Integration und Inklusion werden in der Bremer Politik groß geschrieben. Im Arbeitsalltag behinderter Menschen ist Integration aber längst nicht selbstverständlich: Gut 1600 Arbeitgeber in Bremen und Bremerhaven müssten eigentlich körperlich oder geistig beeinträchtigte Mitarbeiter beschäftigen. Fast 1300 von ihnen erfüllen ihre gesetzlich vorgegebene Quote jedoch nicht. Das zeigt die Antwort des Arbeitsressorts auf eine Kleine Anfrage der CDU-Bürgerschaftsfraktion, mit der sich der Senat am Dienstag befassen will.
Im Jahr 2015, geht aus der Senatsantwort hervor, waren gut 3070 Pflichtarbeitsplätze für Schwerbehinderte in der Hansestadt unbesetzt. Damit ist diese Zahl im Vergleich zu 2012 sogar noch um etwa 250 gewachsen. Das bedeutet höhere Einnahmen aus der sogenannten Ausgleichsabgabe für das Bremer Integrationsamt.
Denn Arbeitgeber, die zu wenige Mitarbeiter mit Handikap beschäftigen, müssen für jeden unbesetzten Pflichtarbeitsplatz pro Jahr eine bestimmte Summe abführen. 2015 und 2016 kamen auf diese Weise jeweils etwa 7,6 Millionen Euro zusammen. Für dieses und das nächste Jahr wird ein Betrag von jeweils rund acht Millionen Euro prognostiziert.
Nur 37 Arbeitsassistenzen im gesamten Land Bremen
Die Abgaben fließen derart reichlich, dass das Integrationsamt – salopp gesagt – gar nicht weiß, wie es das Geld ausgeben soll. Die Mittel sollen behinderten Arbeitnehmern zugute kommen. Etwa dadurch, dass ihnen technische Hilfsmittel, die sie zur Ausübung ihres Jobs benötigen, finanziert werden. Oder dadurch, dass ihnen ermöglicht wird, eine persönliche Arbeitsassistenz zu bezahlen. Denn wer im Rollstuhl sitzt und womöglich auch seine Arme nur eingeschränkt bewegen kann, ist auf Hilfe angewiesen, um zum Beispiel Akten aus dem Regal zu wuchten.
Die Zahl der Arbeitsassistenzen, die über das Integrationsamt finanziert werden, ist jedoch gering. Im vergangenen Jahr waren es laut Arbeitsressort nur 37, davon 34 in der Stadt Bremen und drei in Bremerhaven. Dabei, auch das zeigt die Antwort des Ressorts auf die Kleine Anfrage, ist die Bewilligungspraxis grundsätzlich zurückhaltend. Einem behinderten Menschen, der Vollzeit arbeitet, werde regelmäßig nur für die Hälfte seiner Arbeitszeit eine Assistenz zugebilligt.
Der Grund: Das für die Fachaufsicht zuständige Senatsressort für Wirtschaft, Arbeit und Häfen habe das Integrationsamt angewiesen, die Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH) für seine Entscheidungen über entsprechende Anträge zu Grunde zu legen. Und in den BIH-Empfehlungen heißt es, dass in der Regel nur ein Unterstützungsbedarf von bis zu vier Stunden täglich bei einer achtstündigen Arbeitszeit erbracht werden soll.
Kritik an der Praxis von der CDU
Ob das mit den Buchstaben des Gesetzes in Einklang steht, wird von Juristen bezweifelt. Denn in dem einschlägigen Paragrafen des Sozialgesetzbuchs IX heißt es, dass Schwerbehinderte einen Anspruch auf Kostenübernahme der „notwendigen Arbeitsassistenz“ haben – jedenfalls solange das Integrationsamt sein Budget noch nicht ausgeschöpft hat. Was „notwendig“ ist, lässt sich aber kaum generell in einer Verwaltungsvorschrift festlegen, so die Kritik. Maßgeblich sei dagegen der konkrete Unterstützungsbedarf des Betroffenen.
Sigrid Grönert, in der CDU-Bürgerschaftsfraktion zuständig für Behindertenpolitik, hält die Bewilligungspraxis des Integrationsamtes deshalb für fragwürdig. Sie sei durch die Situation einer behinderten Bremerin, die im Rollstuhl sitzt, auf das Problem aufmerksam geworden. Solange das Jobcenter für die Frau zuständig war, seien die Kosten für die Arbeitsassistenz in voller Höhe – also Vollzeit – übernommen worden. Obwohl sich die gesundheitliche Situation der Betroffenen nicht verändert habe, habe das mittlerweile zuständige Integrationsamt eine Assistenz nur für die Hälfte der Arbeitszeit bewilligt. „Das ist für mich nicht nachvollziehbar“, sagt Sigrid Grönert. Deshalb habe sie der Sache auf den Grund gehen wollen.
Fehlende Mittel sind jedenfalls nicht das Problem des Integrationsamtes, geht aus der Antwort des Arbeitsressorts hervor. Ende 2012 war die Rücklage der Behörde auf fast zehn Millionen Euro angewachsen. Daraufhin wurden eigens Konzepte aufgelegt, um diese Summe Schritt für Schritt und möglichst sinnvoll zu reduzieren. Ende vergangenen Jahres lag die Reserve des Integrationsamts immer noch bei 5,6 Millionen Euro.