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JVA-Chef Erdtmann zum Umgang mit Gefangenen Respekt auch hinter Gefängnismauern

Seit zwei Jahren leitet Hans-Jürgen Erdtmann die Justizvollzugsanstalt in Oslebshausen. Ursprünglich hatte er eine völlig andere berufliche Laufbahn eingeschlagen.
30.08.2020, 05:00 Uhr
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Respekt auch hinter Gefängnismauern
Von Ralf Michel

Zur Frage, welche Rolle Schuld und Sühne im Gefängnis spielen, hat Hans-Jürgen Erdtmann eine klare Position. „Die wird im Urteil ausgedrückt, findet sich also in der Länge der verhängten Haftstrafe wieder“, sagt der Leiter der Justizvollzugsanstalt (JVA) Oslebshausen. „Wir sind nicht dafür da, die Gefangenen zusätzlich zu bestrafen, sondern versuchen dafür zu sorgen, dass sie nach ihrer Entlassung nicht mehr straffällig werden.“ Und dieser Resozialisierungsprozess beginne schon am ersten Tag ihrer Haft.

Natürlich kennt Erdtmann die Vorbehalte gegen diesen Kurs. Das Gerede, dass es Straftätern heutzutage im Gefängnis viel zu gut gehe, man vor lauter Resozialisierung kaum noch von Strafe sprechen könne. Der JVA-Chef hält mit einer Frage dagegen: „Neben wem möchten Sie in der Straßenbahn oder im Kino sitzen? Neben jemandem, der während seiner Haft jahrelang schlecht behandelt wurde und voller Hass auf das System und den Staat ist? Oder neben jemandem, der sagt: Die waren korrekt zu mir, haben mir geholfen und mir eine zweite Chance gegeben?“

Keine herabwürdige Behandlung

Erdtmanns Antwort hierauf prägt seinen Kurs als JVA-Chef: „Der korrekte, respektvolle Umgang mit den Gefangenen ist das A und O – da lege ich Wert drauf.“ Niemand werde herabwürdigend behandelt. „Wir sind keine Wärter und Schließer, sondern gut ausgebildete und motivierte Justizvollzugsbeamte.“

Seit August 2018 leitet Hans-Jürgen Erdtmann die Bremer JVA. Zuvor war er zehn Jahre lang stellvertretender Leiter. Vom Vize zum Chef aufzurücken, sei ihm nicht leicht gefallen, bekennt der 56-Jährige. Schwer getan habe er sich mit dieser Entscheidung. „Ich habe den Stellvertreter gerne gemacht. Fand, dass ich da genau an der richtigen Stelle war“, erzählt er. „Und ich hatte gehörigen Respekt vor der Leitungsfunktion.“

Dabei dürfte es kaum jemanden geben, der besser vorbereitet für diese Aufgabe war. „Der war hier eigentlich schon alles, außer Gefangener“, witzelt ein Kollege, als „Vollzug von der Pike auf“ beschreibt Erdtmann selbst seinen Berufsweg.

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Der begann für den gebürtigen Bremer 1980 mit einer Lehre zum Bau- und Möbeltischler. Nach seinem Gesellenabschluss arbeitete er zunächst einige Jahre in seinem Lehrbetrieb und machte nebenher an der Abendschule seinen Meister. Da der Betrieb zu klein für einen weiteren Meister war, schaute er sich anderswo um und stieß auf eine Tischlerstelle in der Werkstatt der Jugendhaftanstalt im Blockland. Er durchlief eine zweijährige Ausbildung zum Werkmeister im Justizvollzugsdienst, bildete anschließend fünf Jahre lang junge Strafgefangene an der Werkbank aus.

Eine interessante Stelle, aber nichts für die nächsten 30 Jahre, das sei ihm damals schon klar gewesen, erzählt Erdtmann. Da passte es, dass Mitte der 90er Jahre in der JVA ein Abteilungsleiter gesucht wurde. Und später dann in der Nebenstelle Bremerhaven erst ein stellvertretender Leiter, dann der Leiter. Und noch später ein Leiter für den Geschäftsbereich Arbeitsbetrieb, dann ein Leiter der Vollzugsabteilung der JVA, schließlich ein ständiger Vertreter des Anstaltsleiters. Diesen Posten übernahm Hans-Jürgen Erdtmann 2008, nachdem er zuvor erfolgreich eine Führungskräftefortbildung absolviert hatte. 2018 wechselte er dann in den Chefsessel.

