„Wir arbeiten mit teils schwerst verhaltensauffälligen, traumatisierten Kindern, von denen manche kaum beschulbar sind", so beschreibt Angela Schulz ihre Arbeit. „Von manchen Kindern wird man gekniffen, gebissen, gehauen oder gekratzt, das gehört bei uns zum Alltag dazu.“ Die 61-Jährige arbeitet beim Martinsclub, sie begleitet seit 26 Jahren Kinder mit Förderbedarf im Klassenraum und ermöglicht ihnen den Schulbesuch. Schulz ist eine von relativ wenigen Assistenzkräften, die diese Arbeit schon seit Jahrzehnten ausübt. In dem Berufsfeld gibt es eine hohe Fluktuation, viele bleiben nur kurz.
Derzeit fehlen rund 300 Assistenzkräfte an Schulen, die dringend für die Begleitung von Kindern mit Beeinträchtigung gebraucht würden. „Es gibt zu wenig Leute, die diese Arbeit machen wollen", sagt Axel Bergmann, ein Kollege von Angela Schulz, der ebenfalls als Assistenz arbeitet. „Nach Feierabend klingeln einem oft die Ohren", so der 43-Jährige. "Ich kenne eigentlich nur Leute, die das aus Überzeugung machen – Leute, die wissen, sie werden in diesem Job nicht reich, aber sie helfen anderen.“
Voraussetzung für die Arbeit ist eine pflegerische oder pädagogische Ausbildung, die Bezahlung für Assistenzen liegt laut Betriebsrat des Martinsclub bei einer Stelle mit 37 Wochenstunden je nach Eingruppierung zum Beispiel bei rund 1900 Euro netto. Die wenigsten haben Vollzeitstellen, die meisten arbeiten in Teilzeit. "Es wird bemängelt, dass es nicht genug Assistenzen gibt", sagt Angela Schulz. "Fragt man sich ansatzweise, warum das so ist? Weil neu eingestellte Menschen in einer derart niedrigen Gehaltsstufe arbeiten müssen, dass es kaum möglich ist, davon die Lebenshaltungskosten zu bestreiten."
Senat will Fachkräfte besser verteilen
Akut machen sich die beiden Assistenzkräfte Sorgen um das Modell, das Bremen für die Inklusion plant. Assistenzkräfte sollen künftig in der Regel nicht mehr einem einzelnen Kind zugeordnet sein, sondern der Schule, die entscheidet, wo ihre Assistenzen am sinnvollsten eingesetzt werden (wir berichteten). Konkret soll sich eine Assistenz künftig seltener nur um ein Kind kümmern, sondern für mehrere Kinder da sein. Ziel der Umstellung ist vor allem, die knappen Fachkräfte besser auf die Förderkinder zu verteilen. Zuletzt hatten viele Kinder gar keine Assistenz, obwohl ihnen eine zusteht. Das Modell wird vorerst an drei Gröpelinger Grundschulen ausprobiert und soll nach dem Willen des Senats bei Gelingen auf alle Schulen ausgeweitet werden.
Axel Bergmann und Angela Schulz sehen diesen Plan kritisch: „Die Assistenzen müssen sich dann mit ihrer Zeit und Energie zerreißen zwischen mehreren Kindern", befürchtet Axel Bergmann. Für manche Kinder sei es in Ordnung, dass nicht die ganze Zeit eine Assistenz sie begleite, doch andere bräuchten genau das dringend: „Bei vier von fünf Kindern mit Assistenz müsste meiner Meinung nach jemand die ganze Zeit daneben sitzen, damit sie überhaupt schulisch weiterkommen – viele würden sonst einfach träumen und herumtüdeln, das ist dann nicht Schule.“ Auch Angela Schulz betont: „Manche Kinder brauchen permanent jemanden bei sich.“
Die Bildungsgewerkschaft GEW, die auch Assistenzkräfte vertritt, beurteilt den Plan des Senats dagegen positiver: "Das ist ein gutes Modellprojekt, was da in Gröpelingen gemacht wird, denn nicht jedes Kind braucht den ganzen Tag eine Fachkraft", sagt Barbara Schüll von der GEW Bremen. Doch auch sie übt Kritik: Für viele Kinder sei gerade die kontinuierliche Begleitung durch eine Assistenz zentral. "Wir befürchten, dass dieser Ansatz ein Sparmodell ist. Es darf nicht sein, dass einzelne Kinder durchs Raster fallen."