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Theater Bremen Ein Filmteam außer Kontrolle

Italien ist das ewige Sehnsuchtsland der Deutschen, der Liederabend "Azzurro" spürt dem auf dem Goetheplatz nun nach. Dabei geht es manchmal sehr turbulent zu.
03.06.2023, 05:00 Uhr
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Ein Filmteam außer Kontrolle
Von Iris Hetscher

Simon Zigah klettert auf den schwarzen Flügel, der auf dem Goetheplatz steht. Der Mann, man muss es so sagen, ist eine Schau: buntes Jäckchen über einem halben, aber langen pinken Tutu. Glitzernde Plateau-Halbstiefel. Auf dem Kopf eine weiß-silbrig glänzende Perücke. Das Lied dazu: "Bello e impossibile". Gianna Nanninis Hymne von 1986, Gute-Laune-Garant und Schmachtfetzen in einem; Zigah singt ruppig-trotzig und einfach unwiderstehlich. Und dem Publikum, das an diesem empörend kühlen Donnerstagabend auf der Open-Air-Tribüne lauscht, wird etwas wärmer.

Es ist die öffentliche Generalprobe zu "Azzurro", dem "deutschen Italo-Pop-Abend", der am Sonnabend Premiere feiert. Tom Liwa hat die Produktion mit Regisseur Josef Zschornack erdacht und begleitet sie mit seiner Band. Liwa ist seit den 1980er-Jahren und seiner Band Flowerpornoes eine feste Größe im Deutsch(indie)pop. Im vergangenen Jahr erschien sein aktuelles Album mit dem Titel "Eine andere Zeit" mit Songs, über die der "Musikexpress" ehrfurchtsvoll schreibt, sie seien "Einzelgeschichten, die wie Stücke vom Lebenskuchen einer uns fremden Person auf einem Silbertablett serviert werden". Der deutsche "Rolling Stone" kürte das Werk gleich zum "Album des Jahres".

Klischees hinterfragen

Was hat so jemand mit Italo-Pop zu tun? "Bevor das Theater Bremen mich gefragt hat, hatte ich keinen großen Bezug zu dem Thema", sagt Liwa. Auch sei Italien kein Land, an das er viele Urlaubserinnerungen habe. Doch genau diese Herausforderung habe ihn gereizt. Erst einmal ploppten Klischees auf: Sonne, Spaghetti, la dolce vita, Bambini, la mamma. Liwa hat das gemacht, was man immer tun sollte mit Klischees: sie hinterfragen. Gleichzeitig ist er in diese spezielle Musikwelt eingetaucht, die von Cantautori wie Paolo Conte zum Rock von Gianna Nannini, vom Schlager eines Adriano Celentano bis zu plastikartigem Discosound reicht: "One for you, one for me".

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Hinter diesen "catchy Ohrwurmsongs", so Liwa, stecke oft nicht nur gute Laune. "Es sind viele Stimmungen gespiegelt, durchaus auch Depressives". Was so einfach klinge, berge musikalisch komplexe Strukturen, überraschende Akkordfolgen und Harmoniewechsel. Von daher sei für ihn schnell klar gewesen: "Wir wollen mit dem Abend so grandios wie möglich Erwartungen unterlaufen". Also gibt es keine simple Abfolge von größten Hits, sondern eine locker gestrickte Rahmenhandlung, dazu 13 Songs von Tom Liwa zwischen Euphorie, Nachdenklichkeit und Wut, zwischen Schlager, Indie-Pop und Psychedelia, alle ins Italienische übersetzt mithilfe von künstlicher Intelligenz. Außerdem sind "fünf bis sieben" Klassiker zu hören. Alles zusammen genommen: "Die Folklore einer erfundenen Ethnie".

Knallbunte Kulisse

Tatsächlich wirkt "Azzurro" so, als würde man für einen kurzen Moment mit den Gepflogenheiten eines merkwürdigen Stamms konfrontiert. Ein Film soll gedreht werden, in einer knallbunten Kulisse mit überbordend fantasievollen Kostümen (Ausstattung: Lucie Hedderich, Carla Maria Ringleb). Der Titel des Streifens lautet "Strada del Sole", schon ist man mittendrin, denn so heißt auch ein Lied von Rainhard Fendrich. Auftritt Levin Hoffmann, der den unbegabten Hauptdarsteller mit umwerfender Präsenz mimt. Er singt das Stück mit starkem Hang zur Parodie, als unglücklicher Mini-Macho.

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Was folgt, ist ein Spektakel, in dem der Film schnell in Vergessenheit gerät und dafür jede Figur die Chance erhält, sich musikalisch zu profilieren. Es sind Fragmente von Geschichten, oft urkomisch, manchmal traurig. Da gibt es den linkischen Neffen des verstorbenen Drehbuchautors (Jan Grosfeld), den Kameramann, der so gerne mal frei von allem sein würde (Martin Baum mit "Volare"). Lisa Guth als sehr coole Regisseurin fesselt mit einer verbissen dargebotenen Version von "Felicitá". Fania Sorel, mies behandelte Regieassistentin, rächt sich und zwingt bei "La Rita rossa" alle zu tanzen. Oder sie verabreicht in einer Drehpause Pasta – eine Szene, die in schönster Slapstick-Tradition völlig aus dem Ruder läuft. Auf dem Kopf von Produzent Simon Zigah landet sehr viel Spaghetti carbonara. Darauf eine Coca-Cola.

Info

Weitere Termine: 3. Juni (Premiere; ausverkauft), 4. Juni, 9. Juni (ausverkauft), 25., 28., 29. Juni, 2., 6., 8., 9. Juli, jeweils von 20 bis 21.30 Uhr. 

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