So reizvoll die 200. Spielzeit der Bremer Philharmoniker bisher künstlerisch verlaufen ist, so rumpelig ging es in der Administration zu. Erst sorgte ein vermeintlich riesiger Schuldenberg für Entsetzen, etliche Zeit später stellte sich heraus, dass dem Millionenminus eine falsche Berechnung zugrunde lag. Bis heute konnte die Kulturbehörde nicht mitteilen, wie hoch das Defizit wirklich ist.
Organisatorisch hakte es nach dem Weggang altgedienter Mitarbeiter ebenfalls: Dem Vernehmen nach wurden dann schon mal die Kollegen vom Stadttheater Bremerhaven um Rat gefragt. Zuletzt warf der neue Intendant Guido Gärtner nach einem Jahr entnervt die Brocken hin. Als Interimsgeschäftsführer konnte Norbert Kölle vom Focke-Museum gewonnen werden (wir berichteten), die Suche nach einem Intendanten hält an.
Da freut man sich über gute Nachrichten. Und die gibt es. Die Hörerzahlen steigen: Bis zum Spielzeitende (zwei Sinfoniekonzerte stehen noch aus) werden voraussichtlich mehr als 70.000 Besucher den Konzerten der Philharmoniker gelauscht haben, in der Vorsaison waren es 54.000. Die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die die Musikwerkstatt im Tabakquartier erkundeten, stieg von 22.000 auf 26.000.
Unbedingt einen Blick wert ist das Programmheft für die Konzertsaison 2025/26 mit stylischen Fotos von Esther Haase: Etliche Musiker haben sich in so edle wie schrille Kostüme geworfen, auf Seite 87 gibt Generalmusikdirektor Marko Letonja im "Rock me, Amadeus"-Lederlook mit Sonnenbrille den Takt an. Eine Vorschau zum Hingucken.
Und was gibt es in der 201. Spielzeit zu hören? "Musik des Aufbruchs" einst und heute verspricht Letonja und erinnert an den Aufsatz "Neue Bahnen", mit dem Robert Schumann der Musikwelt einst den jungen Johannes Brahms empfahl. Ein ganzer Brahms-Zyklus mit allen vier Sinfonien und dem Violinkonzert zieht sich durch die zwölf Philharmonischen Konzerte in der Glocke, als zweiter Höhepunkt sind gleich drei Uraufführungen geplant.
Die ersten beiden Programme, von Letonja selbst dirigiert, zurren diese Marschrichtung fest: Das 1. Philharmonische Konzert am 21. und 22. September 2025 bietet Brahms’ wuchtige 1. Sinfonie, flankiert von Robert Schumanns Klavierkonzert, das der polnische Piano-Feingeist Rafal Blechacz spielen wird. Außerdem reist die mexikanische Komponistin Diana Syrse an und singt (!) ein eigenes, noch titelloses Werk. Im zweiten Konzert am 2. und 3. November 2025 folgt Brahms’ Zweite, kombiniert mit Ludwig van Beethovens 2. Sinfonie und einem neuen Werk des Schweizer Tonsetzers Andreas Lorenzo Scartazzini.
Auch die übrigen zwei Brahms-Sinfonien leitet Marko Letonja persönlich: die Dritte am 12. und 13. Januar 2026. Dieses 5. Konzert wird mit Igor Strawinskys Pulcinella-Suite und Joseph Haydns Trompetenkonzert eingeleitet, gespielt vom 25-jährigen Elsässer Roman Lemmel. Brahms’ Nummer vier beendet am 22. und 23. Juni 2026 die Saison (12. Konzert), außerdem spielt Geiger Vadim Gluzmann aus Israel Dmitri Schostakowitschs 1. Violinkonzert. Das Violinkonzert von Brahms wiederum liegt in den Händen der 2002 in Singapur geborene Hana Chang, die bei Christian Tetzlaff studiert. Sie trägt es am 14. und 15. Dezember 2025 unter der Leitung des 35-jährigen Briten Finnegan Downie Dear vor (4. Konzert), der auch noch die Enigma-Variationen seines Landsmanns Edward Elgar mitbringt.
Ein weiterer Engländer, Jonathan Bloxham, ist für die dritte Uraufführung der Saison zuständig: Der Chef der Nordwestdeutschen Philharmonie stellt am 1. und 2. Februar 2026 ein neues Bratschenkonzert der griechischen Komponistin Konstantia Gourzi vor (6. Konzert) – Solist ist kein geringerer als Nils Mönkemeyer. Antonín Dvoráks 8. Sinfonie ergänzt das Programm.
Diese Mischung aus Bewährtem und Entdeckenswertem zieht sich durch viele Abende. US-Altmeister Jonathan Stockhammer führt im 3. Konzert Sibelius’ 2. Sinfonie mit weniger bekannten Werken von Aaron Copland und Erich Wolfgang Korngold zusammen (24./25. 11. 2025). Im 7. Konzert gibt es zu Joseph Haydns "Paukenschlag"-Sinfonie das Fagottkonzert des Filmkomponisten Nino Rota mit Sophie Dervaux, die derzeit alle 39 Fagottkonzerte Antonio Vivaldi einspielt (23./24. 2. 2026). Die israelische Dirigentin Bar Avni bringt Witold Lutoslawskis Cellokonzert, gespielt von der Südkoreanerin Hayoung Choi, mit Peter Tschaikowskys "Pathétique" zusammen (8. Konzert am 15./16.3. 2026).
Rein klassische Programme stehen am Ende der Saison. Sie locken mit zwei Klavierkonzerten – Rachmaninow zwo mit Benjamin Grosvenor (9. Konzert am 13./14. 4. 2026) und Beethoven vier mit dem virtuosen Marc-André Hamelin (11. Konzert am 1./2. Juni 2026) – sowie zwei interessanten Dirigentinnen. Tabita Berglund aus Norwegen leitet Mozarts "kleine" g-Moll-Sinfonie und die Vierte von Gustav Mahler (10. Konzert am 10./11. 5. 2026), Delyana Lazarova aus Bulgarien Béla Bartóks Konzert für Orchester (11. Konzert).
Unter den übrigen Angeboten wie den sechs beliebten Afterwork-Konzerten "5nachsechs" finden sich auch zwei neue Musikreihen im Tabakquartier. Vier Abende setzen das bisher einmalige Experiment "Meine Playlist" fort: Prominente wie Karikaturist Til Mette (5. 9. 2025), Trainer Thomas Schaaf (28. 9. 2025), Moderator Jan Böhmermann (3. 3. 2026) und Journalist Giovanni di Lorenzo (13. 5. 2026) sprechen über ihre Lieblingsmusik. Und in der Reihe "Next Level" erklingt unkonventionelle Klassik. Damit setzt der ausgeschiedene Intendant Guido Gärtner nachträglich noch seine Akzente.