Seinen größten Triumph feierte Wilhelm Pohlmann am 7. Oktober 1951. Bei der Bürgerschaftswahl gelang der von ihm geführten "Wählergemeinschaft der Fliegergeschädigten, Vertriebenen und Währungsgeschädigten" (kurz: WdF) auf Anhieb der Einzug ins Stadtparlament. Zwar hatte die WdF nur in der Stadt Bremen, nicht in Bremerhaven kandidiert und war landesweit unter der Fünf-Prozent-Hürde geblieben. Weil aber auch damals schon getrennt gerechnet wurde, reichten die 5,3 Prozent im Stadtgebiet für den Paukenschlag. Pohlmann liebäugelte sogar mit einer Mitarbeit im Senat, einer entsprechenden Aufforderung werde sich die Wählergemeinschaft nicht verschließen, erklärte der 67-jährige Kaufmann.
Die Wahl rüttelte die politische Landschaft in Bremen mächtig durcheinander. Die neonazistische Sozialistische Reichspartei (SRP) schaffte mit 7,7 Prozent erstmals den Sprung in die Bürgerschaft, die konservative Deutsche Partei legte um mehr als zehn Prozent zu. Der massive Rechtsruck kam nicht überraschend. Vom "Wirtschaftswunder" war noch nichts zu spüren, ähnlich wie heute fühlten sich beachtliche Kreise der Bevölkerung von den politischen Vertretern im Stich gelassen. Die großen Wahlverlierer waren die CDU und die FDP, die SPD kam mit einem blauen Auge davon.
Auf die Mitwirkung der WdF und ihres streitbaren Vorsitzenden bei der Regierungsbildung legte Bürgermeister Wilhelm Kaisen (SPD) allerdings keinen Wert, lieber setzte er die Koalition mit den Liberalen fort und holte auf deren Wunsch auch die CDU ins Boot. Als einer von vier WdF-Abgeordneten saß Pohlmann knapp vier Jahre in der Bürgerschaft, ehe seine Politkarriere vor 70 Jahren ein jähes Ende fand – plötzlich und unerwartet starb Pohlmann am 11. Mai 1954. Doch wer war eigentlich dieser Pohlmann – und was hatte es mit dem heute etwas bizarr klingenden Namen seiner Wählergemeinschaft auf sich?

Unangefochtener Kopf der Fliegergeschädigten: der Kaufmann Wilhelm Pohlmann.
Zur Eigenbezeichnung verwendete die Wählergemeinschaft keine neue Wortschöpfung, sondern einen allgemein bekannten Terminus aus Kriegszeiten. Als "Fliegergeschädigte" bezeichneten die NS-Behörden Hausbesitzer oder -bewohner, die im Bombenkrieg ihr Hab und Gut verloren hatten. Der Volksmund sprach von "Ausgebombten". Dass auch Pohlmann zu ihnen zählte, liegt auf der Hand. Zwei Häuser hatte er 1943/44 verloren, das eine fünf Jahre nach einer vollständigen Sanierung.
Vor den Jahren des "Dritten Reichs" war der gebürtige Bremer politisch nicht hervorgetreten, war aber nach eigener Angabe "ein altes SPD-Mitglied" aus Familientradition. Unmittelbar nach Kriegsende rief er eine Interessengemeinschaft der Ausgebombten ins Leben, aus der im Dezember 1947 die Vereinigung der Fliegergeschädigten Bremens hervorging. Die Bremer Organisation schloss sich dem neuen, in Heidelberg gegründeten "Zentralverband der Fliegergeschädigten, Evakuierten und Währungsgeschädigten" an. Zur Begründung erklärte Pohlmann, "weder Staat noch Parteien" hätten den Betroffenen geholfen.
Sein Hauptziel: ein schneller Lastenausgleich, ein damals heiß diskutiertes Thema. Der Lastenausgleich war eine Art Solidarpakt zur Entschädigung derjenigen, die durch den Krieg und die Kriegsfolgen materielle Verluste erlitten hatten – dazu gehörten neben den Vertriebenen aus den Ostgebieten auch jene Deutschen, die wegen der Inflation der frühen Nachkriegsjahre und den Umstellungseinbußen durch die Währungsreform von 1948 finanziell gebeutelt waren. Vermögende sollten zum Ausgleich der Kriegslasten eine Abgabe zahlen. Oder, wie Pohlmann es formulierte: "Den Krieg haben letztes Endes nicht nur die Geschädigten verloren."
