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Moses Pelham im Interview "Ich wollte kein Teil einer Tötungsmaschine mehr sein"

Am Mittwoch spielt Moses Pelham mit seiner Band im Modernes. Im Interview spricht das Hip-Hop-Urgestein über Veganismus, Goethe und seine Teilnahme an der Vox-Show "Sing Meinen Song".
16.04.2018, 15:25 Uhr
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Von Nico Schnurr

Herr Pelham, Sie leiten Ihr aktuelles Album „Herz“ mit einem Goethe-Zitat ein. Würde Goethe verstehen, was Sie machen?

Moses Pelham: Ich kann gar nicht anders, als zu glauben, dass er mit meinen Songs etwas anfangen könnte. Das ist doch klar.

Sie sehen sich als Neuzeit-Goethe?

Das würde mir nie über die Lippen kommen.

Aber in seiner Tradition verstehen Sie sich schon?

Natürlich. Uns eint die Art, sich mit dem eigenen Leben und dem Leid auseinanderzusetzen. Wir teilen diesen Blick von Frankfurt auf die Welt, den Versuch, zu verstehen, was da draußen passiert, das Mitgefühl und die Verwunderung.

Sie wurden mit der Goetheplakette der Stadt Frankfurt ausgezeichnet. Die Ehre teilen Sie sich mit Namen wie Adorno oder Reich-Ranicki. Ist Hip-Hop in der Mitte der Gesellschaft angekommen?

Ich glaube schon, das kann man so sehen. Zumindest kommen wir dem immer näher.

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Vor fast 25 Jahren erschien das erste Album Ihrer Band Rödelheim Hartreim Projekt. Heute werden Sie deswegen als Vater des deutschen Straßenraps bezeichnet. Davon halten Sie nicht so richtig viel, oder?

Damit kann ich besser leben, als wenn mich jemand für den Erfinder von deutschem Gangsta-Rap hielte. Wir waren einfach eine der ersten Bands, die versucht haben, deutlich und direkt zu formulieren, was wir empfanden.

Auf Ihrem Song „Neubeginn“ distanzieren Sie sich vom Straßenrap-Status-Quo. Fühlen Sie sich manchmal alt, wenn Sie hören, was gerade so angesagt ist?

Natürlich, Hip-Hop ist nun mal eine Jugendkultur und ich bin keine 15 mehr. Mich treiben andere Sachen um. Der Song ist eine Positionierung. Ich habe eben auch andere Zeiten erlebt und eine andere Vorstellung davon, wohin sich das Genre entwickeln sollte. Trotzdem glaube ich, dass genug Platz für alle in dieser Szene ist.

Ihr Vater war Blues-Musiker und Soul-Sänger. Wie hat er Ihr Verständnis von Hip-Hop geprägt?

Erst als ich begonnen habe, alte Platten zu sampeln, habe ich gemerkt, dass mein Vater die viel bessere Plattensammlung besitzt. Wahrscheinlich hat er mir den Sinn für Harmonien und einen Hang zur Tiefe in die Wiege gelegt. Er hat mir vorgelebt, wie viel Trost man aus Musik ziehen kann.

Sie haben an „Sing meinen Song“ teilgenommen. Drei Songs aus der Vox-Sendung sind auf Ihrem neuen Album gelandet. Warum hatte die Show so einen großen Einfluss auf die Albumproduktion?

Im Gegensatz zu meinen Kollegen, die dort mitgewirkt haben, kann ich nicht einfach ein Lied nehmen und es anders darreichen. Meine Ausdrucksform ist ja eine komplett andere: Sie singen, ich rappe und produziere. Deswegen musste ich eine andere Herangehensweise finden, um zu einer neuen Version eines Songs zu kommen. Ich musste mir diese Songs ganz und gar zu Eigen machen. Ich habe da so viel Aufwand betrieben, dass die eigentlich fremden Songs ein Teil von mir wurden. Deswegen sind sie auf meinem Album.

Und das war keine strategische Entscheidung, um die Vox-Zuschauer abzuholen?

