Der Aufenthalt in einer Warteschlange hat selten das Potenzial, so etwas wie Vergnügen auszulösen. Wenn Sie in diesen Tagen in Bremen und umzu viele Menschen aus einem Gebäude herausstehen sehen, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass darin eine Arztpraxis ihren Sitz hat. Schließlich schwappt die Infektwelle mit Macht durchs 0421-Land. Und wer etwa den Fehler macht, sich trotzdem in die Keuchenden und Schniefenden einzureihen, weil er mal eben den kürzlich vergessenen Impfausweis abholen will – der sitzt dann ein paar Tage später mit Halskratzen und entzündetem Matschauge vor dem Monitor, um eine Kolumne zu schreiben.
Doch zurück vom Selbstmitleid in andere Warteschlangen dieser Woche. Die können zugleich ungemein lehrreich sein. Wenn denn die vermeintlich unnütz verschwendete Lebenszeit zur Informationsgewinnung, -verarbeitung und -interpretation genutzt wird. So setzte mich beim Anstehen an der Bedientheke meines Nahversorgers eine Infotafel davon in Kenntnis, dass es sich beim vorwöchig gefeierten 14. Februar neben dem Valentinstag zugleich um den Welt-Mettbrötchen-Tag gehandelt hat. Ach? Ich hatte ja keine Ahnung von diesem fleischlich-romantischen Gesichtspunkt am Tag der Liebenden!
Für die Zukunft der Stadt indes war deutlich entscheidender, was ich in der Wartezeit zuvor in der Nachrichten-App unserer geschätzten Qualitätszeitung gelesen hatte: Mit der Gestaltung des Domshof soll es nun aber echt mal vorangehen. Weil ein dritter Entwurf zur Beratung vorliegt, um in Konkurrenz zu der Idee zu treten, vielleicht doch lieber gar nichts zu machen und den großen Platz im Herzen Stadt genauso öde in der Gegend herumliegen zu lassen, wie er es schon seit langer Zeit tut. Aber: Das ist ja auch eine schwere Entscheidung. Wenn ich nur bedenke, wie lange es in unserer kleinen Hausgemeinschaft gedauert hatte, sich auf einen konsensfähigen Esstischstuhl zu einigen – dann wundert mich gar nichts. Denn so etwas wie den Domshof möbliert man ja nicht acht- und gedankenlos neu, auch nicht mit einer gepflasterten Düne gleich welcher Höhe.
Allerdings: Manchmal schadet es nicht, das Zaudern sein zu lassen und stattdessen das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen. Auch davon habe ich diese Woche beim Anstehen für gemischte Oliven und Pesto-Käse gelesen. Da ging es um einen ehemaligen, verödeten Truppenübungsplatz in der Umgebung von Prag, der renaturiert werden sollte. Das Projekt lahmte domshofmäßig seit Jahren, weil hier wasserrechtliche Entscheidungen und Genehmigungen abgewartet, dort Kosten berechnet werden wollten. Und dann schuf eine Biberfamilie Tatsachen, indem sie über Nacht einen Staudamm anlegte – und damit genau das Sumpfgebiet schuf, das alle immer erträumt hatten.
Was uns das lehrt? Die Bremer Stadtmusikanten stehen an der Seite des Rathauses zwar in überlieferter Vollbesetzung – aber vielleicht würde ihnen ein wenig forscher Biber-Aktionismus beim Domshof nicht schaden.
Tagebucheintrag: Sollte sich an diesem Wochenende vor Ihrem Wahllokal eine Warteschlange bilden: Bitte anstellen. Das ist keine verschwendete Lebenszeit, sondern wichtig.