Paris, 1905: In der Galerie des Verlegers, Galeristen und Sammlers Eugène Blot treffen die Arbeiten eines Künstlers und einer Künstlerin aufeinander, deren Biografien zwar sehr unterschiedlich sind, deren Lebenswege sich in Frankreich aber dennoch kreuzten: Camille Claudel und Bernhard Hoetger. Rückblickend stellte die heute 120 Jahre zurückliegende Ausstellung sowohl für Claudel als auch für Hoetger einen Wendepunkt dar: Hoetgers Karriere nahm an Fahrt auf, Claudel stellte nur zwei Jahre später ihr Schaffen ein. Das Paula-Modersohn-Becker-Museum hat die Ausstellung in der Galerie Blot für "Camille Claudel & Bernhard Hoetger. Emanzipation von Rodin" mithilfe von einer – auch gezeigten – Fotografie, einem Katalogheft und Presseberichten rekonstruiert – und wie der Titel bereits verrät, um einige neue Aspekte ergänzt. Laut Kurator und Museumsdirektor Frank Schmidt ist es die umfassendste Werkschau mit Arbeiten von Camille Claudel in Deutschland seit fast zwanzig Jahren.
Was hat Auguste Rodin mit alledem zu tun? August Rodin (1840 bis 1917) galt zu seiner Zeit als Meister der modernen Bildhauerei. Er begann damit, echte Menschen ins Bild zu setzen, ihre Gefühle in den Fokus zu rücken, und viele andere haben darauf aufgebaut. Er wurde für zahlreiche Künstler zum Vorbild, so auch für Claudel und Hoetger. Um die Beziehungen der drei Künstler zueinander und die Abgrenzung von Claudel und Hoetger gegenüber ihres Vorbilds zu verdeutlichen, sind auch Arbeiten Rodins in der Bremer Ausstellung zu sehen – darunter ein Bronzeguss seiner berühmten Skulptur "Der Denker".
Wer war Camille Claudel? Ähnlich wie auch bei Paula-Modersohn-Becker wurde Claudels Talent und Schaffen stets ein wenig von ihrer eigenen Biografie überschattet. Geboren wurde sie 1864. Sie erschafft schon früh erste Terrakottafiguren, besucht Kunstkurse und mietet 1882 mit Kolleginnen ihr erstes Atelier. Zwei Jahre später fängt sie im Atelier von Auguste Rodin an, erst als Schülerin, schnell als Mitarbeiterin mit einem besonderen Talent für Hände und Füße. Außerdem wird sie seine Geliebte.
Dank Rodins Netzwerk bekommt auch Claudel zunehmend Aufmerksamkeit, doch aufgrund der sehr engen Zusammenarbeit von ihr und Rodin, bei der sich beide gegenseitig inspirierten, nicht nur der Meister seine Schülerin, sind Werkzuschreibungen in den späten 1880er-Jahren oft unmöglich. So habe auch die Bremer Kunsthalle, erzählt Schmidt, ein Werk von Claudel in ihrer Sammlung, von dem man lange Zeit dachte, es stamme von Rodin. In den 1890er-Jahren trennt sich Claudel von Rodin, auch, um sich von seinem Einfluss zu befreien, ihre eigene Sprache zu finden und nicht immer mit ihm verglichen zu werden.
In der Ausstellung sind nun 13 ihrer sehr kraftvollen wie sinnlichen Arbeiten zu sehen, darunter unter anderem eines der letzten von ihr beendeten Werke, die "Flötenspielerin", oder in verschiedenen Ausführungen die ausdrucksstarke Figur "L'Implorante" (Die Flehende). Bereits kurz nach der Ausstellung in Blots Galerie entwickelt Claudel erste Anzeichen einer psychischen Erkrankung, zerstört sogar einige ihrer Werke. Sie gerät in Vergessenheit und stirbt 1943 nach jahrelanger Isolation in einer psychiatrischen Klinik. Erst 1951 gab es eine erste Retrospektive. "Ausgerechnet im Musée Rodin", sagt Schmidt. Im Museum, das dem Mann gewidmet ist, von dem sie sich zeitlebens unbedingt lösen wollte. 2017 eröffnete in Nogent-sur-Seine das Musée Camille Claudel.
Und Hoetger?: Der deutsche Bernhard Hoetger (1874 bis 1949) kam 1900, noch komplett unbekannt, nach Paris, wo er sich langsam einen Namen als Bildhauer machte und erste Figuren seiner typischen Pariser Straßentypen und Arbeiter verkaufte. Sogar Rodin selbst lobte Hoetgers Stil. Seine weitere Karriere – die Bremer wissen dies – fand nach seiner Zeit in Paris größtenteils in Deutschland statt, wo er auch viel im Bereich der Architektur arbeitete. 1927 errichtete er das Paula-Modersohn-Becker-Museum in der Böttcherstraße. Vergangenes Jahr wäre Hoetger 150 Jahre alt geworden. Zu diesem Anlass entstand auch ein Kinofilm über sein Leben.
Fazit: Die Ausstellung hat sich viel vorgenommen. Mit knapp 60 Kunstwerken stellt sie nicht nur Leben und Schaffen zweier bedeutender Künstlerfiguren gegenüber und beleuchtet ihre persönlichen Entwicklungen. Sie wirft auch einen Blick darauf, wie Aspekte wie Geschlecht und Herkunft damals (und bis heute) eine Künstler(innen)karriere beeinflussen konnten und welche Rolle die aufkommenden Avantgardegalerien spielten. Klingt viel? Ist es auch. Und das kann kunsthistorisch ein wenig erschlagend sein. Spannend ist der Ausstellungsansatz dennoch.

Bernhard Hoetgers ”Loïe Fuller” entstand um 1901.