Ein in den USA tätiger deutscher Kunsthistoriker wird neuer Direktor des Museums Weserburg – seit Wochen raunten gut informierte Kreise, der langwierige Berufungsprozess stehe nun vor seinem Abschluss. Denkste, der Kandidat aus Amerika war zwar ein heißer Tipp, aber die Findungskommission entschied sich getreu dem Motto „Warum in die Ferne schweifen, das Gute liegt so nahe“ anders.
Das oder die Gute ist in diesem Fall Janneke de Vries, die momentan im Teerhof-Gebäude nur die Etage wechseln müsste, um zu ihrem neuen Arbeitsplatz zu gelangen. Die 49-jährige Kunsthistorikerin und Leiterin der Gesellschaft für Aktuelle Kunst (GAK) ist nicht nur eine international profilierte Ausstellungsmacherin, sie kennt auch die Weserburg und die bremische Kulturpolitik aus dem Effeff.
Die herausragende Qualifikation und die tiefen Kenntnisse über das Sammlermuseum lassen die Wahl von Janneke de Vries als Glücksfall erscheinen – jeder andere Kandidat hätte sich erst langwierig in die komplizierten Hintergründe für die seit Jahren nahezu ergebnislos diskutierte Neuordnung der Weserburg einarbeiten müssen. De Vries gehört dagegen zu dem Kreis, der seit 2012 die Debatte um den Kulturstandort Teerhof maßgeblich beeinflusst hat. Dass die Weserburg in eine gesicherte Zukunft geht, liegt dann ab 1. Oktober 2018 auch in ihrer Hand.
Anecken erlaubt
Risikofreudigkeit zeichnete den bisherigen beruflichen Weg der 1968 im ostfriesischen Weener geborenen Janneke de Vries immer aus. Die in einer gutbürgerlichen, aber nicht besonders kunstaffinen Familie in Leer aufgewachsene Ostfriesin wollte eigentlich Kunstkritikerin werden, entschied sich dann nach einer Zeit als Chefin eines Kunstmagazins in Frankfurt für die kuratorische Laufbahn. Über den Kunstverein Hamburg (Assistenz) und den Kunstverein Braunschweig (Leitung) kam sie 2008 nach Bremen zur GAK auf den Teerhof.
Dieser 1980 gegründete Kunstverein war unter Barbara Claassen-Schmal, Knut Nievers, Eva Schmidt und Gabriele Markert zu einer international profilierten Institution der Gegenwartskunst herangewachsen, dem außerhalb Bremens mehr Gewicht als in der Stadt beigemessen wurde.
Das Profil der GAK als Brücke zwischen Hochschule und Museum für junge Künstler und Motor für kulturelle Debatten hat Janneke de Vries als Geschäftsführerin durch eine kluge Ausstellungspolitik, durch beharrliches „Networking“ in der Bremer Kunstszene und als Mitglied von Jurys im In- und Ausland geschärft. Anecken, Debatten und Streit auslösen, frech gegen den Strom schwimmen, Position beziehen, der visuellen Kraft der Kunst vertrauen und die Kunst nicht zum Büttel irgendwelcher Theorien verkommen lassen – diese Maximen findet man immer wieder in Positionspapieren und Interviews von de Vries.
Mut bewies sie, indem sie vielen jungen Künstlern eine erste institutionelle Einzelausstellung oder deren Deutschland-Premiere ermöglichte. Für Kathrin Sonntag, Shannon Bool, Anetta Mona Chisa und Lucia Tkacova, Kate Newby, aber auch für Bremer Künstler wie Max Schaffer, Christian Haake und Sibylle Springer bedeutete der GAK-Auftritt einen wichtigen Karriereschritt. Die Kunstmagazine „Art“ und „Monopol“ würdigten GAK-Schauen, die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Kunstvereine und andere Institutionen verliehen der GAK Preise.
Das alles und die „tolle Kooperation mit dem Vorstand“ gibt Janneke de Vries nun auf, um sich auf das Abenteuer Weserburg einzulassen. Die aufwendige Sanierung und der Umbau stehen an, das Programm des Sammlermuseums ist in jüngster Zeit deutlich besser profiliert. „Ich habe natürlich überlegt, ob ich mich hier bewerben sollte oder vielleicht auch besser mal im Ausland neue Erfahrungen sammele. Aber nach einem Gespräch mit Stephan Berg, dem Leiter der Findungskommission, und seiner positiven Resonanz auf meine konzeptionellen Überlegungen habe ich es dann gewagt. Außerdem haben meine Ausstellungen von Vlassis Caniaris, Ib Geertsen und Jan Groover die Lust auf eher museale Präsentationen bei mir geweckt.“
Dass sie in Bremen bleiben kann, ist für Janneke de Vries ein schöner Nebeneffekt. Arbeit in der „Kunstprovinz Bremen“ bedeutet für sie auch, dass man sich als Ausstellungsmacherin stärker anstrengen muss als in den Kunstmetropolen. Zentrum und Provinz sind in ihren Augen zwar reine Kopfgeburten, die nichts über die Qualität von Kunst und Ausstellungen aussagen. Aber: „Dem Kulturstandort Bremen fehlt der Mut, sich deutlich zu positionieren und in Kauf zu nehmen, damit eventuell anzuecken“. Im März 2013 hat de Vries diese Kritik geübt. In der Weserburg hat sie ab Oktober 2018 die Chance, richtig mutig zu sein.