„Am 8. Dezember ist für uns ein Traum wahrgeworden, auf den wir 13 Jahre und acht Monate lang gewartet haben“, sagt Mohamad Haj Issa. Vor 13 Jahren, am 15. März 2011, sprang der Funke des Arabischen Frühlings auch auf Syrien über. Es folgten ein jahrelanger Bürgerkrieg und unzählige Gräueltaten. Nun ist innerhalb weniger Tage mit Baschar al-Assad ein Mann in die Flucht geschlagen worden, mit dem einige Alpträume der syrischen Bevölkerung zusammenhingen.
Der Sturz des langjährigen syrischen Machthabers hat bei Haj Issa nicht nur positive Emotionen ausgelöst. „Ich fühle mich glücklich und gleichzeitig geschockt.“ Glücklich, weil die Diktatur der Familie Assad nach mehreren Jahrzehnten nun endlich vorbei sei. Geschockt, weil auch die Erinnerungen und Bilder an all jene Menschen hochkämen, die in syrischen Gefängnissen gefoltert wurden und verschwunden sind.
Syrische Gemeinschaft Bremen umfasst 300 Mitglieder
Mohamad Haj Issa ist erster Vorsitzender der Syrischen Gemeinschaft Bremen (SGB). Der Verein hat sich 2019 gegründet und will das friedliche und effektive Zusammenleben zwischen Syrern, Deutschen und anderen Nationalitäten fördern, heißt es auf der Website. „Wir wollen eine positive syrische Kultur in Deutschland einbringen“, sagt Haj Issa. Aktuell ist in den Räumlichkeiten des Creative Hubs Bremen in der ehemaligen Professor-Hess-Kinderklinik eine Ausstellung des Vereins sehen. Zehn Künstler, die aus Syrien geflohen sind und nun in Deutschland leben, zeigen dort ihre Werke.

Mohamad Haj Issa, Vorsitzender der Syrischen Gemeinschaft Bremen.
Circa 300 Mitglieder habe der Verein, erzählt Haj Issa. Darunter befänden sich etliche Ethnien und Religionen syrischer Menschen, von Muslimen bis Christen, von Kurden bis Aleviten. Die Anzahl der Syrer, die im Bundesland Bremen leben, schätzt er auf ungefähr 30.000, 4000 bis 5000 davon in Bremerhaven. Das wären weitaus mehr, als das Statistische Bundesamt zum letzten Stichtag angegeben hat. Demnach wären es gut 18.800. Die allermeisten leben seit 2015 in Bremen.
Flucht aus Aleppo nach Bremen
Haj Issa ist aus Syrien geflohen, im August 2015 kam er nach Bremen, seine Familie konnte im Juni 2016 nachziehen. Mit Anfang 30 musste er seine Heimat verlassen. Vor dem Arabischen Frühling und der diktatorischen Zerschlagung durch Assad hat er Wirtschaftswissenschaften studiert und im Finanzbereich gearbeitet. Nun arbeite er mit jungen Geflüchteten und Deutschen zusammen, will den Deutschen etwas zurückgeben, sagt Haj Issa. Sein Haus in Aleppo steht wohl noch, genau weiß er es nicht. Zu wenig Informationen kämen aus Syrien nach Deutschland. Auch jetzt sei die Lage noch unklar.
Doch der 45-Jährige hat Hoffnung, dass sich nun die Lage für die Menschen in Syrien bessert. „Ich glaube, dass das syrische Volk von der Vergangenheit gelernt hat und versuchen wird, Demokratie und Freiheit zu erhalten“, gibt sich Haj Issa optimistisch. Bisher hätten die neuen Machthaber keinen Fehler gemacht und gute Botschaften der Verständigung an Christen, Kurden und andere Minderheiten und Ethnien in Syrien gesendet.
Syrer wollen in Deutschland bleiben
Das siegreiche Bündnis wird von der Islamistengruppe Haiat Tahrir al-Scham angeführt und hat nach dem Sturz von Assad mit der Bildung einer Übergangsregierung begonnen. Es ist unklar, ob Abu Mohammed al-Dschulani, Anführer der Miliz, seine Versprechen an die Bevölkerungen halten wird. Mit der Niederlage Assads sind die Kämpfe in Syrien nicht beendet, besonders in den kurdischen Gebieten kommt es immer noch zu Angriffen durch Milizen, die unter anderem vom Islamischen Staat unterstützt werden.
Haj Issa will in Deutschland bleiben, er besitzt inzwischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft. „Ich fühle mich hier wohl, Deutschland ist meine Heimat“. Es würde ihn freuen, wenn er in naher Zukunft zwischen Syrien und Deutschland reisen könnte, um seine Familie wiederzusehen und beim Aufbau zu helfen. Viele in der Gemeinschaft würden es ähnlich sehen.
"Unsere Kinder gehen hier zur Schule und sind mit der deutschen Sprache aufgewachsen“, so Haj Issa, "wir sind an das deutsche System und seine Gesetze gewöhnt“. Das gelte auch für ältere Bremer aus Syrien, die jetzt Kinder oder Enkel in der Hansestadt hätten. "Die sagen dann auch, wo meine Kinder sind, da bleibe ich", erklärt der SGB-Vorsitzende. "Wir haben alle Emotionen für Deutschland und seine wunderbaren Menschen."
Über allem stünde aber auch die Unsicherheit, wie es nun in Syrien weitergehe. Nach Ansicht von Mohamad Haj Issa braucht es Zeit und Arbeit, um sein Heimatland wieder aufzubauen. Wenn sich das Chaos lichtet, könnte auch bei vielen aus seiner Gemeinde wieder ein Traum erwachen, glaubt Haj Issa. Der Traum von einem friedlichen und demokratischen Leben in Syrien.