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E-Fuel Klimaneutrale Alternativen zu Diesel und Benzin

E-Fuel ist ein besonderer mit erneuerbarem Strom hergestellter Treibstoff. Bei dessen Verbrennung werden deutlich weniger Schadstoffe abgegeben als bei fossilen Kraftstoffen.
05.07.2019, 22:11 Uhr
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Von Annika Grah

Die Flüssigkeit in der Flasche auf dem Tisch vor Tim Böltken ist glasklar wie Quellwasser. Sie riecht nach fast nichts. Und wenn sie verbrennt, gibt sie deutlich weniger Schadstoffe ab als fossile Kraftstoffe. Vor allem aber: Das klimaschädliche CO₂, das beim Verbrennen frei wird, kam vorher aus der Luft. In der Flasche befindet sich ein besonderer Treibstoff: ein mit erneuerbarem Strom hergestelltes E-Fuel.

Tim Böltken baut mit seiner Firma Ineratec Anlagen zur Herstellung solcher synthetischer Kraftstoffe. Der 34-Jährige hat einen Job bei einer Tochter des Chemieriesen BASF aufgegeben, um mit zwei Kollegen im Schatten des Karlsruher Instituts für Technologie, kurz KIT, das Start-up zu gründen. Er glaubt fest an den Erfolg von E-Fuels: „Das sind gigantische Chancen, die sich hier bieten.“

Der Begriff „Fuels“ ist Englisch für Kraftstoffe, das „E“ steht für erneuerbaren Strom. Denn solche Treibstoffe werden mit Hilfe von regenerativer Energie hergestellt. Sie unterscheiden sich in ihren chemischen Strukturen und Grundeigenschaften nicht von herkömmlichem Diesel oder Benzin aus Erdöl. Und sie könnten helfen, die düstere CO₂-Bilanz des Autoverkehrs aufzupolieren. Theoretisch. Selbst Umweltschützer äußern Vorbehalte.

Denn die Herstellung der E-Treibstoffe ist aufwendig. Zunächst wird aus Wasser Wasserstoff gewonnen. Dazu sind große Mengen elektrischen Stroms notwendig. Dann wird Kohlendioxid, also CO₂, eingesetzt, um aus dem Wasserstoff ein Gas oder eine Flüssigkeit als Kraftstoff zu erzeugen. Im Idealfall stammt das CO₂ aus der Luft, sodass ein Kreislauf entsteht und die Verbrennung im Motor klimaneutral ist. Power-To-X nennt man die Verfahren. Das „X“ steht für Gas oder flüssige Stoffe wie Diesel, Benzin, Kerosin.

Geringerer CO₂-Ausstoß im Verkehr möglich

Der gewonnene Kraftstoff kann in modernen Verbrennungsmotoren ohne Probleme eingesetzt werden. In der Theorie könnten damit also schon heute Autos mit herkömmlichen Diesel- und Benzinmotoren CO₂-neutral fahren. Die Stoffe könnten die Bundesregierung bei ihrem Ziel, den CO₂-Ausstoß im Verkehr bis 2030 um 40 bis 42 Prozent zu senken, einen Schritt weiterbringen ‒ ohne neue Ladestationen und Elektromotoren.

In der Theorie: Denn Autofahrer haben praktisch keine Möglichkeit, E-Fuels in Deutschland zu tanken. Im großen Stil sind sie nicht verfügbar. Und in der politischen Diskussion um Klimaschutz und Dieselkrise spielen sie bislang eine untergeordnete Rolle.

Umweltschützer und Grüne wettern sogar gegen künstliche Kraftstoffe. „E-Fuels sind derzeit unbezahlbar teuer und ineffizient“, sagt etwa der Grünen-Bundestagsabgeordnete Oliver Krischer. Ein wichtiges Argument der Gegner: der niedrige Wirkungsgrad. Anstatt Autos direkt mit Ökostrom anzutreiben, wird dieser erst eingesetzt, um Wasserstoff und dann den Treibstoff herzustellen. Eine Studie der Denkfabrik Agora Verkehrswende aus dem Jahr 2017 rechnet vor: Für 100 Kilometer braucht ein batterieelektrisches Auto 15 Kilowattstunden Strom, ein mit Wasserstoff betriebenes Fahrzeug schon 31 Kilowattstunden und ein mit E-Fuels betriebener Diesel oder Benziner sogar 103 Kilowattstunden.

