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Kinofilm "Bremen wird bunt" zeigt Nazi- und Wirtschaftswunder-Zeit in Farbe

Die Nazi-Zeit kennt man eigentlich nur in Schwarz-Weiß-Aufnahmen. In "Bremen wird bunt" ist das anders – auf restaurierten Filmaufnahmen ist die Stadt zu sehen, wie sie zwischen 1930 und 1959 wirklich war.
17.03.2023, 08:00 Uhr
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Von Frank Hethey

Für den Besuch Adolf Hitlers hat sich Bremen an diesem 1. Juli 1939 in Schale geworfen, ein Meer von knallroten Hakenkreuz-Flaggen schmückt die Stadt. Dann ein Kameraschwenk in den Hauptbahnhof, am Bahnsteig steht eine erwartungsfrohe Menge. Doch plötzlich ist Schluss mit den farbenfrohen Eindrücken, es geht nur noch in Schwarz-Weiß-Aufnahmen weiter. Das passt zur damaligen Ernüchterung, Hitler hatte es sich kurzfristig anders überlegt. Die Einweihung der nach ihm benannten Brücke überließ er Großadmiral Erich Raeder, den Bremer Volksgenossen zeigte er sich nur kurz am Abteilfenster – in schwarz-weiß, weil dem eifrigen Amateurfilmer die Farbfilmrollen ausgegangen waren.

Wer die ältesten Farbfilme aus Bremen zeigen will, kommt um die Nazi-Zeit nicht herum. Die braunen Parteiuniformen sind wirklich braun und nicht gräulich, die Schutzpolizisten tragen grüne Dienstkleidung. In dem neuen Dokumentationsfilm "Bremen wird bunt – Die Jahre 1930 bis 1959" ersteht eine Stadt aus der Vergangenheit, wie man sie nicht kennt und kaum für möglich gehalten hätte. Die Kinder planschen in blauem Wasser, die Frachter im Hafen lassen sich an den Schornsteinfarben zuordnen, nach dem Krieg rauschen die schwarz-gelben Lieferwagen des Bremer Kaffeeunternehmens Jacobs durchs Bild, liebevoll "Jacobs-Hummeln" genannt.

Die ältesten Farbaufnahmen sind 1930 im sogenannten Linsenrasterverfahren entstanden. Zu verdanken sind sie dem Delmenhorster August Hennings, der in der Neustadt als Ingenieur am Technikum unterrichtete, der heutigen Hochschule. Mit seiner Kamera streift er durchs pulsierende Faulenquartier, auch damals glänzte Bremen im Flaggenschmuck. Allerdings sind es keine Hakenkreuz-Flaggen, sondern die schwarz-rot-goldenen Flaggen der Weimarer Republik, die Farben der Revolution von 1848. Autor und Regisseur Daniel Tilgner vermutet: Man zeigte Flagge am 11. August, dem Verfassungstag. Doch nicht alle hielten es mit der Republik. Die schwarz-weiß-roten Flaggen des untergegangenen Kaiserreichs machten den republikanischen Farben ordentlich Konkurrenz.

"Bremen wird bunt": Fünf Stunden Filmmaterial wurden restauriert

Vor anderthalb Jahren begannen Tilgner und die Produzenten mit der Arbeit, neben Rainer Ballnus von der Bildungsbehörde die Bremer Film- und Fernsehproduktion Kinescope Film um Matthias Greving sowie Hermann Pölking, Geschäftsführer der Produktionsfirma "Helden der Geschichte". In rund 80 Archiven habe er sich nach Farbfilmen über Bremen erkundigt, sagt Pölking. Die Ausbeute der mühevollen Suche: fünf Stunden Farbfilmmaterial, die den Grundstock für "Bremen wird bunt" bilden. Für die Filmdokumentation wurden die Fundstücke nicht nur aufwendig restauriert, sondern auch mit Musik, Hintergrundgeräuschen und Wortfetzen hinterlegt. Als Sprecher führen Peter Kaempfe und Heidi Jürgens durch den Film, sie geben wieder, was Tilgner akribisch recherchiert hat. 

