Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Schaustellerpräsident im Interview "Am Bremer Freimarkt verdienen alle mit"

Kulturgut und Konjunkturbringer – für Albert Ritter, Präsident des Deutschen Schaustellerbundes sind Volksfeste beides zugleich. Wir mit ihm über den Freimarkt und die Zukunft der Volksfeste gesprochen.
19.10.2011, 16:16 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Von Thomas Joppig

Kulturgut und Konjunkturbringer – für Albert Ritter, Präsident des Deutschen Schaustellerbundes sind Volksfeste beides zugleich. Was er vom Bremer Freimarkt hält, mit welchen Problemen Schausteller zu kämpfen haben, und wie er über die Zukunft der Volksfeste denkt, darüber spricht er im Interview mit WESER-KURIER Online-Redakteur Thomas Joppig.

Herr Ritter, wenn Sie die aus Schaustellersicht beliebtesten Volksfeste Deutschlands aufzählen müssten, an welcher Stelle käme dann der Bremer Freimarkt?

Der Freimarkt ist auf jeden Fall im oberen Zehntel anzusiedeln, in einer Liga mit anderen großen Volksfesten wie dem Münchner Oktoberfest.

Ein Volksfest muss für Schausteller zunächst einmal lukrativ sein. Was ist Ihnen außerdem noch wichtig?

Entscheidend ist, dass der Besucher sich wohl fühlt und die Servicequalität stimmt. Dafür müssen wir auch der Tatsache Rechnung tragen, dass es in unserer Gesellschaft immer mehr ältere Menschen gibt. Wir wollen die Kirmes Ü-50-tauglich machen. Das soll nicht heißen, dass es eine graue Kirmes wird, aber der Mix muss stimmen: Für die Jugend darf es ruhig etwas wilder sein, aber ein Volksfest muss auch für die gesetztere, kaufkraftstarke Klientel etwas zu bieten haben.

In Bremen spitzt sich zur Zeit der Streit um die Elektrosanierung der Bürgerweide zu. Bremen will die neuen Stromleitungen größtenteils durch höhere Standgebühren gegenfinanzieren, die Schausteller sind empört. Ist dieser Plan wirklich so ungewöhnlich?

Grundsätzlich ist zu sagen, dass an einem Volksfest wie dem Freimarkt alle verdienen. Taxifahrer, Hotelerie, Metzgereien, Bäckereien, Brauereien – bis hin zu den Stadtwerken, die uns Hunderttausende Kilowattstunden Strom verkaufen - meist zu überhöhten Preisen, weil wir den teuren Baustellenstrom kaufen müssen. Außerdem sorgen Volkfeste kostenlos für Städtewerbung. Denn die Schausteller tragen ja alle Kosten, die im laufenden Betrieb verursacht werden: Wasser, Abwasser, Polizei… Laut einer Studie aus dem Bundeswirtschaftsministerium sorgt jeder Volksbesucher dafür, dass ein Euro an Gewerbesteuer in die Stadtkasse fließt. Rechnen Sie das mal auf vier Millionen Freimarktsbesucher hoch…

Was fordern Sie von der Stadt?

Wenn so eine Elektrosanierung ansteht, dann sollte man vielleicht auch mal daran denken, wie sehr die Stadt von einem erfolgreichen Jahrmarkt profitiert. Da stellt sich dann die Frage, ob man nur die Schausteller zur Finanzierung des Stromnetzes heranzieht. Oder ob nicht zum Beispiel die Unternehmer im Hauptbahnhof, die wacker mitverdienen, auch ihren Beitrag leisten müssten. Eine andere Überlegung wäre, ob man solch eine Sanierung nicht auch aus den Steuermitteln finanzieren könnte, die der Freimarkt der Stadt jedes Jahr zusätzlich beschert…

Die Standgebühren auf dem Freimarkt gelten nicht gerade als besonders hoch…

Das mag ja sein, aber das ist ja auch gesetzlich geregelt. Die Gewerbeordnung besagt, dass das Veranstalten von Volksfesten ein Stück Daseinsvorsorge der Gemeinden ist. Das heißt, dass Volkfeste genauso wie Wochenmärkte, Freibäder und Kindergärten einfach dazugehören, um eine Stadt urban zu gestalten. Die Städte sollen mit dem Organisieren von Volksfesten keinen Gewinn erzielen, sondern lediglich kostendeckend arbeiten. Auch das steht in der Gewerbeordnung.

Auf dem Freimarkt stehen vielfach jedes Jahr die selben Karussells. Warum investieren die Schausteller heute weniger als noch in den 90er-Jahren?

Die gesamtwirtschaftliche Situation trifft auch uns Schausteller. Wir haben Insolvenzen, bei denen die Kollegen mit Haus und Hof haften müssen. Wenn ein Karussell nicht funktioniert, ist das ein echtes Problem. Hinzu kommen die Rahmenbedingungen, die dafür sorgen, dass sich das Schaustellergewerbe nicht gerade kostengünstig betreiben lässt…

Woran denken Sie da konkret?

