Keine Frage, natürlich wirke sich Corona auch auf Bremens Gerichte aus, erklärte Justizsenatorin Claudia Schilling (SPD) im Mai gegenüber dem WESER-KURIER. Betonte aber zugleich: „Der Pandemie zum Trotz kann der Rechtsstaat nicht einfach eine Pause machen.“ Was dies in der Praxis bedeutete, berichten Jan Stegemann, Pressesprecher am Landgericht, und Cosima Freter, Pressesprecherin am Amtsgericht, im Rückblick auf das Gerichtsjahr 2020.
Mit dem Lockdown Mitte März wurde der Publikumsverkehr so weit wie möglich eingeschränkt, den Richtern empfohlen, nur die nötigsten Verfahren zu terminieren und Sitzungstage möglichst zu entzerren, erinnert sich Stegemann. Für die Strafkammern wurde ein regelrechtes Saalmanagement eingerichtet: „Die Verfahren wurden nach dem erforderlichen Sicherheitsstandard und der Zahl der am Prozess beteiligten Personen kategorisiert und dann passgenau den Sitzungssälen zugewiesen.“
Parallel dazu wurden die Sitzungssäle für die Einhaltung des Mindestabstands präpariert, unter Einbeziehung des Betriebsarztes ein Lüftungskonzept erarbeitet, um die maximal zulässigen Personenzahl in jedem Saal festsetzen zu können, sowie Hygienemaßnahmen wie Sonderreinigungen ergriffen.
Drehbuch für Betreten der Säle
Hinzu kamen Details wie die Anschaffung von Dolmetscheranlagen, die das Übersetzen mit Mindestabstand ermöglichten, oder die Ausstattung der Säle mit Plexiglaswänden. „Es gab sogar ein Drehbuch, das zur Sicherung des Mindestabstands das Eintreten der Beteiligten in die Gerichtssäle regelte“, erzählt Stegemann. Ab Herbst galt zudem außerhalb der Säle im gesamten Gebäude eine Maskenpflicht.
„Nach dem Lockdown im März mussten wir unser Saalmanagement komplett umkrempeln“, berichtet auch Cosima Freter fürs Amtsgericht. Einige Säle sind unter Corona-Bedingungen gar nicht mehr und alle anderen nur noch eingeschränkt nutzbar. „Hieraus folgte insgesamt weniger Sitzungszeit und damit verbunden ein erheblicher organisatorischer Aufwand, um allen Abteilungen möglichst viel Zeit für Verhandlungen zur Verfügung stellen zu können und die Räume unter Corona-Bedingungen möglichst effizient zu nutzen.“
Wie am Landgericht galt auch am Amtsgericht zunächst das Gebot: verhandeln nur, wenn unbedingt notwendig. Zahlreiche Verfahren wurden im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft im Strafbefehlswege entschieden, Bußgeldverfahren, wo möglich, schriftlich erledigt. Trotzdem musste gerade in der Phase des ersten Lockdowns viel improvisiert und ausprobiert werden, sagt Freter. Eine besondere Herausforderung insbesondere für das Wachpersonal, wie sie betont. „Inzwischen haben wir aber ausreichend Schutzausrüstung und Schutzvorkehrungen, wie etwa die Plexiglaswände in den großen Strafrichtersälen.“ An dieser Stelle schließt sich ein Corona-Kreis im Bremer Justizwesen – die Schutzwände für Amts- und Landgericht wurden in der Justizvollzugsanstalt Oslebshausen hergestellt.
Ein weiterer Weg zur Einhaltung der Abstandsregeln waren „Auswärtsspiele“. So zog etwa das Amtsgericht wegen des erwarteten großen Andrangs von Medien und Publikum für das Verfahren gegen den wegen Volksverhetzung angeklagten Pastor Olaf Latzel in den Kleinen Saal der Glocke um. Und das Oberverwaltungsgericht für die Fortsetzung des Dauerstreits zwischen Bremen und der Deutschen Fußball Liga (DFL) sogar in den Großen Saal des Konzerthauses. Weitere externe Verhandlungsräume waren der Wall-Saal der Stadtbibliothek und der Große Innungssaal der Handwerkskammer. Für Lehrgänge und Klausuren der Jura-Referendare buchte die Justizbehörde außerdem unter anderem Räume im Haus der Wissenschaft, im Überseemuseum oder im Martinshof.
Unterm Strich befanden sich Amts- und Landgericht zum Jahreswechsel wieder auf Kurs, erklären deren Sprecher. Die Rückstände, die sich vor allem im Frühjahr in vielen Abteilungen des Amtsgerichts gebildet hatten, seien weitgehend abgebaut, sagt Cosima Freter. Und auch der Verhandlungsbetrieb bei den Strafsachen sei nur noch leicht eingeschränkt. Im Landgericht konnte die Verhandlungsdichte mit zunehmender Ausstattung der Sitzungssäle, den verstärkten hygienischen Schutzmaßnahmen und dank der externen Säle nach und nach wieder erhöht werden, berichtet Stegemann. „Im November haben wir wieder fast die Zahl der Sitzungsstunden des Vorjahres erreicht.“ Und die Haftsachen des Jahres 2020 hätten ohnehin alle fristgerecht und ordnungsgemäß durchgeführt werden können.
Digitale Verhandlungen
Zumindest in einer Hinsicht hat Corona auch Bremens Justiz vorangebracht – bei der Digitalisierung. Vor Ausbruch der Pandemie habe es praktisch keine Nachfrage nach digitalen Verhandlungen gegeben, berichtet Matthias Koch, Sprecher der Justizbehörde. „Vor Corona hatten wir eine stationäre Videokonferenzanlage und eine bedingt mobile Anlage, inzwischen wurden zwölf weitere mobile Anlagen beschafft, die von allen bremischen Gerichten genutzt werden können.“ Und dies sei erst der Anfang, weitere Beschaffungen seien in Vorbereitung, die Mittel dafür stünden bereit, betont Koch. Auch in Homeoffice-IT wurde investiert. Während Richter, Staatsanwälte und viele andere dazu schon vorher die Möglichkeit hatten, wurden nun noch einmal 43 Desktop-Geräte durch Laptops ersetzt.