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Der Beitrag der Bauern Wie die Landwirtschaft Sonne, Wind und Biomasse nutzt

Eine wichtige Rolle könnte die Landwirtschaft bei der Energiewende spielen. Bauern besitzen Flächen, verfügen über Knowhow und sind an verlässlichen Einnahmen interessiert. Aber ganz so einfach ist das nicht.
02.09.2021, 23:25 Uhr
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Wie die Landwirtschaft Sonne, Wind und Biomasse nutzt
Von Marc Hagedorn

Niedersachsen will bis 2040 seinen Energiebedarf zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien decken. Eine wichtige Rolle könnte dabei die Landwirtschaft spielen. Bauern besitzen Flächen, verfügen über Knowhow und sind an verlässlichen Einnahmequellen interessiert. Aber ganz so einfach ist das nicht, wie drei Beispiele zeigen.

Hauke Meyer-Husmann betreibt Biogasanlagen

Hauke Meyer-Husmann führt seinen Gast über den Hof. Er zeigt auf die drei Biogasbehälter, jeder einzelne so groß wie ein Mehrfamilienhaus. Hier wird Biomasse wie Gülle, Mist oder Mais vergärt, nachgegärt und gelagert. Meyer-Husmann öffnet jetzt die Tür zu einem der vier Container des Blockheizkraftwerkes, hier wird das Gas verstromt; 500 Kilowatt pro Stunde, 4,3 Millionen Kilowattstunden im Jahr, so viel Strom, wie statistisch gesehen 1000 Vier-Personen-Haushalte in einem Jahr verbrauchen.

Zu Besuch auf dem Hof der Familie in Groß Lessen im Landkreis Diepholz. Hauke Meyer-Husmann ist ein Landwirt, wie ihn sich die Politik wünscht. Der 34-Jährige ist gut ausgebildet und an der Zukunft des Planeten interessiert. Zwei Biogasanlagen betreibt die Familie, zu der auch Vater Henry gehört, der vor 15 Jahren ins Geschäft mit Biogas eingestiegen ist. Bis dahin waren die Husmanns Schweineproduzenten. Heute halten sie zwar immer noch Sauen und mästen Schweine, 3000 Stück. Aber das größere Standbein ist Biogas. Die bei der Produktion anfallende Wärme dient zum Beheizen des Hofes, für das Wohnhaus und die Ställe. Der Rest wird ins Nahwärmenetz im Ort eingespeist. „Mehr Kreislauf geht gar nicht“, sagt Hauke Meyer-Husmann.

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Das hat die Politik damals gern unterstützt. Biogasanlagen waren Anfang der 2000er-Jahre das große Ding. Und jetzt? „Jetzt hängt sich kaum noch ein Politiker für Biogas aus dem Fenster“, sagt Meyer-Husmann. Auf 20 Jahre war die Förderung der Anlagen einst festgelegt. Die meisten Betreiber stehen jetzt oder in den nächsten vier, fünf Jahren vor der großen Frage: Wie geht’s weiter? Lohnt sich das noch?

Biogas ist auf der Beliebtheitsskala der politischen Entscheider hinter Windkraft und Sonnenenergie an die dritte Stelle gerutscht. Experten gehen davon aus, dass nach Ablauf der 20 Jahre nur 30 bis 50 Prozent der Anlagen weiter betrieben werden. „Und das ist doch verrückt“, sagt Meyer-Husmann, „man will die Energiewende, man braucht in Zukunft mehr Strom aus erneuerbaren Energien, nimmt aber in Kauf, dass funktionstüchtige Anlagen still gelegt werden.“

Biogasanlagen haben über die Jahre ein Imageproblem bekommen. Kritiker und Naturschützer bemängeln, dass durch den hohen Maisbedarf auf den Feldern Monokulturen entstanden seien. Außerdem bindet Mais beim Heranwachsen zwar CO2, das ist gut, allerdings wird beim Umwandlungsprozess in Strom und Wärme CO2 aber auch wieder freigesetzt.

Hauke Meyer-Husmann hält diesen Einwänden eine lange Positivliste entgegen. Längst nutze man deutlich weniger Mais als noch zu Anfang, sagt er. Rund 50 Prozent der Biomasse, die in ihre Anlagen gelange, bestünden aus Gülle und Mist, sowohl aus dem eigenen Betrieb, als auch von benachbarten Höfen. Der verbleibende Gärrest gilt als wertvoller Dünger. Und schließlich: Durch den Ausbau und die technische Weiterentwicklung können die Anlagen heute flexibel und zu jeder Jahreszeit nach Bedarf produzieren, heißt: mehr Strom am Tag und weniger in der Nacht und an den Wochenenden. „Wir decken auch die Spitzen ab“, sagt Meyer-Husmann, „und damit sind wir besser aufgestellt als Wind und Sonne.“

Trotzdem ging die jüngste Investition der Familie in die Landwirtschaft. Meyer-Husmann hat für seine Schweine einen neuen Stall bauen lassen, in der Premium-Variante, Haltungsform 4 auf Stroh. Das, so heißt es, sei die Zukunft der Tierhaltung.