Das lässt sich gut  amEuro-Star erklären. Der galt als Karussellsensation Europas. Eine Looping-Achterbahn mit hängenden Gondeln. Vor drei Jahren wurde das Geschäft nach Russland verkauft, weil es sich einfach angesichts hoher Spritkosten und der entsprechenden Steuerbelastung nicht mehr rechnete. Ich selber habe einen Ausschankbetrieb. Sie können sich vorstellen, dass ein solcher Betrieb allein durch die Transporte ganz d andere Kosten verursacht als eine Eckkneipe. Der Kneipenwirt muss einmal eine Genehmigung einholen und hat dann Ruhe. Der Schausteller muss für jedes Volksfest eine zusätzliche gaststättenrechtliche Genehmigung einholen, die sehr viel Geld kostet. Das Mittelstandsentlastungsgesetz sieht seit zwei Jahren vor, dass das nicht rechtens ist, aber die Länder halten sich nicht daran, weil sie auf Gebühren nicht verzichten wollen. Dagegen wehren wir uns, denn was nützt ein Entlastungsgesetz, das keine Entlastung bringt?Hinzu kommt, wie erwähnt, der demographische Wandel. Der trifft besonders die Kinderkarussell-Betreiber hart, weil einfach zu wenige Kinder geboren werden. Die Schausteller halten ihre alten Karussells instand, aber für Neuinvestitionen fehlt ihnen das Geld.

Freizeitparks sind oft deutlich investitionsfreudiger. Haben Sie da nicht manchmal Angst, dass die Konkurrenz der Parks irgendwann zu groß wird?

Es ist sicher eine Konkurrenz. Der Euro kann ja nur einmal ausgegeben werden, eine Familie, die am Wochenende in den Freizeitpark fährt, geht dann nicht auch noch auf den Jahrmarkt. Aber die Kirmes wird nicht untergehen. Volksfeste sind günstiger als Freizeitparks. Es gibt keinen Wegezoll am Eingang des Freimarkts. Bei uns gilt im Gegensatz zum Freizeitpark grundsätzlich erst mal die Devise „Eintritt frei“. Ich kann mir anschauen, wie die Leute im Karussell grün werden, kann mir Konzerte in den Zelten anhören… Auf dem Freimarkt kann man sich stundenlang amüsieren ohne einen Cent auszugeben…

Was aber schwierig werden dürfte, wenn man mit zwei Kindern auf dem Platz unterwegs ist…

Okay, das mag sein. Aber auch da gilt: Ich kann alles dosieren: Meine Kinder ins Kinderkarussell setzen, und mich selbst zurückhalten. Als Jugendlicher nur in mein Lieblingskarussell gehen. Oder, wenn ich schon gesetzter bin, einfach nur mit meiner Dame ein Bierchen trinken… Ich muss nicht pauschal für etwas bezahlen, was ich vielleicht gar nicht nutzen möchte. Hinzu kommt: Auch im Freizeitpark ist nicht alles im Eintrittspreis inbegriffen. Für Essen und Trinken muss ich dort ja auch noch separat bezahlen.

Wir durchleben wirtschaftlich schwierige Zeiten. Auf dem Freimarkt scheint man davon aber nichts zu merken. Am Eröffnungstag gab es an vielen Karussells und Buden Menschentrauben und lange Schlangen. Spüren Sie beim Publikum eine Jetzt-erst-recht-Stimmung?

Zum Teil schon. Allerdings ist diese Haltung in anderen Ländern noch deutlich ausgeprägter. Die Deutschen sind vergleichsweise eher sparsam, was das Freizeitvergnügen angeht. In Italien geben die Menschen ihr Geld auf den Volksfesten deutlich sorgloser aus.

Wie zufrieden sind Sie bislang mit der laufenden Volksfestsaison…

Insgesamt sind wir mit den Umsätzen zufrieden. Im Sommer hat es uns gewissermaßen in die Kassen geregnet, aber die Herbstveranstaltungen sind bislang gut besucht. Das freut uns natürlich.

Viele Schausteller klagen, dass die kleineren Volksfeste in den vergangenen Jahren deutlich an Besuchern verloren haben und nur noch die großen Volksfeste Sogkraft entfalten. Sind Dorfkirmes und Schützenfest vom Aussterben bedroht?

Es kommt darauf an, wie gut ein Volksfest gepflegt wird. Wenn die Stadt oder Gemeinde selbstbewusst hinter ihrer Kirmes steht und das auch nach außen trägt, dann kann auch ein kleines Volksfest eine Zukunft haben. Schwierig sind eher die halbherzig organisierten Veranstaltungen. Wenn eine Stadt ihren zentralen Veranstaltungsplatz zubaut und ihren Jahrmarkt stattdessen an den Stadtrand verlegt, muss man sich nicht wundern, wenn plötzlich weniger Leute kommen…

Volksfeste sollen nach Wunsch einer Bundestagsmehrheit von der Unesco als immaterielles Kulturerbe anerkannt werden. Was versprechen Sie sich davon?

Zum Beispiel Unterstützung in genau solchen Fällen. Viele Volksfeste haben einen kirchlichen Ursprung, daher ja auch das Wort Kirmes, eine Kurzform von Kirchmesse Aber während alte Kirchen als Kulturgüter gelten, werden Volksfeste mitunter eher abschätzig betrachtet. Dabei haben wir mit den Jahrmärkten in Deutschland eine Tradition, die weltweit ihresgleichen sucht. Schließlich ist die Idee des Deutschen Weihnachtsmarkts mittlerweile ein echter Exportschlager. Nicht umsonst gibt es zum Beispiel in London mitterweile einen „German Christmas Market“.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Einwilligung und Werberichtlinie

Ich erkläre mich damit einverstanden, dass die von mir angegebenen Daten dazu genutzt werden, regelmäßig per E-Mail redaktionelle Inhalte des WESER-KURIER seitens der Chefredaktion zu erhalten. Die Daten werden nicht an Dritte weitergegeben. Ich kann diese Einwilligung jederzeit formlos mit Wirkung für die Zukunft widerrufen, z.B. per E-Mail an widerruf@weser-kurier.de.
Weitere Informationen nach Art. 13 finden Sie unter https://www.weser-kurier.de/datenschutz

Schließen

Das Beste mit WK+

Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)