Die Beine und der Oberkörper sind bereits zu sehen. Charlotte Lietzau überlegt kurz, welches Manöver jetzt das richtige ist, um den weiteren Geburtsverlauf zu unterstützen. "Die Arme stecken noch fest", beschreibt sie. "Jetzt sollte es nicht mehr allzu lange dauern. Mit einem geübten Manöver sorgt die junge Frau dafür, dass sich der kleine Körper leicht dreht. Ein Arm und schließlich auch der zweite Arm rutschen nach vorn. Charlotte Lietzau umfasst den kleinen Oberkörper. Das Gesicht ist zu sehen, schließlich der ganze Kopf. Geschafft. Das Kind ist da. Eine schwierige Geburt? "Es geht", sagt die junge Bremerin. "Heute üben wir eine Geburt in Beckenendlage, das ist schon anspruchsvoll."
Charlotte Lietzau studiert im dritten Semester im internationalen Hebammen-Studiengang an der Hochschule Bremen. Vor vier Jahren ist die Ausbildung von Hebammen in Deutschland akademisiert worden. Der Weg in den Kreißsaal führt seitdem über den Hörsaal. Und, wie in Bremen, über ein Skills Lab – ein Trainingszentrum, in dem die späteren Hebammen theoretisches Wissen in einer möglichst realistischen Arbeitsumgebung üben können. In dem Skills Lab gibt es zum Beispiel eine Badewanne für Wassergeburten, einen Gebärhocker, einen Wickeltisch, medizinische Utensilien – und Simulationspuppen, mit denen unterschiedliche Geburtsverläufe geübt werden können.
Der Bremer Studiengang ist im Herbst 2020 mit jährlich 40 Plätzen gestartet, doppelt so viele wie zuvor an der Hebammenschule in Bremerhaven. Zum Studium gehört ein Auslandssemester. Nach vier Jahren haben die Hebammen einen Bachelor-Abschluss in der Tasche. Dann stehen ihnen viele Türen offen: Sie können in die Versorgung gehen, im europäischen Ausland als Hebamme arbeiten, weiter studieren, in Forschung und Lehre gehen, als Praxisanleiterinnen künftige Kolleginnen ausbilden.
"Die Nachfrage ist hoch. Es gibt rund 380 Bewerbungen. Grundsätzlich gibt es immer ein paar Abbrecherinnen, somit rechnen wir mit durchschnittlich rund 35 bis 37 Absolventinnen jährlich. Die Studierenden kommen, wie bei einem Studium üblich, sowohl aus Bremen und dem Umland wie auch aus ganz Deutschland – vereinzelt auch aus dem außereuropäischen Raum", sagt Hochschul-Sprecherin Meike Mossig.
Auf den angehenden Hebammen ruhen große Hoffnungen. Bundesweit gibt es einen Mangel – in der ambulanten Versorgung und in den Kreißsälen. In diversen Praktika knüpfen die Studierenden Kontakte zu Kliniken, Hebammenpraxen und Geburtshäusern. "Da gibt es schon Signale, dass man nach dem Studium auch gerne eingestellt würde", sagt Helena Inkermann. Die 34-Jährige ist eine der ersten Absolventinnen des Bremer Studiengangs, die im September 2024 ihren Abschluss machen.
"Ich möchte auf jeden Fall in der Versorgung arbeiten", sagt sie. "Wir wechseln sehr viel zwischen Theorie und Praxis, das zieht sich durch das gesamte Studium." Dazu kämen Themen wie Frauen- und Familiengesundheit, Gesundheitsförderung und Vorsorge, evidenzbasierte Medizin, Kommunikation, Ethik und Forschung. Die Anforderungen an die Hebammen-Tätigkeit hätten sich gewandelt. Die Akademisierung sei überfällig gewesen, betont die 34-Jährige. "Die Hebammenwissenschaft muss sich noch etablieren. Insgesamt wird das dem Berufsstand auf jeden Fall guttun."
Das unterstreicht Babette Müller-Rockstroh. "In der EU war Deutschland Schlusslicht bei der Akademisierung, wir haben keinen Anschluss mehr gehabt", betont die Professorin. Wichtig sei, dass Geburtsbegleitung nicht nur einfach so stattfinde, sondern das Handeln evidenzbasiert sei, wie jetzt im neuen Hebammengesetz festgelegt. "Das bringt uns zum ersten Mal in die Situation, dass wir selbst wissenschaftlich untersuchen können und uns nicht darauf verlassen müssen, dass dies andere Fachdisziplinen mit einem anderen Blickwinkel auf unsere Arbeit tun." Mit der Akademisierung sei die Hoffnung verbunden, dass Hebammen auch mehr Kompetenzen erhielten, wie es etwa in den skandinavischen Ländern oder in Großbritannien längst der Fall sei.
Das Studium und mehr Ausbildungsplätze alleine reichten aber nicht, um den Hebammenmangel anzugehen. "Wir müssen dafür sorgen, dass die Hebammen auch da bleiben, durch attraktivere Arbeitsbedingungen, bessere Bezahlung, die Eins-zu-eins-Betreuung von Schwangeren im Kreißsaal, bessere Personalausstattung und neue Versorgungskonzepte."
Wie viele der jährlichen Absolventinnen ab 2024 in die Versorgung in Bremen gehen werden, ist unklar. Der Hebammenlandesverband forderte im WESER-KURIER eine "Gesamtstrategie Geburtshilfe" und eine Verbleibstudie – um dies einschätzen zu können und basierend darauf, die entsprechenden Voraussetzungen zu schaffen. In den nächsten zehn Jahren gehe ein Großteil der Hebammen in den Ruhestand, warnte die Vorsitzende des Landesverbands, Christina Altmann. 60 Prozent der Mitglieder seien 58 Jahre und älter. Die Bremer FDP-Fraktion fordert vom Senat mehr Einsatz, um ausgebildete Hebammen in den Beruf zurückzuholen und angehende Hebammen zum Verbleib in Bremen zu bewegen – wie etwa der Landkreis Leer mit finanziellen Anreizen.
Mit dem neuen Studiengang werde ein größeres Einzugsgebiet der Bewerberinnen erreicht. Außerdem stiegen die Möglichkeiten zur Weiterqualifizierung nach dem Bachelor-Abschluss, sagt Bremens Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Linke). "Deswegen wird es sehr wichtig sein, dass wir genau wissen, wohin sich die Absolventinnen nach dem Studium wenden", betont Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Linke). Die 40 Plätze seien eine Verdoppelung zum vorherigen Ausbildungsangebot in Bremerhaven, mittelfristig könnten sie dazu beitragen, dass sich die angespannte Situation in der geburtshilflichen Versorgung verbessere.