Lange hat Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) abgewiegelt: Es gebe keine konkreten Pläne, Zelte für Flüchtlinge aufzustellen. Noch am Freitag hatte sie das vor Journalisten erklärt. Einen Tag später steht das erste Zelt auf dem Stadtwerder . Christian Weth hat mit der Senatorin über die Kehrtwende gesprochen – und darüber, wie es dazu kommen konnte, dass die alte Aufnahmestelle wegen massiver Ungeziefer-Probleme geräumt werden muss.
Frau Stahmann, haben Sie Ihre Behörde noch im Griff?
Anja Stahmann: Natürlich. Wir haben eine Fülle von Aufgaben, die wir schultern und erledigen – auch die Aufnahme von Flüchtlingen mit all ihren Schwierigkeiten gehört dazu.
Warum sprechen Sie denn dann an einem Tag davon, dass es keine konkreten Pläne für Flüchtlingszelte in Bremen gibt, und am nächsten steht das erste Zelt?
Das habe ich nicht.
Dann haben sich also viele Journalisten, die das berichten, verhört?
Ich habe gesagt, dass wir auch Zelte als Möglichkeit der Unterbringung prüfen. Und ich habe erklärt, dass wir Flüchtlinge ganz unterschiedlich unterbringen müssen. Und dass wir bei den steigenden Flüchtlingszahlen jede Option in Betracht ziehen müssen. Als ich am Freitag vor der Presse stand, war noch nicht klar, dass wir Zelte bekommen können.
Wann wussten Sie das?
Im Laufe des Nachmittags hat unsere Task-Force den definitiven Bescheid bekommen, dass uns ein Zelt bereitgestellt werden kann. Solche Zelte und Betten sind derzeit sehr gefragt.

Wehrt sich gegen Kritik und Vorwürfe: Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne).
Andere wussten das offensichtlich früher. In einer Mail, die das Sportamt am Freitag kurz vor 14 Uhr verschickt hat, wird der Zeltaufbau bereits angekündigt und dargestellt, wann die Flüchtlinge die Duschen der Sporthalle nutzen sollen...
Ich kenne diese Mail nicht, und ich weiß auch nichts von einem Duschplan. Ich mache viel, aber man würde verrückt werden, wenn man alles selber entscheiden müsste.
Warum haben Sie den Journalisten am Freitag nicht gesagt, dass Sie gerade dabei sind, Zelte zu ordern?
Vieles liegt im operativen Geschäft. Ich muss doch auf die verabredeten Arbeitsstrukturen im Haus vertrauen. Was ich am Mittag vor den Reportern gesagt habe, ist, dass Zelte nicht mehr auszuschließen sind. Das genau war der Sachstand.
Linke und SPD sprechen von einem Tabubruch: Zelte sollte es in Bremen nicht geben. Was sagen Sie dazu?
Wir haben immer gesagt, dass wir Zelte vermeiden wollen. Das haben wir in Bremen drei Jahre lang geschafft. Dafür hat die Behörde viele Anstrengungen unternommen. Wir haben geschafft, was viele nicht für möglich gehalten haben: praktisch die gesamte Stadt daran zu beteiligen, Flüchtlinge aufzunehmen. Wir arbeiten mit Wohnbaugesellschaften eng zusammen, mit freien Unternehmen, Kirchen und Privatvermietern. Nur haben wir jetzt einen Anstieg der Flüchtlingszahlen – bei Familien und Alleinstehenden um ein Dreifaches, bei Jugendlichen um ein Vierfaches –, der wie eine Naturgewalt ist: Niemand konnte das vorhersehen. Das zuständige Bundesamt hat in seiner Prognose noch im Februar den Anstieg fast komplett ignoriert. Von einem Tabubruch würde ich deshalb nicht sprechen.
Wovon dann?
