Rahel Hennemann hat die Kasse im Griff: Sie verkauft zwei Dosen „Bremer Babbeler Tee“ an einen Kunden: 11,80 Euro macht das. Die 22-Jährige arbeitet am Stand der Sozialen Manufakturen, ihre Schürze sitzt, die Katzenohren auch. Heutiger Arbeitsplatz: der Ziegenmarkt.
Vergangenes Jahr haben sich drei soziale Träger für ein besonderes Projekt zusammengeschlossen. Als Soziale Manufakturen stehen die gemeinnützige Gesellschaft für integrative Beschäftigung (GiB), die Justizvollzugsanstalt Bremen (JVA) und die Werkstatt Bremen/Martinshof mehrmals im Monat auf verschiedenen Wochenmärkten und verkaufen lokale, handgemachten und fair produzierte Produkte ihrer Einrichtungen: Tomaten-Salsa und Stahlgrills, Hopfenessig und Trinkschokolade, Beete für Garten und Balkon. Die Produktion und der Verkauf schaffen Arbeit für Menschen, die aufgrund von Beeinträchtigungen oder ihrer Lebenslage sonst keine hätten.
Angestoßen wurde das Projekt vom Gröpelingen Marketing. „Wir wollen das Image des Stadtteils verbessern und Unternehmen stärken“, sagt Svenja Weber. „Darum haben wir uns angeschaut, was im Stadtteil produziert wird.“ Weber ist die Projektleitung. 2017 hat die 33-Jährige die Sozialen Manufakturen als Werkstudentin angestoßen, vergangenes Jahr ist die Kooperation offiziell gestartet. Mit Marktstand und Online-Shop werden neue Vertriebswege geschaffen, die Produkte bekannter gemacht. Weber: „Wir bündeln die Arbeit der Träger auf besondere Art und Weise und tragen sie über die Grenzen des Stadtteils hinaus.“
In der Knasteria, dem Bistro der Justizvollzugsanstalt, kochen Insassen Chutneys und Salsas. In der Schlosserei fertigen sie Feuerkörbe und Grills an. „Handgemacht von bösen Buben“ lautet das Motto. Von diesem Werbespruch lassen sich aber nicht alle Bremerinnen und Bremer abholen. „Es gibt Momente, in denen Leute den Kopf schütteln, wenn sie hören, dass sie damit Menschen aus dem Knast unterstützen.“ Dabei ist es genau das, was die Sozialen Manufakturen erreichen wollen, sagt Weber: nachhaltig Sinn stiften und Perspektiven schaffen. „Die Teilnehmenden sehen ihre Produkte, bekommen Anerkennung. Das ist gut für ihr Selbstbewusstsein.“
Die Teilnehmenden bringen unterschiedliche Motivationen mit
So vielfältig wie die Produktauswahl sind auch die Teilnehmenden der Sozialen Manufakturen. „Wir sind ein ganz inklusives Team“, sagt Weber. JVA-Insassen, Menschen mit Beeinträchtigungen, Langzeitarbeitslose. „Das ist eine große Herausforderung, aber es funktioniert gut.“ Entscheidungen treffe die Gruppe gemeinsam: Auf welchen Märkten sie die Produkte verkaufen und wer wann arbeite. Aber man müsse berücksichtigen, dass die Teilnehmenden unterschiedliche Motivationen mitbringe. „Ein JVA-Insasse hat andere Vorstellungen und Wünsche als ein Mensch mit Beeinträchtigung“, sagt Weber. „Der will sich besonders gut stellen, um in Nachhinein auch einen Job zu finden.“
Acht Leute sind im Team der Sozialen Manufakturen. Rahel Hennemann ist seit Beginn des Projektes dabei. „Es gefällt mir ganz gut“, sagt sie. „Macht mir Spaß.“ Isabel Berger hat gerade ihren zweiten Arbeitstag. Ihr Job-Coach habe sie auf die Sozialen Manufakturen aufmerksam gemacht. „Ich arbeite gerne mit Menschen“, sagt die 24-Jährige.
Philipp Balke studiert Psychologie und ist als Werkstudent im Projekt. „Ich versuche, mich zurückzuhalten, damit die Teilnehmenden die Arbeit machen“, sagt der 34-Jährige. Manchmal sei das aber eine ganz schöne Herausforderung. „Wenn es voll ist, fühlt man sich gedrängt mitzuhelfen und schneller zu arbeiten. Für die Teilnehmenden ist es aber besser, das Tempo herauszunehmen und nur bei Problemen einzugreifen.“
Dienstags wird das Team darin geschult, wie sie die Produkte am besten verkaufen. Die praktische Umsetzung erfolgt dann auf den Wochenmärkten. Zwei bis dreimal im Monat, in Vegesack, Oslebshausen oder in der Innenstadt.
„Wir sehen nicht nach sozialer Einrichtung aus“
Auf gestapelten Gemüsekisten und Holzbrettern präsentieren sie die Ware, der dunkelblaue Pavillon und die einheitlichen Schürzen haben Wiedererkennungswert. „Wir sehen nicht nach sozialer Einrichtung aus“, sagt Weber. Noch bis 2022 werden die Sozialen Manufakturen aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds und vom Land Bremen gefördert, 370.000 Euro stehen zur Verfügung.
„Wir sind ein Modellprojekt, wir können viel ausprobieren“, sagt Weber. Das bedeutet aber auch, dass es keine Vorbilder gibt, an denen sich das Projekt orientieren könnte. Darum sei vor allem eins entscheidend: Flexibilität. „Bei unseren Kooperationspartnern sitzen Leute, dich sich dafür einsetzen, dass die Insassen der JVA eine Außenarbeitsstelle bekommen oder mit den Menschen mit Beeinträchtigung einüben, zu ihrem Arbeitsplatz zu fahren.“ Svenja Weber hofft, dass die Sozialen Manufakturen auch über den Förderungszeitraum hinaus bestehen bleiben.
„Mein Wunsch wäre es, das Projekt zu verstetigen und einen kleinen Betrieb mit sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen aufzubauen.“ Bis dahin wird noch einiges ausprobiert: Im September sind die Sozialen Manufakturen mit einem Pop-Up-Stand in der Markthalle 8. Weber: „Wir arbeiten gerade mit einem Gastro-Experten daran, dafür etwas besonderes zu kreieren.“