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Theater Bremen "Ariadne auf Naxos": Klavierstunde für die Komiker

Surreal und rätselhaft: Frank Hilbrich inszeniert die Oper "Ariadne auf Naxos" von Richard Strauss am Theater Bremen als Alptraum eines Komponisten. Die Sängerleistungen sind vorzüglich.
30.01.2023, 17:45 Uhr
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Von Sebastian Loskant
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Wer einen Wirbelwind wie Nadine Lehner auf der Bühne hat, wird ihrer Rolle viel Raum geben. So hält es jedenfalls Regisseur Frank Hilbrich, der am Theater Bremen auf "Don Carlo" und "Hello, Dolly!" nun eine etwas verkopfte "Ariadne auf Naxos" folgen lässt. Richard Strauss führte für die heute übliche Fassung seiner Oper die Figur eines Nachwuchskomponisten ein, und diese Hosenrolle füllt Lehner mit schwarzem Lockenperücke, weinrotem Pulli und sympathischer Aufgeregtheit mitreißend aus. Selbst wenn sie im zweiten Teil nicht mehr auftritt: Hilbrich sorgt dafür, dass man den künstlerischen Feuerkopf und seine Ideale nicht vergissst.

Worum sich die Oper dreht

Der junge Tonsetzer hat seinen ersten großen Auftrag: Für das Fest eines Kulturmäzens durfte er die tragische Oper "Ariadne auf Naxos" schreiben. Die Königstochter Ariadne, die Theseus auf Kreta mit einem Wollfaden half, sich im Labyrinth des Minotaurus zu orientieren und das Ungeheuer zu besiegen, ist mit ihrem Helden durchgebrannt und wurde von ihm – göttliche Anordnung – auf der öden Insel Naxos zurückgelassen. Dort ersehnt sie den Tod, doch es erscheint Bacchus, Gott des Weines und der Ekstase.

Alles ist bereit für die Aufführung, aber der Komponist muss erleben, dass sein Gönner noch die Possen einer Komödiantentruppe in die Oper einbauen möchte. Das sorgt hinter der Bühne für große Aufregung, davon handelt der erste Teil. Nach der Pause ist dann das kuriose Ergebnis zu sehen: Fünf Komiker versuchen, eine traurige Primadonna aufzumuntern.

Was die Regie daraus macht

Solch ein Crossover würde man heute locker nehmen, im 19. Jahrhundert war so etwas Schändung von "hehrer Kunst". Diese konservative Haltung, gespiegelt im Idealismus des jungen Komponisten, inszeniert Regisseur Hilbrich ernst und konsequent. Auf den jungen Mann, der da zu Beginn mit seinem zweiten Ich am Konzertflügel (Noori Cho) um jede Note ringt, wirkt die normale Welt fremd. Prompt erlebt auch der Zuschauer ein surreales Geschehen voller Doppelgänger und Rätsel, den Alptraum eines Komponisten.

In den weißen Raum mit hohen Seitentüren, den Bühnenbildner Sebastian Hannak schafft, werden schwarze Flügel geschoben, ab Nummer fünf stehen sie senkrecht. Aus den Instrumentenbäuchen steigen die Sängerstars wie aus Särgen, dazwischen quetschen sich – Stimmen ihres Herrn – zwei extrem dicke, gebieterische Haushofmeister, die sich im Bürokratenton hinterherplappern. Die Komödiantentruppe um die kesse Zerbinetta schiebt neonfarbene Pilze herein, der Trip kann beginnen.

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Zwar gönnt Hilbrich dem Komponisten noch einen langen Kuss mit Zerbinetta, doch als alle immer heftiger an der dicken Opernpartitur herumrupfen, macht der junge Mann Ernst. "Lieber ins Feuer": Er steckt sein Werk in Flammen und versinkt zwischen den lodernden Flügeln. Ein starkes Bild.

Es wirkt nach. In der Oper hockt Ariadne zwischen verkohlten Partiturseiten und schwarzen Plastikplanen, aus denen sich bleiche Nymphen wie Todesengel erheben. Wir erinnern uns: Das Stück wurde 1916 uraufgeführt, mitten im Ersten Weltkrieg, als viel humanistisches Kulturgut in Fetzen flog. Wenn dann noch der Musikmeister, der zuvor den Komponisten zu Kompromissen überreden wollte, äußerlich  unverändert als Harlekin auftritt und die todtraurige Ariadne bespaßt, begreift der Zuschauer: Die um verlorenes Glück trauernde Prinzessin setzt die Kompromisslosigkeit des jungen Komponisten fort.

Was dabei irritiert

Zwar wechseln nun per Drehbühne die Räume, und manchmal ribbelt Ariadne hintersinnig an ihrem Faden, doch weitere gekippte und demolierte Flügel samt hartem Scheinwerferlicht lassen keine Unbeschwertheit zu. Prompt setzen die Szenen der Komödianten trotz einiger Farbtupfer (Kostüme: Gabriele Rupprecht) keinen echten Gegenakzent im Geschehen. Nicht nur die angedeutete Travestie wirkt ungelenk, das Herrenquartett im Ganzen wird als Trümmertruppe bloßgestellt.

Erst sehr spät wird deutlich, dass Hilbrich das Plädoyer für die "heilige Kunst" wohl kein zweites Mal ganz streng durchziehen möchte. Wenn Bacchus weinlaubbekränzt auftritt wie auf im Strandurlaub, ist Schmunzeln angesagt. Ebenfalls, wenn die Komiker zuletzt vor einem Berg von elf Flügeln dem neuen Paar in einer gutbürgerlichen Klavierstunde huldigen.

Wie es musikalisch läuft

Dazu passt, dass bei der Premiere auch die 36 Musiker der Bremer Philharmoniker unter ihrem neuen Musikchef erst im letzten Drittel in Fahrt kamen. Zuvor war Stefan Klingele bei gemächlichen Tempi darauf bedacht, den Sängern und ihrer Wortdeutlichkeit dienen. Das gelang ihm gut, aber hierdurch entwickelte das Kammerorchester über weite Strecken kaum eigenes Profil.

Umso mehr stach das Gesangsensemble heraus. Nadine Lehner mit ihrem höhensicheren Mezzo fand im Musiklehrer von Elias Gyunseok Han einen starken baritonalen Widerpart und in Nerita Pokvytyte eine im Timbre ähnliche Zerbinetta. Pokvytyte, noch durch eine Augen-Operation behindert, machte ihre große Arie zum Fest: Gar nicht soubrettig im Ton, vernahm man hier eine Frau mit Lebenserfahrung.

Dieser Koloraturkunst setzte "Ariadne" Sarah-Jane Brandon eine fabelhafte Legatokultur der weiten Bögen und eine dramatische Höhe entgegen. Christian-Andreas Engelhardt bewältigte die vertrackte Bacchus-Partie mit ihren Siegfried-Höhen souverän. Constanze Jader, Elisa Birkenheier und María Martin González bildeten ein berückendes Nymphen-Terzett. Auch in den kleineren Rollen passte alles. Mochte auf der Bühne manches sonderbar bleiben, musikalisch fanden Drama und Komödie prächtig zusammen.

Info

Die nächsten Aufführungen sind am 5. und 19. Februar um 18 Uhr, am 5. März um 15.30 Uhr, am 14. und 24. Februar sowie am 9., 11. und 17. März um 19.30 Uhr.

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