Henrouise Michal knetet Teig. Neben ihr stehen kleine Törtchenformen. "Den Rhabarber habe ich gestern schon zu Mus verkocht", sagt sie. Der habe nicht mehr gut genug ausgesehen, um ihn frisch zu verwenden. Also werden in den kommenden Tagen Rhabarbertörtchen im Angebot des Café Sunshine sein. Seit Juli vorigen Jahres betreibt sie den Treffpunkt mit dem Anspruch, dabei möglichst wenig, bestenfalls gar keinen Abfall zu produzieren.
Als Bremens erstes "Zero-Waste-Bistro" bewirbt der Verein "Allgemeinbildung - Natur Mensch Technik" das Café in der Wielandstraße, unweit des Ziegenmarktes im Bremer Viertel. "Ungefähr ein Drittel aller Lebensmittel werden in Deutschland weggeworfen. Allein an Backwaren landen in Deutschland fast 500 Gramm pro Person und Woche im Müll", sagt Christian Gutsche vom Vereinsvorstand. "Weil alles immer und sofort verfügbar sein muss, entstehen diese Müllberge", ergänzt Michal. Mit dem Café Sunshine wollen sie und der Verein zeigen, dass es auch anders geht.
Vegane Küche mit südafrikanischem Einschlag lautet Michals Versprechen. Dafür setzt sie auf regionale und saisonale Zutaten, die dazu möglichst auch noch aus biologischen und nachhaltigem Anbau stammen sollten. Die in der vegetarischen und veganen Küche allseits beliebte Avocado verarbeitet sie deswegen zum Beispiel gar nicht. "Wird kaum nachhaltig angebaut", sagt sie.
Ganz ohne Kompromisse geht es allerdings auch nicht. "Im Teig für die Rhabarbertörtchen ist zum Beispiel Kokosöl statt Butter", erklärt Michal. Klar, Butter als tierisches Produkt verbietet sich. Aber sie könne im Grunde nachhaltiger und regionaler produziert werden als Kokosöl. Michal persönlich hätte mit dem tierischen Fett im Kuchen auch kein Problem. "Ich ernähre mich selbst natürlich hauptsächlich vegan, aber bin da nicht dogmatisch", sagt sie. Andererseits ist Café Sunshine nun mal vegan und dann eben mit aller Konsequenz. Sogar für die Wände hat sie daher vegane Kreidefarbe ausgewählt.
In Sachen Perfektionismus ist die vor 17 Jahren aus Südafrika nach Deutschland eingewanderte Michal inzwischen nicht nur ihrem Reisepass nach eingebürgert. "Wenn ein Gast etwas bestellt hat, startet jedes Mal die Eieruhr in der Küche", erzählt sie und lacht. Nach fünf Minuten soll er spätestens sein Essen serviert bekommen, das ist ihr Anspruch. Damit das funktioniert ist die Karte mit höchstens vier Hauptgerichten ebenso übersichtlich, wie der kleine Gastraum mit seinen zehn Plätzen.
Aber die Beschränkung dient auch der Müllvermeidung. Sie hilft ihr, beim Kochen und Backen so flexibel zu bleiben, dass sie die Lebensmittel wirklich restlos verwertet. "Selbst die Gemüseschalen hebe ich auf, um entweder Chips damit zu produzieren oder Gemüsebrühe daraus zu kochen." Das sei auch ein guter Grund für möglichst viel Bioware: "Damit kann ich guten Gewissens die Schalen verarbeiten." Als Biomüll entsorgt Michal eigentlich hauptsächlich Kartoffelschalen. "Da bin ich wegen des hohen Solaningehalts vorsichtig."
Weil sie für Latte Macchiato und Capuccino ihre Hafermilch selbst herstellt, fällt auch weniger Verpackungsmüll an. Mehl, Hülsenfrüchte, Nudeln und vieles andere bezieht sie nach Möglichkeit ebenfalls unverpackt. Um den Energieverbrauch beim Kochen zu senken, werden getrocknete Nudeln zuvor in kaltem Wasser eingeweicht. Überhaupt Wasser: "Das Beste kommt doch aus dem Hahn", sagt Michael und verzichtet auf alle Flaschen und ihren Transport.
Damit auch bei den Gästen keine Essensreste anfallen, die dann natürlich weggeschmissen werden müssten, gibt sie zudem eher kleine Portionen aus. "Wer davon nicht satt wird, kann aber jederzeit Nachschlag haben", erklärt sie das Konzept. War der Appetit dann doch größer als der Magen, gibt es die Reste in wiederverwertbaren Pfandboxen mit. Auf den Preis des Essens hat das alles nur Einfluss, wenn der Gast es will, denn das ist eine weitere Besonderheit des Café Sunshine: Die Besucher sind aufgefordert, nach eigenem Ermessen zu entscheiden, was ihnen die Speisen und Getränke Wert sind.
Das funktioniert laut Michal ziemlich gut. "Von hundert Gästen nutzen das vielleicht zwei aus", fasst sie ihre Erfahrung nach rund einem Jahr zusammen. Das Konzept funktioniert aber auch, weil der Verein "Allgemeinbildung – Natur Mensch Technik" als Träger des Bistros fungiert und zum Beispiel Gastraum und Küche zur Verfügung stellt. Eingerichtet wurde es ausschließlich mit gespendeten Möbeln, Michal selbst ist noch bis Mitte des Jahres beim Verein angestellt. Ob und wie es danach mit ihr und dem Café weitergeht wird sich in den nächsten Wochen entscheiden. Sie selbst kann sich auch eine Selbstständigkeit vorstellen, erweitert um einen Catering-Service. Das war vor 2020 auch ihr ursprünglicher Plan, aber dann kam Corona. Zusätzlich wurde Michal schwanger. Da war der nunmehr zweifachen Mutter die Lösung sehr willkommen, erst einmal einfach für den Verein zu arbeiten.