Die junge Frau im Wollmantel steckt den Kopf durch die Eingangstür der Weserburg. „Ist hier diese Aktion?“, fragt sie. Ist sie. Seit wenigen Tagen testet das Bremer Museum ein neues Bezahlmodell: Besucher zahlen nur für die Zeit, die sie tatsächlich im Museum verbracht haben. Zehn Minuten kosten einen Euro, wer ermäßigt reinkommt, dem werden 50 Cent berechnet. Mehr als neun Euro zahlt niemand – das entspricht dem regulären Tagespreis.
Mittwochmittag, Regen seit Stunden. Ergo: bestes Museumswetter. Die junge Frau kommt zusammen mit ihrer Freundin, Fidi Bölter und Maria Lutz heißen die beiden. Sie habe auf der Internetseite der Weserburg von der Aktion gelesen, sagt Bölter. „Und da ich nur die Ausstellung von Andrea Bowers ansehen will, hat das gut gepasst.“ Auch für Lutz war der niedrigere Preis ein Anreiz: Die Bremerin wusste nicht recht, ob die moderne Kunst des Museums sie interessieren würde. „So kann ich erst mal unverbindlich reinschnuppern.“ Der gemeinsame Plan: Gemütlich durch die noch bis Mitte Februar gezeigte Schau der politisch-feministischen Künstlerin schlendern – und solange bleiben, wie das eben dauert.
Genau darum gehe es, sagt Museumsdirektorin Janneke de Vries. Das Modell richte sich an jene, die eine bestimmte Ausstellung sehen oder ihr Lieblingswerk besuchten wollten. Und an Besucher, „die sich zunächst einen schnellen ersten Eindruck verschaffen möchten, um bei Gefallen noch einmal in Ruhe wiederzukommen“.
Kunst für zwischendurch also? So jedenfalls sehen es Marta und Miguel Núñez. Das Ehepaar aus dem nordspanischen Llión ist für zehn Tage in Bremen, Kurzurlaub mit Standardtouriprogramm. Und: einer kleinen Dosis Kunst. 50 Minuten sind die beiden durch die Weserburg spaziert; am Ausgang zahlen sie also fünf Euro pro Person. Eine tolle Sache, finden die beiden. Und eine, die ihnen völlig neu sei. Aus ihrer Heimat, sagen sie, seien ihnen nur andere Ermäßigungsmodelle bekannt; Aktionstage etwa, an denen der Eintritt für alle frei sei. Dann aber sei es immer gleich sehr voll. Das Weserburg-Konzept halten sie deshalb für eine gute Idee – vor allem für solche, die „nur mal kurz gucken wollen“.
Ähnlich positiv reagieren die Nutzer online. Die Weserburg betreibt verschiedene Social-Media-Kanäle, postet Fotos, informiert über News und neue Ausstellungen. Am Montag ging eine Ankündigung der am Folgetag startenden Preisaktion raus. „Wow! Das ist ja eine großartige Idee!!", hat ein Nutzer darunter geschrieben. Ein anderer lobt: "Eine spitzenmäßige Aktion, von der ich schwer hoffe, dass sie bald die Runde macht."
Tatsächlich, sagt de Vries, hätten sie schon einige Rückmeldungen anderer Bremer Museen erreicht. Die Kollegen seien "durch die Bank neugierig" – immerhin treibe die Frage, welche Anreize man potenziellen Besuchern bieten könnte, alle um. Auch die Reaktion auf Facebook & Co. hat de Vries im Blick. Nur einen einzigen skeptischen Kommentar habe sie dort gefunden: Ein Nutzer habe die Befürchtung geäußert, dass das neue Modell dazu verleite, durchs Museum zu hetzen. Nach dem Motto: weniger Kunst, mehr sparen. De Vries hält diese Sorge für unbegründet. "Ich glaube nicht , dass die Uhr im Kopf mitläuft, wenn man eine Ausstellung besucht, die einen interessiert", sagt sie. "Dadurch, dass man auch bei einem langen Besuch nie mehr bezahlt als den normalen Eintrittspreis, kann man gar nicht verlieren."
Vorsichtshalber erinnert Yasmine Zimmer die Besucher trotzdem daran, nicht unnötig Tempo zu machen. „Nicht stressen!“, ruft sie Fidi Bölter und Maria Lutz hinterher, als die in Richtung Ausstellung verschwinden. Zimmer arbeitet an diesem Mittwoch am Einlass; noch bis Weihnachten macht die 21-jährige Studentin ein Praktikum in der Weserburg. Als angehende Kunstwissenschaftlerin hält sie die Aktion für ein spannendes Experiment. „Moderne Kunst ist nicht jedermanns Sache“, sagt sie. „Dass Besucher so erst mal einen Einblick gewinnen können, aber nicht gleich Stunden bleiben müssen, finde ich super.“
Ob das Modell sich durchsetzt, wird der kommende Monat zeigen. Die Ermäßigungsaktion läuft bis zum 22. Dezember, danach, sagt Janneke de Vries, „werden wir uns die Zeit nehmen, das Ergebnis in Ruhe anzuschauen und zu analysieren“. Grundsätzlich sei sie offen, das Konzept beizubehalten. Wäre das nicht so, sagt sie, „hätten wir das Projekt nicht gestartet“.
Den Vorwurf eines Facebook-Nutzers, der dem Museum vorhält, aus der Not heraus die Preise zu senken („sonst kommt ja eh niemand“), weist sie entschieden zurück. „Natürlich wollen wir damit für Besucher attraktiv sein, das ist ja klar“, sagt sie. „Aber die Aktion ist keine Verzweiflungstat.“ Stattdessen gehe es darum, den Nutzern zu bieten, was sie wollen. De Vries betont: „Es geht nicht um eine reine Marketingaktion. Wir erhoffen uns Erkenntnisse, die wir zukünftig nutzen können.“
Weitere Informationen
Die Ermäßigungsaktion läuft bis einschließlich Sonntag, 22. Dezember. Ausgenommen sind Besuche des Kindermuseums und Führungen.