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Doch die Stimmen, die ungeachtet dessen für E-Fuels argumentieren, werden lauter. Inzwischen macht sich vor allem die Industrie ‒ etwa Autobauer und Energiekonzerne ‒ für die Entwicklung stark. „Langfristig sind synthetische Brennstoffe zur weitergehenden Emissionsreduktion in allen Verkehren zwingend erforderlich“, heißt es in einer vom Bundesverband der Industrie in Auftrag gegebenen Studie. Autobauer Daimler will bis 2039 dafür sorgen, dass seine weltweit verkauften Neuwagen CO₂-neutral rollen. Ohne klimaneutrale Kraftstoffe, räumte der oberste Motorenentwickler des Stuttgarter Konzerns, Torsten Eder, ein, ist das kaum möglich.

„Das Interesse an E-Fuels ist momentan gigantisch“, freut sich Ineratec-Mitgründer Böltken. Potenzielle Kunden kommen aus der Energie- und Autobranche, aber auch aus dem Flugverkehr. „Die werden noch lange auf flüssige Energieträger angewiesen sein.“ Die Idee zur E-Fuels-Produktion stammt von Böltkens Mentor, von Roland Dittmeyer, Professor am Karlsruher Institut für Technologie. Für den Verfahrenstechniker geht’s ums große Ganze. „Wenn wir die gesetzten CO₂-Reduktionsziele erreichen wollen, dann führt an Power-To-X kein Weg vorbei“, sagt Dittmeyer.

Auch Ölkonzerne planen sogenannte Power-­To-X-Anlagen. BP arbeitet mit dem Stromerzeuger Uniper an einem Projekt, Shell hat Ende Juni mit dem Bau einer Elektrolyse-Anlage im Rheinland begonnen. Lufthansa startete mit der Raffinerie Heide in Schleswig-Holstein ein Pilotprojekt für CO₂-neu­trales Kerosin. Und eine Allianz von Energieversorgern, Mineralölfirmen und Audi hat im April ein Programm zur Markteinführung von E-Fuels erarbeitet ‒ bis 2025.

VW-Chef Diess setzt voll auf Elektromobilität

Audi nahm schon vor einigen Jahren eine Power-To-Gas-Anlage im niedersächsischen Werlte in Betrieb. Dort wird mit Ökostrom synthetisches Methangas hergestellt. Wer sich von März 2017 bis Mai 2018 einen Audi mit Gasantrieb bestellte, erhielt das Versprechen, drei Jahre klimaneutral fahren zu können ‒ mit Gas aus Werlte, aber auch aus Biogasanlagen. Aktuell gibt es das Angebot nicht mehr. VW-Chef Herbert Diess setzt derzeit voll auf Elektromobilität.

Ulrich Müller hatte noch Glück, er fährt seinen Audi mit E-Gas-Versprechen. „Mal etwas anders machen als der Mainstream, nicht einfach weiterfahren mit Benzin oder Diesel.“ Das war Müllers Antrieb. Er recherchierte und stellte fest, dass Gas per se sparsamer und weniger schadstoffreich ist als Diesel oder Benzin ‒dann stieß er auf das E-Gas-Angebot von Audi. „Ich wollte damit meinen Beitrag leisten, um etwas Gutes für die Umwelt zu tun“, sagt der IT-Unternehmer aus Neuenstadt am Kocher in Baden-Württemberg. Wenn er jetzt an einer beliebigen CNG-Tankstelle tankt, speist Audi klimaneutrales Gas ins Netz. Der Mechanismus funktioniert wie beim Ökostrom, wo nicht unbedingt der Strom aus der Steckdose grün ist, die Anbieter aber entsprechend einspeisen und einkaufen.

Der Mitgründer der Firma Sunfire, Nils Aldag, setzte schon 2010 mit zwei Mitgründern alles auf Ersatzstoffe für Erdöl und -gas. Sein Argument: Synthetische Kraftstoffe müssten wie Elektroautos gefördert werden. Würde die Produktion etwa von der EEG-Umlage, die Strom in Deutschland teurer macht, befreit, könnte man den Stoff für etwas mehr als zwei Euro pro Liter anbieten. Wegen der Stromkosten baut Sunfire seine erste kommerzielle Anlage für synthetische Kraftstoffe in Norwegen.