Nein, überhaupt nicht. Natürlich ist ein Song wie „You remember“ erst mal ein Gentlemen-Cover. Aber Sie glauben doch nicht, dass ich das als einen Coversong empfinde? Das ist mein Lied. Ich habe keine Kontrolle über meine Kunst. Wenn es gut läuft, entsteht etwas, das meinen Nächsten erklärt, wer wir sind. Bei „You remember“ war das so. Da saßen Leute aus meinem Umfeld im Studio und haben geweint, als sie das Lied gehört haben. Wie könnte ich so einen Song nicht auf mein Album nehmen?

Woher wussten Sie eigentlich, worauf Sie sich bei dem Format einlassen? Es heißt, Sie haben seit über zehn Jahren keinen Fernseher mehr.

Als ich mit Xavier Naidoo an dem Album „Nicht von dieser Welt 2“ gearbeitet habe, moderierte er die Show noch. Bei Xavier zu Hause musste man die Sendung schauen, das ging gar nicht anders.

Und warum hat Ihnen gefallen, was Sie da gesehen haben?

Es gibt kaum eine andere Sendung, die sich so interessiert und behutsam mit Musik auseinandersetzt. Das ist ein erfolgreiches Popformat und gleichzeitig wahnsinnig tief, weil es die Kunst wirklich ernstnimmt. So eine Sendung würde man sonst nur auf Arte vermuten.

Anderes Thema: Sie haben sich lange vegetarisch ernährt. Jetzt leben Sie vegan. Warum?

Bei dem offensichtlichen Leid und der fürchterlichen Ungerechtigkeit, die mit dem massenhaften Abschlachten und Ausbeuten von Tieren einhergeht, muss die Frage eher lauten, warum ich das überhaupt so lange ignorieren konnte.

Und warum konnten Sie?

Ich habe verdrängt. Zwei Wochen lang habe ich kein Fleisch gegessen, dann stand ich wieder bei McDonald’s und habe mir einen Big Mac gekauft. Irgendwann ging die Vorstellung, Teil einer riesigen Tötungsmaschine zu sein, aber einfach nicht mehr klar für mich. Ich wollte das nicht mehr.

Hatten Sie keine Angst, als Veganer auf Lebensqualität verzichten zu müssen?

Doch, aber das bisschen Lebensqualität war mir das Leid der anderen Lebewesen nicht mehr wert. Jetzt gibt es eben Falafel ohne Halloumi. Für mich fühlt sich das nicht nach Verzicht an.

Sie haben sich für Peta eingesetzt und eine Kampagne gegen Homophobie unterstützt. Wie wählen Sie Ihr Engagement aus?

Ich unterstütze, was ich für wichtig halte. Das müssen Sachen sein, bei denen ich glaube, etwas zum Thema beitragen zu können. Ich kalkuliere das nicht, sondern lasse mich da von meinen Gefühlen leiten. Wie in meiner Musik.

Acht Jahre, zwischen 2004 bis 2012, haben Sie kein Soloalbum veröffentlicht. Warum?

Ich war unzufrieden mit dem Bild, das ich als Künstler abgegeben habe. Auf „Geteiltes Leid 2“ bestand jeder zweite Song aus Erklärungen, warum ich der Tollste bin. Ich habe diese Texte wie aus Reflex geschrieben. Alte Battle-Rap-Tradition. Diese Selbstdarstellung war mir irgendwann unfassbar unangenehm.

Weil das nicht zu einem Erwachsenen passt?

Ja, in dieser Zeit habe ich versucht, eine Form zu finden, die mir als erwachsenem Mann steht. Dieses Beschweren musste aufhören. Ich wollte keine Klagelieder mehr schreiben. Mit meiner Negativität habe ich immer nur die nächste Katastrophe angezogen. Ich sehnte mich nach Konstruktivität in meinen Songs.

Auf „Herz“ klingen Sie tatsächlich positiver.

Wir alle können entscheiden, worauf wir unseren Blick richten. Man kann nicht glücklich werden, wenn man nur das Schlechte sieht. Ich halte jetzt nach Dingen Ausschau, die positiv sind. Seitdem geht es mir besser. Und das hört man in meinen Songs.

Das Gespräch führte Nico Schnurr.

Zur Person

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Moses Pelham

ist ein 47-jähriger deutscher Rapper, Musikproduzent und Plattenlabel-Chef. Sein aktuelles Album "Herz" stieg 2017 auf Platz zwei der Charts ein.

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