Peter Ahmels setzt auf Photovoltaik

Peter Ahmels könnte, wenn er dürfte. Er könnte mit seiner Fotovoltaikanlage jede Menge Strom produzieren. Die Pläne für eine Drei-Megawatt-Anlage sind fertig, alles ist durchgerechnet und vom Gemeinderat abgesegnet. Aber weil das sogenannte Landesraumordnungsprogramm Anlagen auf Freiflächen wie Äckern nicht zulässt, darf Ahmels nicht loslegen.

Einmal durfte er schon, aber das ist inzwischen lange her. Ahmels, promovierter Landwirt und lange Jahre ein führender Kopf in der Deutschen Umwelthilfe, ist ein Pionier in Sachen erneuerbarer Energie. Ahmels hat im heimischen Friesland vor über 30 Jahren eines der ersten Windräder mit Netzanschluss gebaut. 2009 ist er bei Photovoltaik eingestiegen. „Wangerland wird Sonnenland“, schrieb die lokale Zeitung damals. Seitdem betreibt Ahmels auf einer Freifläche in der Nähe seines Hofes eine Ein-Megawatt-Anlage. Das war seinerzeit für kurze Zeit erlaubt.

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Der Ausbau von Photovoltaik in Niedersachsen ist ein Auf und Ab. Bis 2011 wuchs die Zahl der neuen Anlagen, danach nahm sie kontinuierlich bis 2016 wieder ab. Seitdem wächst die Zahl der Zubauten wieder, wie es im Energiewendebericht 2020 des Niedersächsischen Umweltministeriums heißt. Vor allem die privaten Hauseigentümer sind Schrittmacher der Entwicklung. Von den mehr als 17.000 neuen Anlagen im Jahr 2020 gehen 14.000 auf das Konto von Einfamilienhäusern. Die Dächer auf öffentlichen Gebäuden und Industrieanlagen werden erst langsam bestückt.

Noch eine Nische sind Freiflächenanlagen. Ahmels bedauert das. „Freiflächenanlagen wären eine sehr sinnvolle Ergänzung“, sagt er. Weil sie reichlich Strom produzieren könnten und das auch noch zu einem sehr guten Preis. Immerhin hat das Landeskabinett in Hannover gerade entschieden, dass Solarparks auf sogenannten benachteiligten Gebieten entstehen dürfen, also auf schlecht nutzbaren Rändern entlang von Autobahnen oder auf ertragsschwachen Ackerflächen.

Ahmels kann sich vorstellen, dass irgendwann auch auf genutzten Äckern und Grünlandflächen Solaranlagen stehen. Die Deutsche Umwelthilfe, der Ahmels inzwischen als Berater dient, befasst sich mit der Doppelnutzung von Böden. „Ich glaube“, sagt Ahmels, „dass ein grüner Standort seine ökologische Funktion wahrnehmen kann, auch wenn Solaranlagen darauf stehen.“  Solange das aber nicht allgemein anerkannt wird, liegen Ahmels‘ Ausbaupläne auf Eis. „Ich bin aber optimistisch, dass man merkt, dass nur Wind plus Sonne die Lösung sein wird.“

Bleibt die Frage nach der Akzeptanz solcher Anlagen im großen Stil in der Fläche. Tatsächlich stoßen Eingriffe ins Landschaftsbild traditionell auf Protest. Auch Ahmels will nicht, dass künftig ganze Landstriche mit Solarmodulen zugepflastert werden. Er fordert aber auch mehr Ehrlichkeit in der Diskussion. „Die Politik“, sagt er, „hat in den vergangenen Jahren Klimabeschlüsse ohne Ende gefasst und gleichzeitig geglaubt, die Leute vor Zumutungen bewahren zu müssen. Das eine geht aber manchmal ohne das andere nicht.“

Dass man Akzeptanz schaffen kann, hat Ahmels kürzlich festgestellt. In Bayern, „in der Höhle des Löwen“, wie er sagt, dort, wo die Windkraft „maximal unbeliebt ist“, begleitete er einen Beteiligungsprozess, viele Bürger meldeten sich zu Wort, vor allem auch junge Menschen. Das war der Pandemie und dem Einsatz der Neuen Medien geschuldet und hatte den erhofften Effekt: Nach einem Bürgerentscheid hat der Landkreis Ebersberg bei München jetzt Standorte für fünf Windräder genehmigt, mitten in einem Wald.

