Es ist eine Grundsatzfrage, die den Alltag unzähliger Menschen betrifft: Darf der Staat das aufgesetzte Parken weiterhin dulden oder muss er dagegen vorgehen? Seit Dienstag steht das Bremer Oberverwaltungsgericht (OVG) vor der Aufgabe, eine juristische Antwort zu finden. Die Ausgangslage ist in der Straßenverkehrsordnung eigentlich geklärt. Die Gehwege gehören den Fußgängern. Nur hat sich bei Autofahrern über Jahrzehnte die Gewohnheit durchgesetzt, mit zwei Reifen einen Teil der Bürgersteige für sich zu beanspruchen. Polizei und Ordnungsamt gehen dagegen aber allenfalls sporadisch vor. Deshalb ist ein Rechtsstreit zwischen einigen Bürgern aus der Östlichen Vorstadt, der Neustadt und Findorff und den Landesbehörden nun in die zweite Instanz gegangen.
"Das Bundesrecht ist eindeutig, aber in der gesamten Republik wird es einfach ignoriert und nicht vollzogen. Ich kenne keine vergleichbare Situation", sagte Peter Sperlich, Präsident des OVGs. In seinem Saal blieb auf den Stühlen für die Öffentlichkeit kaum ein Platz leer. Der Prozess strahlt weit über die Landesgrenzen hinaus. Denn in praktisch jeder deutschen Großstadt sind die Straßen nicht mit den Bedürfnissen der Bewohner mitgewachsen. Das aufgesetzte Parken gehört zur Tagesordnung, weil nur so die unzähligen Autos Platz in den älteren Stadtteilen finden.
OVG-Präsident Sperlich verwies auch auf einen neuen Zeitgeist: "In den 1970er-, 80er- und wahrscheinlich auch 90er-Jahren wäre über diese Frage nicht gestritten worden. Autos waren damals so wichtig, dass sie auch direkt vor der Haustür parken sollten."
Für Sperlich ist dies rechtlich relevant, weil die juristische Kategorie der "Zumutbarkeit" auch von dem Zeitpunkt der Rechtsprechung abhängt. So muss das Gericht unter anderem entscheiden, inwieweit es für Fußgänger zumutbar ist, wenn ihnen Autos den Platz nehmen. Dahinter steht die Frage, wann der Staat gegen einen Rechtsverstoß, in diesem Fall das aufgesetzte Parken, unverzüglich vorgehen muss. Bei Gefahr für Leib und Leben ist dies grundsätzlich geboten. "Die Frage ist, ob die Unzumutbarkeit eines Rechtsverstoßes erst bei einer Gefahr für Leib und Leben besteht, oder ob sich diese auch vorher begründen lässt", führte der OVG-Präsident aus.
Vor seinen Augen war es die Aufgabe von Anwältin Claudia Nottbusch, die Position der Behörden zu vertreten. Nottbusch verwies mehrfach auf einen vom Senat beschlossenen Vier-Punkte-Plan, der eine "rechtskonforme Ordnung des Parkens" durchsetzen soll. Der Plan sieht vor, das aufgesetzte Parken in Straßen mit besonders schmalen Gehwegen kurzfristig zu unterbinden. Danach soll es Quartier für Quartier weitergehen.
Bitter für die Kläger: Die Straßen, an denen sie wohnen, hat der Senat dabei zunächst nicht im Blick. Die Gehwege sind in Bremen andernorts nämlich teilweise noch deutlich schmaler. "Die Kläger sind jetzt noch nicht dran", verdeutlichte Anwältin Nottbusch. Dann richtete sie ihre Worte direkt an die anwesenden Kläger: "Sie sind nicht die Einzigen mit diesem Problem. Das wollen Sie aber nicht anerkennen."
Die Kläger vertrat Anwalt Andreas Reich. Dieser argumentierte, dass die Landesregierung inzwischen jedwede Glaubwürdigkeit verspielt habe, tatsächlich gegen das aufgesetzte Parken vorzugehen. So hielt seine Seite den Behörden etwa den 2014 beschlossenen Verkehrsentwicklungsplan vor. Schon damals sei davon die Rede gewesen, das aufgesetzte Parken zu unterbinden. Passiert sei aber erst etwas nach dem erstinstanzlichen Urteil des Verwaltungsgerichts.
Die Verhandlung endete mit der formalen Aufnahme der Anträge durch das OVG. Die Klägerseite will erreichen, dass die Behörden binnen drei Monaten etwas unternehmen muss. Dann soll mit einer weiteren Frist von drei Monaten eine Auswertung der Maßnahmen erfolgen. Bestünden die Probleme mit dem aufgesetzten Parken immer noch, gäbe es eine neue Frist von zwei Monaten, um wiederum aktiv zu werden. Die Landesbehörden beantragten hingegen, die Klagen in vollen Umfang abzuweisen und somit auch das Urteil der ersten Instanz aufzuheben. Das OVG muss den Prozessbeteiligten nun binnen 14 Tagen eine erste Tendenz mitteilen. Mit dem Urteil inklusive der Begründung ist nach Aussage von Präsident Sperlich "irgendwann im kommenden Jahr" zu rechnen.