Frau Bernhard, die Debatte um den Ausbau der Helenenstraße hat zuletzt für viele Schlagzeilen gesorgt. Bevor am Montagabend der Koalitionsausschuss dazu tagt, hat sich Innensenator Ulrich Mäurer dafür ausgesprochen, die Helenenstraße zur Sperrzone zu erklären. Was halten Sie davon?
Claudia Bernhard: Die Vorstellung, wir schließen die Helenenstraße und sind dann die Probleme los, halte ich für blauäugig und gefährlich, weil sie die Frauen in die Illegalität treibt. Wir haben in anderen Städten gesehen, dass rigorose Maßnahmen gegen Prostitution und Sperrbezirke in der Regel nichts bringen.
Sie glauben also nicht, dass eine solche Maßnahme zur Verbesserung der Situation beitragen könnte?
Sanktionen versprechen keine Erfolgsgeschichte. In der Diskussion um die Drogenszene am Hauptbahnhof lässt sich derzeit gut beobachten, wie Verdrängungseffekte funktionieren. Ich betrachte das aus einer gesundheitspolitischen Perspektive, die mir häufig zu kurz kommt. Sanktionen lassen sich zwar schnell umsetzen, aber die Probleme tauchen meist an anderer Stelle wieder auf. Schwieriger ist es, Auffangmaßnahmen zu installieren, die langfristig wirken. Das ist mühsam, teuer und kostet Personal, das kontinuierlich auf der Matte steht.
Für Ärger sorgen vor allem Bauanträge, die auf eine Erweiterung der vorhandenen Arbeitsstätten schließen lassen. Anwohner beschweren sich bereits über die jetzigen Verhältnisse.
Ich halte eine maßvolle Ausweitung, die von entsprechenden Angeboten flankiert ist, für verträglich. Einige der jetzigen Bauten sind zudem in einem katastrophalen Zustand. Das müsste dringend verändert werden.
Der Platz in der Helenenstraße ist relativ begrenzt. Gibt es andere Orte in der Stadt, über die man nachdenken könnte?
Sie werden in Bremen keinen einzigen Ort finden, wo sich nicht irgendjemand gegen entsprechende Pläne auflehnt, das haben Beispiele wie im Buntentor in der Vergangenheit gezeigt. Was wir auf keinen Fall wollen können, sind Angebote am Stadtrand oder im Gewerbegebiet, in denen die Frauen schutzlos vor Übergriffen und Gewaltdelikten sind.
Kritik gibt es vor allem an der ausgeprägten Zuhälterszene rund um den Ziegenmarkt. Haben Sie keine Bedenken, ein Ausbau könnte die Situation verschlimmern?
Ich kann die Bedrohungssituation und die Sorgen der Anwohner nachvollziehen, aber man muss das differenziert betrachten. In der Helenenstraße gibt es keinerlei Nachweise zu Delikten. Der Ziegenmarkt ist nicht die Helenenstraße. Dort ist auch das Drogenmilieu ansässig und es werden Straftaten registriert, die nicht direkt etwas mit der Prostitution zu tun haben. Das verbindet sich in der aktuellen Diskussion aber zu einer sehr unseligen Mischung. Ich bin der Meinung, mit einer rigiden Begleitung von Polizei und Sozialarbeit haben wir eher eine Chance, bestimmte Strukturen aufzubrechen.
Dazu gehört auch das Thema Zwangsprostitution. Innenbehörde und Anwohner klagen über eine Zunahme. Teilen Sie diese Einschätzung?
Das lässt sich schwer einschätzen, ich kann es aber auch nicht ausschließen. Zwangsprostitution ist auch heute ein Straftatbestand, der unbedingt verfolgt werden muss.
Beratung gibt es schon jetzt, trotzdem scheinen sich die Zustände dort nicht zu bessern.
Eine Vertrauensbasis zu den Frauen aufzubauen, ist schwierig und langwierig. Wir haben über Monate ein Programm zur Ausstiegsberatung etabliert, in dem Sexarbeiterinnen Zugang zu Sprach- und Integrationskursen bekommen und sie dabei unterstützt werden, eine Stelle auf dem regulären Arbeitsmarkt zu finden. Die ersten zwölf Frauen sind inzwischen in Qualifizierungsmaßnahmen eingebunden, machen Praktika und bauen sich eine andere Perspektive auf. Ich halte solche Angebote auf Sicht für erfolgversprechender und notwendig, wenn man im Sinne der Frauen handeln will.
Die SPD positioniert sich bei dem Thema sehr deutlich, die Grünen haben ein Maßnahmenpapier erarbeitet, das man als Mittelweg deuten könnte. Was halten Sie davon?
Das Papier von den Grünen zeigt durchaus einen richtigen Weg auf. An einigen Stellen wünsche ich mir eine Konkretisierung. Neben Maßnahmen wie mehr Beleuchtung und Polizeipräsenz hat für mich Priorität, Beratungsprogramme auszuweiten. Sinnvoll ist sicherlich auch die stärkere Einbeziehung der Sexarbeiterinnen selbst in den Prozess. Wenn ich Unterstützung für die Frauen ernst meine, kann ich nicht alle Brücken abbrechen, die mühsam aufgebaut worden sind.
Das Gespräch führte Kristin Hermann.