Im politischen Meinungsstreit teilte Pohlmann kräftig aus. Sein Zorn richtete sich unter anderem gegen Kinobetreiber, deren Lichtspielhäuser kurz nach Kriegsende nicht zu Wohnungszwecken umgebaut wurden. „Inzwischen machten und machen die Kinos glänzende Geschäfte und viele Ausgebombte darben weiter.“ Kaum weniger gnädig urteilte er über die Firma Karstadt oder „Prunkläden wie Grüttert“. Seine Attacken gegen Filz und Korruption in der Verwaltung endeten einmal sogar vor Gericht. Der Geschäftsführer der Gesellschaft für öffentliche Bäder, Adolf Jung, wollte sich nicht nachsagen lassen, er habe Maschinen aus dem Hansabad demontiert und verschoben.
Ein Dorn im Auge war Pohlmann jegliche Form ausufernder Bürokratie. „Die Betroffenen verlangen, dass nicht neue Ämter und Posten geschaffen werden und dadurch Unkosten, sondern dass ihnen weitgehendst geholfen wird“, so Pohlmann. Auf einer öffentlichen Veranstaltung im Juli 1949 kreidete Pohlmann dem Bürgermeister und seiner Partei an, sich nicht für die Fliegergeschädigten zu interessieren. Kaisen wehrte sich gegen die „verantwortungslose Darstellung des Herrn Pohlmann“. Was ihn besonders ärgerte: dass Pohlmann so tat, als fehle es den deutschen Stellen nur an gutem Willen. Resigniert schickte er seine Entgegnung an ein Vorstandsmitglied der Fliegergeschädigten mit der Bemerkung: „Ich weiß, dass es zwecklos ist, mit Herrn Pohlmann über diese Dinge zu sprechen.“
Dem staatlichen Handeln im Parteienstaat misstraute Pohlmann, überall witterte er geheime Absprachen. So behauptete er, die Deputationen würden in geheimen Sitzungen den politischen Kurs festlegen. Dieser Argwohn gegenüber dem Establishment dürfte der entscheidende Grund gewesen sein, sich selbst politisch zu engagieren. Zwei Mal kandidierte Pohlmann als Unabhängiger, zuerst bei der Bürgerschaftswahl im September 1947, dann auch bei der ersten Bundestagswahl im August 1949. Ganz bewusst führte er 1951 die Fliegergeschädigten als Wählergemeinschaft in den Wahlkampf, sie sollte gerade nicht als Partei agieren, sondern als Interessenvertretung politisch neutral sein.
Die Wählergemeinschaft war mithin der politische Flügel der weiter bestehenden Vereinigung der Fliegergeschädigten. Als wichtige Anlauf- und Beratungsstelle wurde sie von den Behörden anerkannt, dafür gab es monatliche Zahlungen – allerdings unter der strikten Auflage, das Geld nicht für politische Zwecke einzusetzen. Freilich brodelte es innerhalb der Vereinigung mit ihren knapp 2500 Mitgliedern, Pohlmann wurde "diktatorisches" Verhalten attestiert. Im Mai 1950 spaltete sich eine Gruppe ab und gründete die "Bremer Notgemeinschaft der Kriegssach- und Währungsgeschädigten".
Alles andere als reibungslos gestaltete sich auch das Verhältnis zu den Flüchtlingen und Vertriebenen. An sich zählten sie zur natürlichen Klientel der Protestbewegung. Pohlmann polemisierte allerdings immer wieder gegen die Vertriebenen, weil sie gegenüber den zahlreicheren Fliegergeschädigten bevorzugt würden. Kein Wunder deshalb, dass sich der neue Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) 1951 mit einer eigenen Liste zur Wahl stellte. Sehr zu seinem Ärger erhielt der BHE trotz landesweit 5,6 Prozent aber nur zwei Sitze – genau umgekehrt als die WdF war der BHE in Bremerhaven erfolgreich, scheiterte jedoch in der Stadt Bremen knapp an der Sperrklausel. Die Partei legte deshalb Beschwerde beim Staatsgerichtshof ein.
In der Bürgerschaft hatten die vier WdF-Abgeordneten den Status einer Gruppe, sie hospitierten bei der CDU-Fraktion. Nach Pohlmanns Tod bildeten seine Nachfolger mit dem Gesamtdeutschen Block/BHE (so der Parteiname seit 1952) eine fünfköpfige Fraktion. Bei der Bürgerschaftswahl 1955 trat die WdF nicht mehr an, der GB/BHE blieb chancenlos. Mit dem erst jetzt sichtbaren Aufschwung und dem Gesetz zum Lastenausgleich von 1952 verflüchtigte sich das Protestpotenzial der Zivilgesellschaft, die etablierten Parteien eroberten verlorenes Terrain zurück.