"Manche versuchen's mit Pfeifen, aber auf Pfeifen reagier' ich nicht", sagt Diedrich Schoon. Und auf ein freundliches "Fährmann, hal över"? Ja, darauf hört er, da kommt er, sagt der Mann am Steuer der Sielwallfähre. "Ohne Weiteres, ja." Hal över ist plattdeutsch und heißt: "Hol über, setz mich über den Fluss". Das war früher der Ruf, mit dem man Fährleute ansprechen konnte. Heute ist "Hal Över" der Name des Schifffahrtsbetriebs, zu dem die Sielwallfähre gehört.

Die Fährverbindung zum Café Sand hat Tradition: Hier gab es schon einen Übersetzbetrieb, als der Stadtwerder noch vorrangig als Viehweide diente. Hier sieht man die kleine Fähre namens Ostertor beim Kreuzen.
Diedrich Schoon ist einer der Schiffsführer der traditionsreichen Fähre, die emsig zwischen Viertel und Café Sand hin- und her kreuzt. Anderthalb bis zwei Minuten dauert die Überfahrt. "Bei Hochwasser sind es knappe 120 Meter von einem Ufer zum anderen, bei Ebbe 80 Meter", sagt Schoon. Der 69-Jährige steht mehrmals pro Woche am Steuer der "Ostertor". Eigentlich wollte er den Job nur zur Überbrückung machen, um die letzten zweieinhalb Jahre bis zur Rente herumzukriegen, erzählt er. Inzwischen ist er im Rentenalter und fährt trotzdem weiter. "Weil es mir Spaß macht", sagt er.
Bremer Sielwallfähre fährt auch bei Sturm
In seiner kleinen Fahrkabine, im Steuerhaus, hat Diedrich Schoon etliche Gerätschaften und Utensilien. Das Funkgerät, seine Kaffeekanne, seinen Nudelsalat. Daneben das Radio mit den kleinen Boxen, die er morgens, wenn wenig los ist, auch mal ein bisschen aufdreht. Eine Glocke, die früher bei Nebelfahrten dazu diente, dass die Fähre von anderen Schiffen gehört wird. Rote Lollis liegen auf den Fahrkarten neben der Kasse bereit. Die verteilt Schoon an Kinder, die an Bord kommen. Und am Fenster klemmt ein kleiner Tidenkalender.

Neben den Fahrkarten hat Dietrich Schoon seine zweitwichtigsten Utensilien: Rote Lollis, die er an Kinder verteilt, die an Bord kommen.
Der Anleger auf dem Stadtwerder ist 20 Zentimeter niedriger als sein Gegenstück am anderen Ufer, erzählt Schoon. Bei starkem Hochwasser läuft das Wasser also schon mal bis zum Café Sand. "Dann kommen die Fahrgäste nicht auf die Fähre rauf, und deshalb fahre ich dann einfach nebenan auf den Strand rauf." Dass die Fähre von einem Unwetter ausgebremst wurde, hat er noch nicht erlebt. "In sechs Jahren habe ich den Betrieb noch nie eingestellt, ich fahre bei jedem Wind und Wetter." Bei Sturm schaukele das kleine Schiff schon recht ordentlich. Doch die Fische gefüttert hat bei ihm noch keiner, sagt Schoon – dafür ist die Überfahrt wohl schlicht zu kurz: "Ich hatte noch keinen, der sich übergeben musste."
Früher ist der gelernte Binnenschiffer durch ganz Europa geschippert: Auf Frachtschiffen war Schoon 26 Jahre lang unterwegs, fuhr über die Flüsse von Nord nach Süd. "Meine längste Fahrt war von Stettin über die Oder, über drei verschiedene Kanäle und dann den Rhein hoch bis nach Basel", erzählt er.
Lebensrettung auf der Weser
Heute ist sein Alltag geprägt von kleinen Begegnungen auf der kurzen Strecke von Ufer zu Ufer. Aber auch hier geht es manchmal ums Existenzielle. Neulich, erzählt der Schiffsführer, hat er mit seiner Fähre eine Frau aus dem Fluss gefischt. "Sie ist vom Café Sand zum Osterdeich durch die Weser geschwommen, und als sie zurückschwimmen wollte, verließen sie die Kräfte", erzählt Schoon. "Sie hat nicht damit gerechnet, dass die Strömung so stark war." Die Frau konnte nicht mehr weiter, war in Not, winkte. Schoon steuerte seine Fähre sachte zu ihr und ließ die Rampe runter. Fahrgäste zogen die Frau an Bord, brachten sie in Sicherheit. Ein Glück für die waghalsige Schwimmerin.
Meist aber ist der Alltag auf der Fähre ruhig. An Bord ist Schoon Steuermann, Kassierer und Fahrkartenkontrolleur in Personalunion. Er verkauft die Tickets, mit ihm sticht man in See. Allerdings ist er als Kassierer an diesem Vormittag selten gefragt. Die allermeisten, die hier entspannten Schrittes an Bord schlendern, sind Stammgäste und im Besitz einer Dauerkarte. Schoon kennt seine Passagiere fast alle. "Die meisten sind Kleingärtner, die auf der Werderinsel ihre Parzelle haben", sagt er. Mit vielen hat er einen kurzen Schnack auf den Lippen. Und wer die Fähre betritt, hat oft gute Laune. Zwei Männer, die gerade an Bord kommen, behaupten, sie würden den Fluss auf dem Rückweg durchaus auch zu Fuß überqueren. "Übers Wasser gehen, das hat schon mal jemand versucht", merkt der eine an. "Das werden wir ja später sehen", sagt Schoon und grinst.

Die meisten Fahrgäste sind Stammgäste mit Dauerkarten - viele Kleingärtner setzen täglich zur Werderinsel über. Dietrich Schon kennt also die meisten, die er an Bord mit ans andere Ufer nimmt.
Am Anfang habe er versucht, schnell zu sein bei der Weserquerung, erzählt Schoon. Doch das ließ er bald bleiben. Weil er merkte: "Für die Leute bedeutet die Überfahrt zwei Minuten Urlaub, da muss alles ruhig sein und kein Stress." Seitdem geht es bei ihm gemächlicher zu.
Nur wenn Werder spielt, tritt Schoon mal aufs Gas. Dann dreht die kleine Fähre auf. Maximal 15 Stundenkilometer schafft das Schiff mit seinen 110 PS – und das auch nur, wenn es mit dem Strom fährt. "Wenn Werder spielt, ist hier ein zweites Schiff mit im Einsatz, und wir bringen 800 bis 1000 Leute über den Fluss." Dann kreuzen die beiden Fähren unermüdlich hin und her, um die Schlange der Wartenden abzuarbeiten.
Eine gewisse Lust an der Wiederholung muss man haben für diesen Job, davon kann der Fährmann ein Lied singen. Hin und Her, und wieder Hin. Die Arbeit hat was Meditatives, eine gute Portion Gelassenheit muss man mitbringen. Und die hat Schoon. Jetzt fährt er seine Rampe hoch, legt ab, dreht bei und steuert das andere Ufer an. Es geht wieder los – zur kürzesten Kreuzfahrt der Stadt.