
Für Ekkehard Lentz vom Bremer Friedensforum kann es keinen Zweifel geben: Entgegen bisheriger Annahme ist noch immer mit menschlichen Überresten auf dem Areal des früheren „Russen-Friedhofs“ an der Reitbrake zu rechnen.
Die Recherchen des Friedensforums gehen von mindestens 116 Fällen aus. Es gebe begründeten Anlass für die Vermutung, dass Überreste dieser NS-Opfer „weiterhin in der Erde auf der Fläche Reitbrake liegen“, heißt es in einer 19-seitigen Stellungnahme, die das Bremer Friedensforum und die Bürgerinitiative (BI) Oslebshausen und umzu am Donnerstag veröffentlicht haben.
Die neuen Erkenntnisse haben politische Brisanz: Ist das Gelände doch favorisierter Standort einer Bahnwerkstatt, gegen die die BI schon seit Monaten protestiert. „Das Bremer Friedensforum erachtet eine Bebauung des Massengrabes ‚Russen-Friedhof‘ als erneute Schändung“, sagt Lentz.
Ein Festhalten am Standort wäre mithin „unwürdig“ und „nicht humanitär“ gemäß den Bestimmungen des Völkerrechts. „Den entwürdigenden Umständen des Todes vieler Bürger der ehemaligen Sowjetunion darf nicht nochmals Unrecht widerfahren.“
Die Hafengesellschaft Bremenports als Eigentümerin des Grundstücks will die Neuigkeiten nach eigener Angabe keineswegs unter den Teppich kehren. „Wenn es dieses Thema gibt, werden wir uns damit auseinandersetzen – unabhängig davon, was auf dem Grundstück passiert“, sagt Bremenports-Sprecher Holger Bruns.
Zugleich mahnt er aber an, das „tragische Schicksal dieser Menschen nicht zu instrumentalisieren“. Neue Hinweise erst dann vorzubringen, wenn es um die Bahnwerkstatt gehe, sei ein „unangemessener Umgang mit dem historischen Thema“.
Lentz kann den Argwohn nachvollziehen. Die gemeinsame Stellungnahme habe aber nichts mit dem umstrittenen Bauvorhaben zu tun. Sondern mit dem nahenden 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion und dem Gedenktag des 27. Januar. „Das war jetzt der passende Zeitpunkt nach einem Zufallsgespräch mit der Bürgerinitiative“, sagt er.
Das Ressort für Wissenschaft und Häfen teilt die Einschätzung, dass bei Bauarbeiten menschliche Überreste entdeckt werden könnten. Bei einem Zuschlag für die Bahnwerkstatt am Standort Oslebshausen müssten „auch diese Belange“ durch Experten bei den Baumaßnahmen berücksichtigt werden. „Möglicherweise neu entdeckte sterbliche Überreste sollen dabei selbstverständlich ebenfalls umgebettet werden.“ Ebenfalls heißt: so wie mehrere Hundert Leichen, die bereits von 1948 bis 1950 exhumiert und auf dem Osterholzer Friedhof bestattet wurden.
Die Experten sind bei der Landesarchäologie Bremen zu finden. „Wenn die Bürgerinitiative mit Hinweisen auf uns zukommt, müssen wir sehr hellhörig werden“, sagt Landesarchäologin Uta Halle. Liege ein begründeter Verdacht vor, dass menschliche Überreste im Erdreich verborgen sein könnten, rechtfertige das im Falle eines Bauantrags eine Hauptuntersuchung. „Wenn Bodendenkmäler in Gefahr sind, werden wir tätig“, versichert Halle.
Das Friedensforum hält der Stadt Bremen zugute, „aktuell keine Kenntnis von der Lage des Massengrabs“ zu haben. Gleichwohl habe es schon 1992 erste Hinweise gegeben. Bereits damals wäre nach Ansicht des Friedensforums eine „gründliche archäologische Prüfung des Geländes“ erforderlich gewesen. Ein Abgleich mit den Daten des russischen Onlinearchivs „Memorial“ erhärtete laut Lentz die Vermutung, dass nicht alle Leichen umgebettet wurden.
Noch ist der künftige Standort der Bahnwerkstatt nicht abschließend geklärt. Ob der Betrieb an der Reitbrake oder anderswo gebaut werde, sei noch nicht entschieden, betont Bruns. Die Hafengesellschaft habe das Grundstück in Oslebshausen nur als möglichen Standort genannt. Die Ausschreibung für das Bauvorhaben hat die Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen (LNVG) vorgenommen. „Es ist noch keine Entscheidung gefallen, welches Unternehmen den Zuschlag für den Bau der Werkstatt bekommt“, sagt LNVG-Sprecher Dirk Altwig. Im Frühjahr sei damit zu rechnen. Konkreter wird Bruns: Er erwartet den Beschluss ab Ende Februar oder im März.
Massengrab am Bahndamm
Auf dem Gelände an der Reitbrake befand sich im Zweiten Weltkrieg ein Massengrab für russische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter. Nachforschungen des Bremer Friedensforums haben ergeben, dass auf dem knapp 20.000 Quadratmeter großen Areal zwischen 500 und 1000 Russen verscharrt wurden. Das Friedensforum hält aber auch bedeutend höhere Opferzahlen von bis zu 10.000 Toten für möglich. Nach der Umbettung mehrerer Hundert Leichen wurde das Areal bis 1955 vermutlich mit Sand und Kriegsschutt aufgeschüttet. Heute unterhalten mehrere Betriebe auf dem Gelände Lagerflächen. Eigentümerin ist die Hafengesellschaft Bremenports.
Ob Bahnhof, Marktplatz, Weserstadion oder Schlachte: Das Bremer Stadtbild hat sich im Laufe der Zeit erheblich verändert. Wir berichten über vergessene Bauten, alte Geschichten und historische Ereignisse.
Welcher Verein wann in Bremen oder der Region spielt und wie die Begegnung ausgegangen ist, erfahren Sie in unserem Tabellenbereich. Auch die Ergebnisse der Spiele der höheren Ligen finden Sie dort.
job4u ist die regionale Plattform, wenn es um Lehren und Lernen geht. Neben dem WESER-KURIER, der Handelskammer und der Handwerkskammer Bremen machen sich hiesige Firmen für junge Leute stark.