Schon vor einem Jahr hat Dirigent Maxim Emelyanychev beim Musikfest gezeigt, was man aus den gern unterschätzten Sinfonien herausholen kann, die der 16-jährige Wolfgang Amadeus Mozart 1772 in Salzburg schrieb. So funkensprühend wie von seinem Orchester Il Pomo d’Oro hatte man die 20. Sinfonie D-Dur KV 133 bis dahin noch nicht gehört. Überraschung nun bei Emelyanychevs Wiederkehr im letzten Indoor-Konzert des aktuellen Musikfests: Dieselbe Sinfonie stand erneut auf dem Programm. Nun aber mit dem nicht historisch besaiteten Mahler Chamber Orchestra – das gab der Wiederauflage in der Glocke ihren eigenen Reiz.
Auch wenn der treibende Grundcharakter gleich blieb: Der etwas kompaktere Klang des um Nuancen weniger wendigen Ensembles mit Musikern aus 15 Nationen betonte stärker den festlichen Charakter dieser Trompeten-Sinfonie. Der Kopfsatz etwa wirkte nun in vielen Details wie ein Schwesterstück zu Joseph Haydns ein Jahr später entstandener 48. Sinfonie für Kaiserin Maria Theresa. Dass Mozart hier manches Experiment wagt, blieb indes weiterhin deutlich – vom graziösen Flötensolo (die Italienerin Chiara Tonelli) im langsamen Satz bis zum Finale, das sich weniger melodisch als durch rasant huschende Bewegungen profiliert – eine höchst eigensinnige Musik.
Das gilt verschärft für das erste Cellokonzert Es-Dur op. 107 von 1959, mit dem Dmitri Schostakowitsch sechs Jahre nach dem Tod von Diktator Josef Stalin den Individualismus des eigenen Künstlertums feiert: Der Komponist setzt seine tönenden Initialen D-Es-C-H verschmitzt als Hauptthema ein. Die junge Russin Anastasia Kobekina war bei diesem Werk, mit dem sie bereits im Frühjahr bei der Kammerphilharmonie zu hören war, wieder ganz in ihrem Element. Sie spielte die trotzig-kratzbürstigen Momente im ersten Satz ebenso intensiv aus wie die Sphärenklänge im langsamen Satz, die Nachdenklichkeit in der Kadenz ebenso wie das eulenspiegelhafte Nase-Drehen im Finale, wo Schostakowitsch Stalins Lieblingslied durch den Kakao zieht.
Wie emotional Kobekina jeder Musik nachspürt, war auch ihrer Zugabe anzumerken: Im Prélude aus Johann Sebastian Bachs erster Solosuite BWV 1007 schien sie verträumt Spinnenfäden zu weben, um sie zuletzt in einer großen Steigerung in der Sonne glänzen zu lassen. Ihren Blumenstrauß warf die Solistin zielsicher dem spanischen Solohornisten Jose Vicente Castelló zu, der seine schwierigen Soloparts souverän bewältigt hatte.
Perfektes Hornsolo
Sein nächster großer Auftritt folgte alsobald: In Peter Tschaikowskys 5. Sinfonie-Moll op. 64 steckt ja eines der anspruchsvollsten Hornsoli überhaupt – und das meisterte er perfekt. Natürlich ringt auch ein Emelyanychev dem allzu vertrauten Werk keine neuen Aspekte mehr ab, aber wie transparent und drängend er die vier Sätze unter einen großen Bogen spannte und jede äußerliche Knalligkeit vermied, das war unbedingt hörenswert. Endlich wurde wieder klar, wie dramaturgisch dicht Tschaikowskys schicksalsschwere Partitur gestrickt ist; selbst der viel gescholtene Triumphmarsch am Ende wirkte nicht aufgesetzt, sondern wie ein erleichtertes Aufatmen nach langem Ringen.
Das Mahler Chamber Orchestra, durchaus groß besetzt, empfahl sich mit schöner Klangkultur von den Klarinettensoli bis zum Streicherraunen. Die vier Kontrabässe langten mit Freude zu, die fünfköpfige, rein spanische Horngruppe kitzelte die Ohren ebenso angenehm wie das schwere Blech. Und ein ums andere Mal staunt man, wie es Emelyanychev ohne Taktstock, wie ein Pantomime tänzelnd, versteht, alle Musiker unter Starkstrom zu setzen.