Die Pandemie kam für die meisten überfallartig. Für Sie auch?
Christian Zeyfang: Na, vor allem in der kurzfristigen Umsetzung für uns. Wir hatten für die dritte Märzwoche die Konferenz der Sportreferenten und -referentinnen der Länder geplant. Innerhalb von drei Tagen musste das inhaltlich und organisatorisch komplett umorganisiert werden.
Und war dann auch gar nicht mehr das Hauptthema?
Genau. Die Konferenz musste trotzdem durchgeführt werden. Aber es kam dann zusätzlich das hinzu, was plötzlich im Alltag auf uns einbrach.
Was brach alles ein?
Na ja, die ganzen Fragestellungen: Ach, das muss jetzt gemacht werden, und das auch noch. Und welche Auswirkungen hat das? Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und auch der Amtsleiter hatten Kinder, die plötzlich nicht mehr in die Schule oder in die Kita konnten, von jetzt auf gleich musste auf Homeoffice umgestellt werden.
Ging das so plötzlich?
Wir haben uns sehr früh darauf eingestellt, sehr bald konnten fast alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ins Homeoffice. Überfallartig war das für den Sport trotzdem.
Weil?
Weil auf einmal alles geschlossen war. Es gab Anrufe ohne Ende. Klassisches Beispiel: Hallo, mein privates Boot ist in einer städtischen Bootshalle, da darf ich jetzt auch nicht ran? Ja, da dürfen Sie jetzt auch nicht ran. Wir mussten da viel vermitteln.
Wie fielen die Reaktionen aus?
Meistens gab es Verständnis, aber es gab auch durchaus, wenn auch selten, Egoismen. Dadurch wurde es für meine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zeitlich und emotional durchaus belastend.
Wie viele Überstunden wurden angehäuft?
Ich glaube, das sage ich lieber nicht. Aber da ist einiges zusammengekommen. Es kommt ja noch hinzu, dass Bremen 2019 und 2020 den Vorsitz der SMK (Sportministerkonferenz der Bundesländer, d. Red.) hatte. Das ist insbesondere für solch ein kleines Bundesland ein enormer Aufwand.
Inwiefern?
Wir mussten da auf Referats- und Abteilungsleiter-Ebene vier vorbereitende Konferenzen organisieren. Inhaltlich wie räumlich. Dann die große Jahreskonferenz der Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren der Länder. Plus die verschiedenen Schwerpunkte und Kontakte mit dem Bundesministerium des Innern, dem DOSB (Deutscher Olympischer Sportbund, d. Red.), dem Städte- und Gemeindebund. Und, und, und.
Hört sich nach großem Rad an . . .
. . . du bist für alle der erste Ansprechpartner, das ist schon ganz schön viel. Und dann kamen noch die Auswirkungen der Corona-Pandemie obendrauf. In allen Fragen, die überregional den Sport betroffen haben, war Bremen das Bundesland, das versucht hat, das zu steuern.
Die Bundesländer haben oft unterschiedliche Regelungen getroffen. War das eine besondere Herausforderung fürs Steuern?
Ja. Und das ist immer noch eine große Schwierigkeit. Wir hatten dieses schöne Beispiel mit dem Golfplatz in zwei Ländern. Neun Löcher in Bremen durften bespielt werden, neun Löcher in Niedersachsen nicht. Oder: Niedersachsen öffnete die Umkleiden, in Bremen bleiben sie noch zu. Oder: In Nordrhein-Westfalen durften 50, in Niedersachsen 30, in Hamburg zehn Leute zusammen Sport treiben. Das zu vermitteln, war nicht einfach.
Die Golfplatz-Teilung brachte medialen Hohn und Spott. Fanden Sie das gemein?
Corona stellt alle Ebenen der Gesellschaft vor schier unlösbare Herausforderungen. Da muss jede und jeder sich gefallen lassen, dass geschaut wird, was nicht so gut geklappt hat. Viele Menschen haben sich viele Gedanken gemacht, sich unglaublich Mühe gegeben. Dass da auch mal was Komisches, Skurriles herauskommt, muss man akzeptieren. Jede Entscheidung für sich hatte ja auch einen nachvollziehbaren Hintergrund.
Und zwar?
Ich fand das sehr mutig vom Bremer Senat, dass frühzeitig gesagt wurde: Ja, wir dürfen die Sportanlagen wieder nutzen. Im städtischen Raum hat man nicht so viele freie Flächen. Wenn wir sagen: Sport im Freien kann man machen, aber die Sportanlagen darf man dazu nicht nutzen, dann wird es schwierig. So kam es halt auf einer Anlage, die in beiden Ländern liegt, dazu. Mittlerweile läuft das aber recht synchron. Da achtet auch der Senat sehr drauf.
Haben Sie sich manchmal trotzdem als Buhmann gefühlt, weil Sie oft Nein sagen mussten?
