Der Abgleich zwischen Theorie und Praxis, er kommt manchmal unverhofft. So rätselte ich als Freund der streng wissenschaftlichen Studienmethodik tagelang darüber, ob es wirklich sein kann, dass die Menschen in Bremen so viel entspannter leben als in anderen deutschen Großstädten. Das will eine Online-Arztpraxis namens ZAVA herausgefunden haben – und da wird man als Bewohner des 0421-Lands ja neugierig, auch wenn mir der Blick auf beliebte, oftmals im Bereich der Urologie angesiedelte, Beratungsgebiete der Tele-Mediziner verdeutlichte, dass wir weiterhin gut ohne einander auskommen. Zumal auch in Sachen Haarausfall für mich nichts mehr zu gewinnen wäre, aber das nur am Rande des Haarkranzes.
Zurück zur Studie, in der analysiert wurde, wie häufig in Städten mit mehr als 300.000 Einwohnern im Internet nach fünf Begriffen rund um das Thema Stress gesucht wird. Und siehe, in Bremen tippen die Menschen viel seltener als im Rest der Republik so naheliegende Dinge wie, Sie haben es bestimmt geahnt, „Cortisol senken“ in die Suchmaschine ein. Was also, logisch, nur heißen kann, dass hier viel stressfreier als überall sonst gelebt wird. Tusch und Applaus!
Während ich die Zeit in der Warteschlange an der Supermarktkasse damit verbrachte, diesem bestechenden Umkehrschluss zu folgen, zerstreute das Leben unversehens meine ketzerischen Zweifel. Weil der Mann vor mir anbot, mit meinen drei Artikeln in der Hand doch bitte eben vorzugehen. Was überaus freundlich, aber unnötig war, weil sich in der Weite seines Einkaufswagens auch nur fünf Kleinigkeiten des täglichen Bedarfs verloren. Meinen entsprechend erstaunten Blick darauf interpretierte er konsequent richtig und lieferte die Begründung für seine Offerte gleich mit: Er habe, erstens, Zeit, und an jenem Tag, zweitens, noch nichts für sein Karma getan. Ich weiß nicht, wann ich jemanden letztmals das Wort Karma benutzen gehört habe: Aber wenn der Mann schon mal das Wort „Stress“ gegoogelt haben sollte, dann sicher nicht von einem Computer mit Bremer IP-Adresse aus! Und falls doch, muss es den Online-Ärzten entgangen sein. Vielleicht hatten sie gerade Sprechstunde für Privatpatienten mit Haarausfall.
Was der Karma-Mann gewiss auch nicht war: Besitzer eines SUV. Denn die bekommen in Bremen gerade mal wieder Stresspusteln, seit die mitregierenden Linken mit Blick auf eine Erhöhung der Parkgebühren Anfang der Woche nach einem Konzept gerufen haben, das die Fahrzeuggröße gestaffelt berücksichtigt. Weil ein Smart schließlich weniger Parkfläche beanspruche als ein SUV. Hach, wenn sich die Welt doch immer nur so leicht in Gut und Böse einteilen ließe! Als Freund wissenschaftlicher Methodik habe ich allerdings herausgefunden, dass Smart schon länger gar keine kleinen Autos mehr baut. Sondern sehr leistungsstarke, die aussehen sollen wie: SUV. Aber ich will mal nix gesagt haben. Denn für Klugscheißerei gibt es bestimmt keine Karma-Punkte.
Tagebucheintrag: Falls Sie noch wissen wollen, in welcher deutschen Stadt die Menschen total gestresst sein sollen: Münster. Und das, obwohl da viel lieber Fahrrad statt SUV gefahren wird.