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In Bremen und Niedersachsen Missbrauchsskandale: Der Kirche droht eine neue Austrittswelle

Viele Katholiken sind wütend und enttäuscht darüber, wie ihre Kirche mit der Aufarbeitung von Missbrauchsskandalen umgeht. Es droht eine Austrittswelle, die eine neue Qualität hat.
02.02.2022, 19:00 Uhr
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Missbrauchsskandale: Der Kirche droht eine neue Austrittswelle
Von Marc Hagedorn

Die Veröffentlichung der Studie zur sexuellen Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im katholischen Erzbistum München und Freising liegt erst wenige Tage zurück, doch schon jetzt bekommen die Kirchen und Gemeinden in Bremen und Niedersachsen die Folgen zu spüren.

Beim Atrium Kirche im Schnoorviertel, dem Infozentrum der Katholischen Kirche, sind allein in der ersten Woche nach Veröffentlichung der Studie 71 Terminanfragen für einen Austritt eingegangen. Zum Vergleich: Im kompletten Jahr 2020 sind im Dekanat Bremen 593 Katholiken aus der Kirche ausgetreten. „Wir bewerten diesen deutlichen Anstieg als Reaktion auf den Missbrauchsskandal und auf den Umgang der Kirche damit“, sagt Martin Bruns, Leiter der Einrichtung.

Viele Gläubige sind wütend und enttäuscht. „Es gab in den vergangenen Tagen verärgerte Reaktionen, manchmal auch Fassungslosigkeit“, sagt ein Sprecher des Bistums Hildesheim, zu dem unter anderem die katholischen Kirchengemeinden in Bremen-Nord gehören.

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Während Kirchenmitglieder in Niedersachsen einen Austrittstermin beim örtlichen Standesamt ausmachen müssen, können sie dies in Bremen auch direkt im Kirchenbüro tun. Alternativ haben Bremer die Möglichkeit, ihre Austrittserklärungen beim Standesamt beglaubigen zu lassen und anschließend ans Kirchenbüro zu schicken. 5,50 Euro kostet dieser Service.

Beim Standesamt seien auf Wochen aber keine freien Termine mehr zu bekommen, teilt das Innenressort mit. Grund dafür ist neben der gestiegenen Nachfrage auch Corona. Um während der Pandemie die originären Aufgaben des Standesamtes nicht zu blockieren, wurde das Angebot zur Beglaubigung der Austrittserklärungen nicht weiter ausgebaut, obwohl die Nachfrage von Jahr zu Jahr steigt. Für die Zeit von 2017 bis 2021 hat allein das Standesamt Mitte fast eine Verdoppelung der Austritte auf beinahe 700 registriert.

Ähnlich ist die Entwicklung in Niedersachsen. Das Standesamt Vechta beispielsweise, das im nördlichen Teil des Bistums Münster liegt, zu dem unter anderem auch Oldenburg und Delmenhorst gehören, mag zwar nicht von einem Ansturm, wohl aber von einer „erhöhten Aktivität“ sprechen. Im Januar hat es dort 32 Kirchenaustritte in der katholischen und der evangelischen Kirche gegeben. Hoch gerechnet wären das knapp 400 am Jahresende und damit rund 150 mehr als im Vorjahr.

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Tatsächlich verlieren die beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland seit Jahren kräftig Mitglieder. 2020 sind 440.000 Menschen aus der katholischen und evangelischen Kirche ausgetreten, beide Kirchen waren davon in etwa gleich stark betroffen. Die Zahlen für 2021 werden erst im Sommer veröffentlicht.

Es sind Menschen, die aus dem Kernbereich der Kirche kommen.
Martin Bruns, Atrium Kirche

Besonders alarmierend jetzt: Inzwischen sind es offenbar nicht mehr nur Menschen, die die Kirche verlassen, um Steuern zu sparen, oder weil sie keine Bindung mehr zur Kirche haben. „Wir beobachten deutlich, und das auch schon seit dem vergangenen Jahr, dass es Menschen sind, die aus dem Kernbereich der Kirche kommen. Menschen, die aktiv mitmachen und etwa im Chor singen“, sagt Bruns vom Atrium Kirche.

Dieser Befund gilt auch für Osnabrück. Dort leitet Daniela Engelhard das Forum am Dom. Sie sagt: „Es sind viele Menschen sehr enttäuscht. Sie fragen sich, nachdem sie sich über Jahrzehnte engagiert haben, in der Katechese, in Frauengruppen, in der Familienarbeit, was sie noch hält in der Kirche.“

Die Austritte haben für die Kirchen finanzielle Folgen. Das Geld wird knapper. Dabei unterhalten die Gemeinden vor Ort oft Kindergärten und Schulen, sie bieten Hilfs- und Beratungsangebote an. „Die finanziellen Auswirkungen der Kirchenaustritte sind jedoch nur ein Aspekt in dem Geschehen“, sagt der Bremer Propst Bernhard Stecker, „viel mehr bedrängt mich die Frage, welcher Verlust an Relevanz des Glaubens darin deutlich wird. Es geht mir darum, dass die positive Botschaft des Evangeliums weiterhin Bedeutung hat für die Menschen. Davon zu sprechen und diese Botschaft mit Leben zu füllen, dafür arbeiten wir als Kirche in Bremen.“

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Wie die Zukunft der katholischen Kirche in Deutschland aussehen kann, wird derzeit beim Synodalen Weg erörtert, wo Laien und die Kirchenführung über Themen wie den Umgang mit Sexualität, den Umgang mit Macht in der Kirche oder die Rolle der Frauen diskutieren. Ab diesem Donnerstag findet die dritte Vollversammlung in Frankfurt statt.

Als einziger Vertreter für Bremen ist Propst Stecker vor Ort. Er hat in diesen Tagen einen Brief zur aktuellen Lage an die Mitarbeiter im Gemeindeverbund geschrieben. "Als Kirche geben wir derzeit kein gutes Bild ab", heißt es darin unter anderem. Mit Blick auf die Missbrauchsfälle in München schreibt Stecker, dass es kein „Weiter-so“ und keine Vertuschung mehr geben dürfe. Es müssten Konsequenzen gezogen werden auch für die innere Struktur der Kirche. "Als einer der Teilnehmer am Synodalen Weg möchte ich zu Reformen in der Kirche beitragen."

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