Neue Stationen, neue Rollen

„Planbar war das alles nicht“, sagt er heute im Rückblick. „Hat sich alles irgendwie ergeben.“ Immer wieder neue Stationen, neue Aufgaben, neue Rollen. „Ich konnte mir dann immer vorstellen, das zu machen, und irgendwie wächst man mit seinen Aufgaben.“

Nun also Anstaltsleiter. Trotz der anfänglichen Bedenken – sein Resümee nach zwei Jahren fällt positiv aus. „War die richtige Entscheidung.“ Er habe sich eingefunden, sein Team stehe und es fehle nicht an engagierten Mitarbeitern. Ist auch notwendig, betont er. Bei aller Freude an der Arbeit: „Justizvollzug ist keine Spaßveranstaltung.“

Im Blick hat der JVA-Chef bei diesem Satz vor allem die steigende Zahl von psychisch auffälligen Gefangenen, für die der Justizvollzug nicht ausgebildet sei. Aber auch die spezielle Situation in Bremen. Das Haushaltsnotlageland habe viele Jahre im Justizvollzug nicht eingestellt. „Seit 2015 steigt aber die Zahl der Gefangenen. Vor allem in der Untersuchungshaft, da haben sich die Zahlen fast verdoppelt.“ Inzwischen wurde zwar personell nachgesteuert, aber vom angepeilten Ziel 260 Bedienstete im allgemeinen Vollzugsdienst sei man noch Jahre entfernt. Derzeit sind es 230.

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Corona und die damit verbundenen umfangreichen Sicherheitsvorkehrungen machten die Arbeit derzeit natürlich auch nicht leichter. Und dann mache den rund 400 Mitarbeitern noch eine weitere Sache zu schaffen, und dies schon seit über zehn Jahren – die Sanierung des aus dem 19 Jahrhundert stammenden Gebäudes. Mit all dem dazugehörigen erhöhten Aufkommen an Fahrzeug- und Personenverkehr. Bei laufendem Betrieb, wohlbemerkt. Und dies in einem so sicherheitssensiblen Raum wie einem Gefängnis. „Ein Gewaltakt.“

An der Grundausrichtung der JVA Oslebshausen könnten all diese Faktoren indes nichts ändern, schlägt Erdtmann den Bogen zurück zu dem, wie er seine Aufgabe begreift. Ziel bleibe es, die Gefangenen im Rahmen des jeweils individuell aufgestellten Vollzugsplans so gut wie möglich auf das Leben nach der Entlassung vorzubereiten. „Unser Ziel ist es, die Gefangenen frühzeitig auf Bewährung entlassen zu können.“

Dafür gehöre der gute Kontakt mit den Gefangenen unabdingbar dazu. „Höflich, aber bestimmt“, betont Erdtmann, der sich selbst jeden Donnerstag in Form von Sprechstunden Zeit für die Insassen nimmt. Dass dabei keine Wunder zu erwarten seien, läge in der Natur der Sache. Schließlich habe bei denen, die im Gefängnis landeten, in der Regel einiges nicht geklappt im Leben. „Aber wir versuchen es trotzdem. Den Anspruch haben wir.“

Info

Zur Sache

Aktuell 557 Gefangene in Oslebshausen

Die JVA Oslebshausen ist derzeit zu etwa zehn Prozent weniger belegt als im üblichen Jahresdurchschnitt. Grund dafür sind Sicherheitsmaßnahmen gegen die Corona-Pandemie wie etwa der verfügte Vollstreckungsaufschub beziehungsweise die Unterbrechung der Haft von Männern und Frauen, die Ersatzfreiheitsstrafen abzusitzen hätten, oder auch der Vollstreckungsaufschub für Gefangene, die zu Haftstrafen bis zu eineinhalb Jahren verurteilt wurden. Die Zahl der Gefangenen liegt aktuell bei 557. Am ersten März, also unmittelbar bevor die Schutzmaßnahmen gegen Covid-19 griffen, waren es 642. Diese Größenordnung dürfte bereits im September wieder erreicht werden, da am 31. August die Unterbrechung der Ersatzfreiheitsstrafen endet und die Staatsanwaltschaft von da an auch wieder wie üblich zum Haftantritt laden wird. 2019 hatte das Bremer Gefängnis eine Durchschnittsbelegung von 637 Gefangenen, vor fünf Jahren waren es durchschnittlich 512. Maximal möglich wären theoretisch 718. Allerdings gilt die JVA laut Justizbehörde wegen aus verschiedenen Gründen benötigter Reservekapazitäten mit einer Durchschnittsauslastung von gut 90 Prozent als voll belegt.

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