwa halb so groß wie die Schweiz ist und rund 386 000 Einwohner hat. Der Staat entstand im Jahr 1981 aus der früheren Kolonie Britisch-Honduras. Deshalb ist die Amtssprache Englisch – im Gegensatz zu allen anderen Ländern Zentralamerikas. Belize ist bekannt für seine vielfältige Flora und Fauna. In den vergangenen Jahren hat die Kriminalität zugenommen. Das Auswärtige Amt rät Touristen, nach Einbruch der Dunkelheit in Belize City vorsichtig zu sein.
Guatemala
. . .ist mit fast 17 Millionen Einwohnern das bevölkerungsreichste Land in Zentralamerika. Mindestens 40 Prozent der Bevölkerung gehören der indigenen Gruppe der Mayas an. Die Hauptexportprodukte sind Kaffee, Früchte und Zucker. Laut des Statistikportals Statista lag das Bruttoinlandsprodukt 2018 bei etwa 82,4 Milliarden US-Dollar. Das entspricht etwa 72,9 Milliarden Euro. Gegenüber dem Vorjahr bedeutet das ein Plus von fast neun Prozent. Zum Vergleich: Das BIP lag 2018 in Deutschland bei knapp 3,4 Billionen Euro. Guatemalas Währung Quetzal ist nach einem grün-roten Vogel benannt, der in den Wäldern des Landes beheimatet ist.