Henning Hagedorn glaubt an die Windkraft

Die Strecke bis zum Windrad ist kein Katzensprung. Henning Hagedorn muss schon ein paar Mal mehr aufs Gaspedal drücken, bis er am Ziel ist, einmal hier abbiegen, einmal dort. Gut zwei Minuten dauert die Fahrt vom heimischen Hof zu dem Windrad, das der Landwirt aus Cornau im Landkreis Diepholz vor ein paar Jahren auf seinem Grund und Boden errichtet hat. Es steht weit draußen zwischen Wiesen und Feldern an seiner Biogasanlage. Der Standort ist bewusst gewählt: Hier stört sich niemand daran.

Der Weg zum Windrad ist weit. Der Weg zum Windpark ist noch weiter. Gern würde Hagedorn seinem Besuch auch den Bürgerwindpark Drebber zeigen. Zwischen Moor und Bauerbruch, wie es hier draußen heißt, hätten nach dem Willen von Hagedorn und einem Dutzend Partner längst fünf Windräder stehen sollen. Aber auch nach acht Jahren und zwei gewonnenen Prozessen vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg ist von dem Park immer noch nichts zu sehen. Der gewünschte Standort, das ist der Streitpunkt, liegt außerhalb der sogenannten Sondergebiete. Nur in denen dürfen nach dem Willen von Kommunen und Kreisen noch neue Windanlagen entstehen, damit nicht überall Windräder in die Höhe ragen. Damit die Landschaft nicht, wie es heißt, „verspargelt“.

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Beate Zimdars, Geschäftsführerin Windenergie beim Landvolk Sulingen, kennt diese Konflikte. Neue Flächen für Windparks zu gewinnen, sagt Zimdars, sei ein hartes Geschäft. Die landvolkeigene Betriebs- und Dienstleistungs-GmbH, der Zimdars vorsteht, betreut zwölf Windparks im Landkreis Diepholz, die in 21 Gesellschaften mit rund 1000 Kommanditisten organisiert sind, darunter viele Landwirte. Zimdars Argument für Windparks: „Windenergie bringt Geld auf die Dörfer und in die Höfe.“ Etwa wenn Landwirte Flächen für Windräder verpachten. Das sichere bäuerliche Existenzen und stärke gleichzeitig ländliche Strukturen.

Rund 76 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien in Niedersachsen wird aus Windkraft – an Land und im Wasser vor der Küste – produziert. Trotzdem bleibt die Akzeptanz ein Knackpunkt. Immer wieder wird gegen den Bau neuer Anlagen geklagt. Die Argumente der Gegner sind bekannt: Die Windräder werden immer größer, sie machen bei Betrieb Geräusche und werfen bei Sonne mitunter lange Schlagschatten. Für Vögel können die rotierenden Blätter zur tödlichen Falle werden. Die Befürworter verweisen auf den technischen Fortschritt, darauf, dass Flügel heute weniger Verwirbelungen erzeugen würden, und dass die Anlagen inzwischen so hoch seien, dass viele Vögel buchstäblich drunter durch fliegen würden. 

Der Gesetzgeber hat zuletzt einiges dafür getan, damit die Branche nach Jahren des stockenden Windkraftausbaus zügig wieder Fahrt aufnimmt. Es gibt jetzt zum Beispiel die Akzeptanzabgabe. Anlagenbetreiber dürfen Gemeinden im Umkreis von 2,5 Kilometern bis zu 0,2 Cent pro erzeugter Kilowattstunde zahlen. Ein gutes Geschäft für beide Seiten, findet Zimdars. Der Betreiber holt sich das Geld von der Bundesnetzagentur wieder, „und derjenige, der auf die Windräder drauf guckt“, wie Zimdars es formuliert, „wird finanziell beteiligt.“

Henning Hagedorn bewirtschaftet 450 Hektar Ackerland und Grünflächen, dazu betreibt er Milchviehhaltung mit 180 Kühen. Seit einiger Zeit züchtet und verkauft er auch Rollrasen. Über sein Engagement für erneuerbare Energien sagt er: "Ich glaube nicht, dass wir heute noch Landwirtschaft betreiben würden, wenn wir damals nicht auch auf Energie gesetzt hätten.“

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