Die erste Kritik, die er als Neunjähriger bekam, hat er nie vergessen: "Ich wurde als ,der winzige, pausbäckige Daniel Sepec' beschrieben", erzählt der Geiger, der seit 1993 Konzertmeister der Deutschen Kammerphilharmonie ist. "Inzwischen bin ich gewachsen", bemerkt er lachend. "Und habe auch manche Kritik bekommen, aus der ich etwas lernen konnte."
Sepec zählt seit langem zu den anerkannten Größen seines Fachs, der 58-Jährige ist auf den Darmsaiten ebenso zu Hause wie auf den Stahlsaiten der modernen Violine. Zwei Violinsonaten Ludwig van Beethovens hat er mit Andreas Staier auf einer Geige eingespielt, die dem Komponisten selbst gehörte. Demnächst wird er eine CD mit Felix Mendelssohns Violinkonzert auf Darmsaiten aufnehmen. "Mit der Umstellung zwischen modernem und altem Instrument bin ich mittlerweile vertraut", sagt er. "Aber im Mendelssohn-Konzert mit den vielen hohen Noten ist besonders schwierig, auf Darmsaiten einen sauberen, schönen Ton zu erzeugen." Auch mit der E-Geige experimentiert Sepec gern, arbeitet dabei mit einem Soundkünstler und einer Band zusammen.
Wie kam er vor 31 Jahren nach Bremen? Sepec schmunzelt: "Ich bin in die Kammerphilharmonie hineingeschlittert." Bei einem Konzert vor 20 Leuten in Wien hätten ihn zwei Musiker des Orchesters zufällig gehört und angesprochen. "Was so ein kleiner Auftritt für eine Wirkung auf die eigene Karriere haben kann..." – darüber staunt Sepec noch heute.
In der Deutschen Kammerphilharmonie teilt sich Sepec die Konzertmeisterposition mit Sarah Christian und Jonathan Stone. Derzeit ist er vor allem an dem Projekt beteiligt, unter Paavo Järvi die zwölf Londoner Sinfonien Joseph Haydns aufzuführen und aufzunehmen: "Zyklen spielen wir möglichst in derselben Besetzung." Ansonsten schätzt er die Flexibilität, die ihm die Orchesterstruktur lässt. 42 Gesellschafter, von denen sich jeder verantwortlich fühlt und die Entscheidungen in Gesprächen und Proben wachsen lassen: Das unterscheide die Kammerphilharmonie etwa von den hierarchischer strukturierten Sinfonieorchestern, in denen er auch gespielt habe. "Als Sinfonieorchester mittlerer Größe funktionieren wir wie eine großes Kammermusikensemble."
Das gefällt dem gebürtigen Frankfurter, der in seiner Heimatstadt, in Berlin und in Wien ausschließlich von Kammermusikern ausgebildet wurde, darunter Gerhard Schulz, dem zweiten Geiger des Alban-Berg-Quartetts. Und es hilft ihm, seine vielen Aktivitäten zu koordinieren: als Professor an der Musikhochschule Lübeck, als Geiger im Alte-Musik-Ensemble Il Rosario, im Klaviertrio mit Pianist Andreas Staier und Cellist Roel Dieltiens und im Streichtrio mit Bratschistin Tabea Zimmermann und Cellist Jean-Guihen Queyras – "von ihm habe ich die Übetechnik mit ganz entspannter Körperhaltung übernommen". Dazu ist Sepec seit 1997 auch Konzertmeister des Balthasar-Neumann-Orchesters von Thomas Hengelbrock.
Bei so vielen Aufgaben kommt es selten vor, dass Sepec wie jüngst ein paar Tage daheim im Viertel durchschnaufen kann. Aktuell konzertiert und unterrichtet er bereits wieder in Japan, woher fast die Hälfte seiner Lübecker Studentinnen und Studenten kommt, seit gut zwei Jahren stehen die Termine fest. "In einem institutionellen Orchester, wo die Dienstpläne im Jahrestakt erstellt werden, hätte ich die Tournee womöglich kurzfristig wieder absagen müssen."
Die Zusammenarbeit mit jungen Musikern schätzt der Geiger, der nicht nur Monteverdi, Biber, Schubert und Bartók zu seinen Lieblingskomponisten zählt, sondern sich auch für Folk, Rock und Pop interessiert. Er liebt Crossover-Auftritte, erzählt begeistert von einem Auftritt im Sendesaal, bei dem er sich im achtköpfigen Ensemble quer durch die Stilrichtungen der letzten 500 Jahre improvisierte. Seine 18-jährige Tochter, das jüngste seiner drei Kinder, war als Popsängerin dabei.
"Es ist gut, dass Musik heute nicht mehr so strenge Schubladen kennt wie zu meiner Studienzeit", bemerkt der Kammerphilharmoniker. "Ich finde es sehr, sehr spannend, was manche Popmusiker machen, und möchte diese Welt in meine Arbeit integrieren." Er verweist auf den britischen Sänger Sting; der sei auch in mehreren Welten unterwegs, habe als Jazzmusiker angefangen, sich im Punk getummelt, dann wieder Songs von John Dowland aufgenommen. "Und ein großer Fan unseres Beethoven-Zyklus’ ist er auch."