Großes Gebell im "Dorf der Tiere": Am Mittwoch hat das Tierheim des Bremer Tierschutzvereins nach knapp fünf Monaten wieder seine Pforte für Besucher geöffnet. Zuvor war dafür coronabedingt eine Terminabsprache notwendig. "Für die Tiere bedeutet das Stress. Zuletzt war es hier deutlich ruhiger und sie konnten sich vollkommen an uns Mitarbeiter gewöhnen", sagte Tierpflegerin Annika Schulze. Bei den Hunden sorgte die Aufregung für lautes Bellen, das schon einsetzte, als die Besucher noch auf den Einlass warteten. Ein Dutzend Interessierte nutzte die Gelegenheit gleich um 16 Uhr, danach bildete sich eine kurze Schlange. Schulze hat sich auf diesen Moment gefreut: "Diese Offenheit gehört einfach dazu."
Auch ohne die regelmäßigen Öffnungszeiten hatte das Tierheim in den vergangenen Monaten viel zu tun. Zu Beginn der Pandemie lag der Kauf von Haustieren im Trend. Der Verzicht auf zwischenmenschliche Kontakte führte bei vielen Menschen zu der Sehnsucht nach einem vierbeinigen Freund. "Einige haben sich aber mit dieser Entscheidung zu wenig beschäftigt und sind jetzt überfordert, wenn es zurück ins Büro geht und der Hund nicht mit kann", sagte Sina Fehr, Leiterin des Tierheims. Dieses Problem sei nicht neu, aber noch sehr aktuell.
Gleichzeitig war zuletzt aber auch die Zahl der Vermittlungen hoch. "In der ruhigen Zeit ohne Öffnungszeiten waren es sogar mehr als vorher", sagte Fehr. Der Grund: Das Tierheim war nie geschlossen, veränderte aber seine Arbeitsroutine. Nach telefonischer Absprache waren einzelne Termine weiterhin möglich. Interessenten mussten sich dann zuerst online Bilder der Tiere ansehen und genau benennen, wen sie vielleicht adoptieren wollen. "Dadurch war die Beratung viel gezielter", so Fehr. Ein weiterer Vorteil sei gewesen, dass die Tierpfleger mehr Zeit hatten, um mit den Haustieren zu trainieren. "Viele wurden von ihren Besitzern stark vernachlässig. Manche Tiere müssen auch wieder lernen, dass Menschen lieb zu ihnen sein können", erklärte Fehr.

Sina Fehr hatte die Hunde fast fünf Monate für sich und ihre Mitarbeiter. Nun gibt es auch wieder regelmäßige Streicheleinheiten der Besucher.
Mehr Vermittlungen, eine bessere Arbeit mit den Tieren und weniger Stress für sie durch ständig neue Reize – ist die Rückkehr zu den Besucherzeiten dann überhaupt sinnvoll? Für das Tierheim stand nie ernsthaft zur Debatte, am "Corona-Modus" festzuhalten. Für Fehr gehört es zum festen Bild der Einrichtung, sich für die Tierfreunde zu öffnen. "Nur so ist es auch möglich, sich spontan in ein Tier zu verlieben", sagte sie.
Zu den Interessenten zählten am Mittwoch Inessa Rotteker und Matthes Mehrtens. "Eine Freundin hat gerade Probleme mit ihrem Hund, neben der Arbeit hat sie wenig Zeit für ihn. Da springen wir ein und nehmen den Hund für eine kurze Zeit zu uns", berichtete Rotteker. So bereite sie sich mit ihrem Freund darauf vor, dauerhaft einen Hund zu adoptieren. "Wir fühlen uns auch dem Tierheim verbunden, weil unsere Freundin überlegt, ob sie ihren Hund hier abgeben muss", sagte Mehrtens. Deshalb will er mit seiner Freundin ehrenamtlich helfen und mit Hunden Gassi gehen.
Bei kleineren Vierbeinern gibt es dafür aber eine Warteliste. "In der Pandemie haben sich dafür besonders viele Menschen gemeldet. Wenn wir dann zurückgerufen haben, hatte sich jeder Zweite bereits einen Hund gekauft", erzählte Leiterin Fehr. Unterstützungsbedarf haben sie und ihr Team beim Gassi gehen für große Hunde. Hier brauche es Erfahrung, das Tierheim schule die Interessierten auch im Umgang mit Problemhunden.
Warum der Tierschutzverein selbst vom "Dorf der Tiere" spricht, zeigt der Blick auf die beträchtliche Zahl der aktuellen "Bewohner". 323 Tiere leben an der Hemmstraße, darunter 109 Katzen und 47 Hunde. Davon kommt aber nur rund die Hälfte für die Vermittlung in Frage, der übrige Teil wurde zum Beispiel beschlagnahmt und muss von der Staatsanwaltschaft erst wieder freigegeben werden. Der größte Bewohner ist aktuell ein Hängebauchschwein. "Da ist die Vermittlung natürlich nicht so einfach, Interessierte bräuchten schon etwas Land", sagte Fehr.