Herr Mäurer, Ihr Vorschlag, die Helenenstraße als Rotlichtbezirk zu sperren, ist vom Koalitionsausschuss nicht mitgetragen worden. Was halten Sie von dem Ergebnis?
Ulrich Mäurer: Wir haben zumindest erreicht, dass es keinen weiteren Ausbau gibt, durch den sich die Anzahl der Arbeitsplätze erhöht. Zufrieden bin ich aber erst, wenn anders über dieses Thema diskutiert wird.
Wie meinen Sie das?
Wenn es darum geht, Menschenrechte in anderen Ländern einzufordern, sind wir Weltmeister in feministischer Außenpolitik, aber bei uns selbst verschließen Politik und Bevölkerung leider oft die Augen. Teilweise gibt es ein fast schon romantisches Bild davon, dass die Frauen selbstbestimmt in diesem Gewerbe unterwegs sind, obwohl das Unsinn ist. Wir haben schätzungsweise eine halbe Million Prostituierte in Deutschland. Etwa dreiviertel davon kommt aus Bulgarien und Rumänien, es handelt sich also vor allem um Armutsprostitution, die nicht freiwillig geschieht. Ein ähnliches Bild zeigt sich im Übrigen auch in der Helenenstraße. Bei einer polizeilichen Ortsbegehung im Oktober sind dort 23 Frauen angetroffen worden. Zwölf davon kamen aus Rumänien, neun aus Bulgarien.
Es gibt in Bremen Stellen, die kritisieren, dass Prostitution oftmals mit Zwang gleichgesetzt wird. Die Beratungsstelle Nitribitt etwa sagte vor einigen Monaten im Interview mit dem WESER-KURIER, ein Großteil der Frauen übe den Beruf sehr wohl freiwillig aus. Wie kommt es, dass Sie dem widersprechen?
Die wenigsten Fälle erfüllen die strafrechtlichen Voraussetzungen. Aber jeder Mensch muss sich doch Gedanken machen, warum kaum noch Frauen mit deutscher Staatsbürgerschaft auf diesem Markt anzutreffen sind, dafür aber Tausende aus Rumänien und Bulgarien. Wir gehen in Bremen von etwa 500 Prostituierten aus. Es gibt sicherlich einen kleinen Teil davon, der der Prostitution selbstbestimmt nachgeht, aber bei dem Großteil ist das nicht der Fall. Die meisten Frauen sind nicht freiwillig hier, sondern ihre miserable finanzielle Lage und ihre Abhängigkeitsverhältnisse treiben sie auf den deutschen Markt. Für die Hintermänner ist das ein Milliardengeschäft.
Fällt es nicht aber auch in Ihren Zuständigkeitsbereich, gegen die Verantwortlichen vorzugehen, die hinter diesem System stecken?
Menschenhandel ist in Deutschland zwar verboten, lässt sich allerdings nur sehr schwer nachweisen. Die betroffenen Frauen sagen in der Regel, dass sie freiwillig hier sind und der Prostitution nachgehen. Sie leben in extremen Abhängigkeitsverhältnissen, teilweise ist die Familie im Heimatland involviert und sie werden massiv unter Druck gesetzt. Laut Bericht des Bundeskriminalamtes konnten 2022 etwa 300 Verfahren im Bereich Menschenhandel abgeschlossen werden. Das ist im Vergleich zu den tatsächlichen Fällen verschwindend gering.
Was kann aus Ihrer Sicht dann die Lösung für das Problem sein? Fordern Sie ein grundsätzliches Sexkaufverbot?
Ich habe zumindest Sympathien für das nordische Modell, nach dem Prostituierte sich nicht strafbar machen, deren Freier aber schon. Davon sind wir aber leider meilenweit entfernt. Andere Länder sind deutlich weiter. Die EU-Osterweiterung hat dazu geführt, dass sich Deutschland inzwischen zum Bordell Europas entwickelt hat. Zuletzt hat sich im August das Europäische Parlament damit beschäftigt. Der dort verabschiedete Bericht zeichnet ein klares Bild von Ausbeutung und sexueller Gewalt.
Kritiker eines grundsätzlichen Sexkaufverbots sagen, es würde die Arbeit der Prostituierten ins Verborgene verlagern.
Das sehe ich anders. Die Frauen haben in Ländern wie Schweden im Verhältnis zu den Freiern eine andere Handhabe. Die Freier ziehen im Zweifel, wenn sie sich nicht an zuvor getroffene Verabredungen halten oder gewalttätig werden, immer den Kürzeren.
Zurück nach Bremen. Wie geht es jetzt mit der Helenenstraße weiter?
Die Helenenstraße ist sicherlich nicht der einzige Grund für den Niedergang im Steintor, aber sie ist ein Brandbeschleuniger, der sich auch auf das Umfeld auswirkt. Der Ort ist ein Anziehungspunkt für Zuhälter, Freier, Sexgaffer und Drogenabhängige, die sich auf dem Ziegenmarkt aufhalten. Wir müssen dort nun mit allen möglichen Kontrollinstanzen verstärkt Präsenz zeigen. Ich könnte mir zudem vorstellen, dass wir am Ziegenmarkt eine Videoüberwachung installieren, um möglichst viel Abschreckung zu erzielen.
Apropos Abschreckung. Gibt es durch mehr Kontrollen nicht mehr Verlagerungseffekte, so wie es sich aktuell am Hauptbahnhof beobachten lässt?
Was ist die Alternative? Es einfach so weiterlaufen zu lassen? Wir müssen dem Stadtteil eine Chance geben, sich wieder anders zu entwickeln. Und der Großteil der Frauen arbeitet schon jetzt nicht in der Helenenstraße, sondern in Modellwohnungen. Deshalb braucht es eine Grundsatzdebatte zum Thema Prostitution.
Das Gespräch führte Kristin Hermann.