„Wir gehen voll auf saubere Treibstoffe.“

Doch in der deutschen Politik spielt Elek­tromobilität mit Batterien gerade die größere Rolle. Die Unionsfraktion sprach sich zwar jüngst in einem Positionspapier für einen Ausbau der Förderung von E-Fuels aus. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) kündigte im Mai nach einer Sitzung des Klimakabinetts an: „Wir gehen voll auf saubere Treibstoffe.“

In der Regierung bewertet man die Chancen von E-Fuels aber sehr vorsichtig. Das Wirtschaftsministerium fördert Projekte, Empfehlungen zur Markteinführung soll es 2022 geben. Für vielversprechend hält man E-Fuels vor allem dort, wo der Einsatz von Batterien nach heutigen Erkenntnissen kaum möglich ist: in Schiffen etwa und Flugzeugen. „Ihr Einsatz im Straßenverkehr und insbesondere für Pkw ist (...) nicht sinnvoll“, heißt es auf Anfrage aus dem Umweltressort.

Damit liegt man auf einer Linie mit der Deutschen Umwelthilfe und Greenpeace. Zwar räumt Greenpeace in einer Studie einen entscheidenden Vorteil von E-Fuels ein: In Kraftstoff umgewandelt, ließe sich erneuerbare Energie nicht nur speichern, sondern auch günstig transportieren ‒ als Gas oder Flüssigkeit. Das könnte helfen, ein zentrales Problem der Energiewende zu lösen, nämlich dass der Anfall von Strom aus Sonne und Wind unregelmäßig ist.

Allerdings ist auch das noch Theorie. „Es gibt nicht annähernd so viel überschüssigen erneuerbaren Strom, um den Pkw-Verkehr auf E-Fuels umzustellen“, sagt Benjamin Stephan von Greenpeace. Um zwölf Millionen Tonnen CO₂ durch E-Fuels einzusparen, bräuchte es zusätzlich so viel Strom, wie alle deutschen Windräder im vergangenen Jahr erzeugt hätten, rechnet er vor. Die Idee lenke ab von einer Verkehrswende ohne Verbrennungsmotor: „E-Fuels sind der falsche Weg, um Verkehr klimaneutral und effizient zu gestalten.“

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Nils Aldag wehrt sich dagegen, als Lebensretter für den Verbrennungsmotor zu gelten. „Aber 45 bis 65 Millionen Fahrzeuge werden nicht von einem Tag auf den anderen verschwinden“, gibt der Sunfire-Mitgründer zu bedenken. „Unsere Kraftstoffe können in der Übergangsphase eingesetzt werden, um so viel CO₂ einzusparen wie möglich. Die politische Diskussion reflektiert das bislang nicht.“

Ineratec-Gründer Böltken will nicht warten, bis die Politik sich entscheidet. Der 34-Jährige bemüht sich, seinen privaten CO₂-Fußabdruck zu verkleinern: Er fliegt nur, wenn es sein muss, fährt mit dem Fahrrad zur Arbeit, nutzt den wasserstoffbetriebenen Bus auf dem Gelände des KIT in einem Waldgebiet im Norden Karlsruhes. Dort steht die Pilotanlage von Inera­tec. Es ist keine Raffinerie, sondern ein Container, wie er zu Millionen auf den Weltmeeren herumschippert. Zehn von ihnen wurden bislang verkauft.

Die Anlagen im Miniformat lassen sich im Grunde neben jedes Windrad und jede Photovoltaikanlage setzen. Im Prinzip könnte es gleich losgehen, sagt Böltken: „Der Vorteil mit unserer dezentralen, modularen Technologie ist, dass man sofort anfangen kann.“

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Alternative Treibstoffe

Nachwachsende Rohstoffe: Eine Basis für Kraftstoffe können nachwachsende Rohstoffe sein. Biokraftstoffe der ersten Generation werden in der Regel aus Mais, Raps oder Palmöl hergestellt. Einer der bekanntesten Biokraftstoffe ist der Biodiesel. Derartige Kraftstoffe der zweiten Generation sind etwa aus Biomasse hergestelltes Methangas und flüssiger Kraftstoff.

Erneuerbare Energien: E-Fuels werden durch Elektrolyse von Wasser mit regenerativ erzeugtem Strom hergestellt. Dabei wird Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff aufgespalten. In weiteren Schritten wird der Wasserstoff mit Kohlendioxid entweder zu Methan oder zu flüssigen Kraftstoffen weiterverarbeitet. Stammt das CO₂ aus der Luft und nicht aus Industrieproduktion, sind die Kraftstoffe klimaneutral.

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