Ich wiederhole das sehr gerne: Sehr viele waren sehr verständnisvoll. Angefangen von den Vereinen bis hin zu den Gymnastikstudios, den Yoga-, Fitness- und Tanzstudios. Obwohl wir für die eigentlich gar nicht zuständig waren. Wir haben viel erklärt und oft auch ein ‚Leider‘ vorangestellt. Seit Anfang November hatten wir sehr viele Anfragen, was Ausnahmegenehmigungen angeht. Manchen musste ich dann sagen: ‚Nein, das geht nicht. Leider gibt es die nur für den Spitzensport – und das ist ziemlich eng gefasst.‘ Alle Entscheidungen werden im Übrigen in enger Abstimmung mit dem Landessportbund gefällt.
Gab es da auch das Gefühl: Wir vom Sportamt sind wichtig? Um nicht das Wort ‚systemrelevant‘ zu benutzen?
Schön, dass Sie uns so sehen, aber wir sind definitiv nicht systemrelevant, und ich sehe keinen Grund, Spitzensportler und -sportlerinnen vorrangig impfen zu lassen. Da gibt es viele Menschen, die Vorrang haben . . .
. . . aber?
Trotzdem glaube ich, dass der Sport eine wichtige Rolle spielt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Sportamts haben das alles, ich sage es mal hemdsärmelig: weggewuppt. Sie haben echt geächzt. Sie haben unter anderem das Sofortprogramm für Sport bewältigt, wo wir bislang über 850 000 Euro an fast 200 Vereine ausschütten konnten. Das war ja zusätzliche Arbeit, unser Personal von elf Kolleginnen und Kollegen ist ja nicht aufgestockt worden. Und für mich als Leiter war das auch irre spannend wie herausfordernd.
Auch wertschätzend?
Na ja, als Frau Merkel Anfang Mai aus dem Papier der Sportminister Ideen für eine Öffnung der Sportanlagen skizziert hatte, saß ich mit dem Leiter der SMK-Geschäftsstelle zusammen. Und wir haben gesagt: ‚Sauber, die Vorschläge haben wir entscheidend mit entwickelt.‘ Auch wenn wir alle es lieber gehabt hätten, wenn es gar nicht zu so einer Situation durch die Corona-Pandemie gekommen wäre.
Können Sie den Unterschied von 2019 und 2020 mal bildlich beschreiben?
Zusammen mit dem SMK-Vorsitz hatten wir eigentlich schon 2019 sehr viel zu tun. Wenn Sie es bildlich haben wollen: 2020 mussten wir nicht nur mit einer Nagelschere ein Fußballfeld versuchen zu präparieren, sondern eine ganze Bezirkssportanlage. Ganz wichtig ist für mich und mein Team jedoch: Wir wollen das nicht dramatisieren. Viele Menschen waren noch viel intensiver gefordert.
Der Gedanke trägt einen aber nicht monatelang durch den Alltag. Wie kann man sich das angesprochene Ächzen auf dem Amt vorstellen? Als Callcenter-Atmosphäre?
Es musste vor allem schnell gehen und wieder und wieder alles neu sortiert oder umgeschrieben werden nach der neuesten Corona-Verordnung. Es war ständig was los, da konnte keiner sagen: So, jetzt ist Wochenende, da erhol ich mich. Wir mussten auch am Sonnabend und Sonntag horchen, was es Neues gibt. Am Montag musste man schon früh wieder sprech- und auskunftsfähig sein.
Gibt es einen Unterschied zwischen erster und zweiter Welle?
Die Ungeduld auch der Sportlerinnen und Sportler ist größer geworden, das spüren auch wir. In der Kommunikation ist mehr Unruhe und weniger Verständnis. Wobei ich betonen möchte: Die Sportvereine mit ihren Trainern und Trainerinnen und Ehrenämtlern, die reagieren fast ausschließlich sehr klug und sehr zurückhaltend. Sehr positiv und sehr wertschätzend. Es ist bei ihnen zumeist weniger eine Ungeduld als eine Sorge.
Eine Sorge, dass die Pandemie Narben hinterlässt?
Ja, genau. Sport ist eben mehr als Bewegung, Turniere, Ligasport. Sport ist vor allem ganz viel soziales Miteinander und Gesunderhaltung. Der gesellschaftliche Mehrwert ist nicht wegzudenken. Das müssen wir wieder hingerüttelt bekommen.
Das Gespräch führte Olaf Dorow.
Christian Zeyfang (53) ist in Stuttgart aufgewachsen und seit 1977 Bremer. Er war Sportlehrer und Schulsportreferent, ehe er 2016 Leiter des Sportamts wurde.
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In dieser Serie sprechen wir mit Menschen, deren Arbeitsumfeld sich in diesem Jahr durch das Coronavirus grundlegend verändert hat. Sie erklären, wie sich ihre Behörden, Einrichtungen oder Institutionen auf die neue Situation eingestellt haben, was die Änderungen für den Arbeitsalltag ihrer Kollegen und für sie persönlich bedeutet haben und weiterhin bedeuten. Im nächsten Teil erzählen Edda Bosse, Präsidentin des Kirchenausschusses der Bremischen Evangelischen Kirche, und Schriftführer Bernd Kuschnerus, worauf sich die Kirchen in diesem Jahr einstellen mussten.