Keine andere bremische Partei wurde in den vergangenen 72 Jahren derart von den Wählern gebeutelt wie die FDP. Die Liberalen hatten Glanzzeiten, von 1951 bis 1971 waren sie an der Regierung beteiligt. SPD-Bürgermeister Wilhelm Kaisen nahm sie als bürgerliche Kräfte bewusst für den Wiederaufbau in die Pflicht, obgleich die SPD von 1959 bis 1967 hätte allein regieren können. Die sozialliberale Koalition (seit 1959) ließ die FDP an der Besetzung der Professuren der Bremer Uni zerschellen. Von 1991 bis 1995 bot sich mit Roten und Grünen eine neue Chance des Mitregierens, sie endete im sogenannten Ampel-Gehampel.
Seit 23 Jahren müssen sich die Liberalen also mit der Opposition begnügen, 20 Jahre außerhalb des Parlaments, zwölf Jahre am Stück (1995 bis 2007). 1975 erzielten sie mit 13 Prozent ihr bislang bestes Ergebnis, ihr schlechtestes 2011 mit 2,4 Prozent. Und dann kam Lencke Steiner. Sie ist so ziemlich das Gegenteil aller bisherigen Funktionsträger. Die Unternehmerin verhalf der FDP mit 6,6 Prozent zu ihrem besten Wert seit 1991. Politisch bis dahin eher unerfahren und zur Wahl noch ohne Parteibuch, setzen die Bremer Liberalen auf ihre Frische und Präsenz.

Die Bewertung von Lencke Steiner (FDP). Grün bedeutet sehr zufrieden, rot steht für weniger zufrieden oder gar nicht zufrieden und grau bedeutet nicht bekannt oder nicht zu beurteilen.
Schließlich war die Strategie in Hamburg wenige Wochen zuvor aufgegangen, eine flotte PR-Managerin ließ die Liberalen an der Elbe auferstehen. Die "Süddeutsche Zeitung" bemerkte: "Bei den Wahlen dort führte Katja Suding die FDP wieder in die Bürgerschaft, was nach Ansicht vieler Beobachter auch daran lag, dass das Fernsehen recht ausführlich ihre Beine zeigte und sie auf diese Weise bekannter machte (...) Gemeinsam mit der Kollegin Suding und Nicola Beer trat Lencke Steiner wie eine Gymnastin, Discotänzerin oder Eiskunstläuferin im engen Anzug in der Klatschzeitschrift Gala auf. ,Drei Engel für Lindner', stand darüber."
Steiner redet Tacheles
Lencke Steiner setzt ihr Aussehen und ihr Privatleben gekonnt ein, ob sie sich auf Wahlplakaten wie ein Fotomodell die Haare rauft oder bei Facebook Selfies aus dem BMW-Cabrio postet. Fast 18.500 Personen haben ihre Facebook-Seite abonniert, kein anderer Politiker in Bremen hat bislang diese Reichweite. Als politisches Schwergewicht wird sie nicht wahrgenommen, Landeschef Hauke Hilz und seine Stellvertreter gelten als treibende Kräfte, was die politischen Leitlinien betrifft. Sie bleiben blass, wo Steiner schillert. Aber sie kann verkaufen, nicht nur Verpackungen, sondern auch liberale Inhalte. Sie redet Tacheles und so, wie ihr der Schnabel gewachsen ist. Das kommt an, vor allem in der eigenen Generation. Dabei schießt sie gelegentlich übers Ziel hinaus, wie ihre Äußerung über die Abwerbung ihres Unternehmens nach Achim gezeigt hat. Steiner ficht das nicht an. Sie hat ihren eigenen Politikstil gefunden, es schert sie anscheinend nicht, was andere davon halten.
Die FDP hat kühne Erwartungen für die Bürgerschaftswahl und liebäugelt mit einer Jamaikakoalition. Steiner stimmt die politisch Ihren auf ein zweistelliges Wahlergebnis ein. Zuletzt gelang das 1987.
Die Umfrage
Das Institut Infratest-Dimap hat im Auftrag des WESER-KURIER vom 13. bis zum 18. April 1002 zufällig ausgewählte Wahlberechtigte im Land Bremen telefonisch befragt. Alle Daten der repräsentativen Umfrage stellen wir seit Mittwoch in vier Folgen vor.