Ich habe das Tabu in dieser speziellen Situation gelockert. Es ist doch eine Frage der Alternativen. Von den Parteien, zum Beispiel der Linken, ist kein Vorschlag gekommen, wie wir sonst auf die steigenden Flüchtlingszahlen reagieren sollen. Bis auf einen provokativen: Menschen im Park-Hotel unterzubringen. Das machen wir zwar nicht, dafür bringen wir sie längst in anderen Hotels unter. Wir reißen uns buchstäblich die Beine aus, um Möglichkeiten zu finden, Flüchtlinge aufzunehmen. Jeden Tag stehen weitere vor der Tür, manchmal 30 an einem einzigen Tag.
Damit wäre das Zelt auf dem Stadtwerder beim Lidice-Haus fast komplett ausgelastet. Auf dem Gelände ist noch Platz. Wird es dort weitere Zelte geben?
Am Lidice-Haus werden nicht mehr als 35 Jugendliche aufgenommen. Wir sind allerdings dabei, weitere Standorte für Zelte zu prüfen – dann auch für Familien und allein geflohene Erwachsene. Das müssen wir. Es wäre fahrlässig, wenn wir es nicht täten. Gleich am Montag haben wir ein Treffen, bei dem sich zeigen wird, ob das erforderlich wird.
Worum wird es noch gehen?
Vor allem darum, ob wir demnächst Flüchtlinge in einem leer stehenden Verbrauchermarkt unterbringen können. Wir erwarten eine Stellungnahme unseres Verhandlungspartners. Natürlich würden wir uns über eine Zusage freuen. Auch wenn wir nach Standorten für Zelte suchen, haben feste Unterbringungen Vorrang. Und Wohnungen haben klare Priorität.
Wie wollen Sie gewährleisten, dass die Hygienestandards auf dem Stadtwerder eingehalten werden?
Das neue Trägerkonsortium, zu dem auch wir gehören, arbeitet eng mit der Gesundheitsbehörde zusammen. Es nimmt das Zelt und die sanitären Anlagen auf dem Platz ab.
Die Gesundheitsbehörde beklagt diese Zusammenarbeit. Sie kritisiert schon seit Längerem, dass die Standards in der ehemaligen Zentralen Anlaufstelle in der Steinsetzerstraße nicht eingehalten wurden. Was sagen Sie dazu?
Das ist ein anderes Thema als Zelte...
Aber es geht nach wie vor um Hygiene...
Was die ehemalige Aufnahmestelle angeht, gibt es selbstverständlich auch eine enge Zusammenarbeit mit der Gesundheitsbehörde. In der Einrichtung hat es Probleme gegeben, auf die die Träger reagiert haben.
Aber nicht so früh, wie es aus Sicht der Gesundheitsbehörde möglich gewesen wäre?
Der frühere Träger hat schon seit Längerem versucht, die hygienischen Bedingungen in der alten Aufnahmestelle zu verbessern. Er hatte die Reinigungsintervalle erhöht, das Gebäude etagenweise saniert und Betten ausgetauscht sowie desinfiziert.
Die Probleme mit Hautkrankheiten und Ungeziefer sind geblieben. Das Gebäude muss jetzt geräumt und saniert werden. Warum ist das nicht gleich geschehen?
Angesichts der hohen Zugangszahlen an Flüchtlingen handelt die Gesundheitsbehörde auch verantwortlich. Sie weiß, wie schwierig die Zugangssituation in Bremen ist und entwickelt vor Ort umsetzbare Lösungen. Der bisherige Träger hat das umgesetzt, was möglich war: partielle Maßnahmen.
Flüchtlingsrat und Parteien werfen Ihnen vor, die Unterbringungsprobleme jetzt zu verschärfen, wenn die Aufnahmestelle wegfällt. Wie stehen Sie dazu?
Die Entscheidung, das Gebäude an der Steinsetzerstraße für vier bis sechs Wochen zu schließen, um es komplett zu sanieren, ist für mich alternativlos. Würde ich das Haus nicht schließen, würde es bei den schlechten hygienischen Zuständen bleiben. Auch daraus hätte man mir dann einen Vorwurf gemacht. Es gibt eine Notsituation – und auf die reagieren wir.