In "Bremen wird bunt" fließen auch Sequenzen aus professionellen Werbefilmen ein. Der Schwerpunkt liegt aber auf den privaten Filmaufnahmen zweier Männer, die sich die kostspieligen Agfa-Mehrschichtfarbfilme leisten konnten, die ab 1936 in Deutschland zu haben waren. Der eine war Franz Böhm, Betreiber der Sonnen-Garagen an der Sonnenstraße. Als Bremer Vertreter der Automarken NSU und Fiat verdiente er nicht schlecht, man sieht ihn im Kreise seiner Familie beim Ausflug ins Grüne und beim Umtrunk mit den uniformierten Kameraden vom NS-Kraftfahrerkorps.

Heiter und unbeschwert kommen auch die Farbfilmaufnahmen aus dem Fundus des Werbefachmanns Walter Hachenburg daher. Seine schwangere Frau begleitet er mit der Kamera zur Privatklinik, nach der Entbindung ist sie mit ihrem Töchterchen zu sehen. Wie Böhm lässt er sich auch selbst filmen, wie er als Reserveoffizier gewissenhaft die ordnungsgemäße Absicherung von Luftschutzräumen überprüft.

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Doch die Idylle trügt, der Zweite Weltkrieg steht vor der Tür. "Wir zeigen das heile Bremen, dann das kaputte Bremen", sagt Pölking – der Kontrast ist gewollt. Rauchende Trümmer geben einen Eindruck von den massiven Zerstörungen am Boden, einmal taucht Böhm mit einer fatalistischen Geste auf. Die Filmemacher lassen sich aber auch auf die Gegenperspektive ein und zeigen Ausschnitte aus der US-Dokumentation "The Memphis Belle" von 1944, die einen Bomber beim Luftangriff auf Wilhelmshaven begleitet. Berührend das Schicksal des eigentlich systemkonformen Walter Hachenburg, der nach Kriegsbeginn wegen seiner jüdischen Abstammung aus der Wehrmacht ausgestoßen wird und im Lager Farge landet. "Nach dem Krieg kehrt er wieder zurück", sagt Tilgner, "über seine Erlebnisse wurde nie gesprochen."

Wilhelm Kaisen und Carl F.W. Borgward treten "Bremen wird bunt" in Farbe auf

Das viel beschworene "Wirtschaftswunder" mitsamt dem Wiederaufbau kommt im letzten Drittel des Films zum Zuge. Da sind die Macher in ihrem Element – und natürlich in Farbe – zu bewundern: Bürgermeister Wilhelm Kaisen oder der Autoproduzent Carl F.W. Borgward. Vorm Dom biegt eine Straßenbahn auf den Domshof ab, auf dem Marktplatz reihen sich die Autos auf ihren Stellplätzen einander, direkt vorm Schütting ist ein Zebrastreifen aufs Pflaster gepinselt und der Norddeutsche Lloyd stellt seine fünfte "Bremen" in Dienst, die umgebaute "Pasteur" aus Frankreich. 

Um auch dem Umland etwas zu bieten, gibt es eine plattdeutsche Fassung und fürs internationale Publikum eine englische Version. In den Kinos soll "Bremen wird bunt" anderthalb Jahre laufen. "Wenn wir auf 15.000 Besucher kommen, sind wir ganz entspannt", sagt Produzent Pölking. Danach ist der Film für den Schulgebrauch vorgesehen, um den Kindern die Bremer Vergangenheit näherzubringen. Dass es sich dabei um einen vertonten Farbfilm handelt, kann laut Tilgner gar nicht hoch genug veranschlagt werden. Denn: "Für Kinder haben Schwarz-Weiß-Aufnahmen und die Tonlosigkeit damaliger Filme einen enormen Verfremdungseffekt."  

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Zehn exklusive Vorstellungen für Abonnenten des WESER-KURIER

Die 96 Minuten lange Filmdokumentation "Bremen wird bunt – Die Jahre 1930 bis 1959" wird an diesem Freitag um 19.30 Uhr in der Schauburg uraufgeführt. Für Abonnenten des WESER-KURIER gibt es zehn exklusive Vorstellungen vom 19. März bis zum 7. Mai, jeden Sonn- und Feiertag um 12 Uhr. Der Preis beträgt 6 Euro, Tickets sind im Pressehaus und in den regionalen Zeitungshäusern erhältlich.

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