Covids Krallen sind lang, jüngst setzte das Virus Geigerin Hilary Hahn außer Gefecht. Die Folge für ihren Auftritt mit der Deutschen Kammerphilharmonie beim Musikfest Bremen: Das Doppelkonzert "Labyrinth der Zeit" von Aziza Sadikova konnte nicht rechtzeitig einstudiert werden, die Uraufführung wurde abgesagt. Was man auch deshalb bedauern konnte, weil der israelische Dirigent Omer Meir Wellber, ab 2025 Staatsopernchef in Hamburg, nun nicht wie vorgesehen als zweiter Solist mit dem Akkordeon auftreten würde.
Ersatzweise kündigte Wellber nach der Pause andere "unbekannte Musik" an: die erste erhaltene Sinfonie Es-Dur KV 16 des erst neunjährigen Wolfgang Amadeus Mozart von 1765. Welch feine Ohrwürmer ein Kind in diesem Dreisätzer aus dem Baukasten des Sturm und Drang zusammensetzte, fasziniert immer noch. Anfangs wird ein Repetitionsmotiv durchgeschüttelt, im Mittelsatz tapst ein dunkles Streichermotiv heran – Wellber gestaltete ein geradezu gespenstisches Pianissimo.
Dieser Dirigent ohne Stab – Haupthaar und Vollbart sind neuerdings einem feschen Stoppelschnitt gewichen – ist kein Taktschläger, sondern ein Gestalter. Wie er, im knittrigen Hemd, mit großen Armbewegungen jedes Detail hervorhob, wirkte er wie eine nicht ganz so exzentrische Ausgabe seines Kollegen Teodor Currentzis. Bei der Kammerphilharmonie ist ein solcher Adrenalin-Musiker richtig: Bereits die "Don Giovanni"-Ouvertüre – auch die erste Konzerthälfte gehörte Mozart – barst vor Dramatik.
Mit dem druckvollen Spiel der inzwischen graugelockten Hilary Hahn fand das Orchester entsprechend aufregend in Mozarts 5. Violinkonzert A-Dur KV 219 zusammen. Man erlebte keine Solonummer mit gepflegter Orchestergrundierung, sondern eine über alle Pulte eng verzahnte Erzählung voll überraschender Wendungen. Jeder Triller – eine rhetorische Figur. Der sonore Goldton der Geige – Grundlage für wunderbar intonierte Schattierungen. Das hochschnellende Motiv im ersten Satz wirkte wie eine Sprungfeder, das von Wellmer rasant angetriebene Finale weniger "türkisch", sondern als Ausbruch aus der Konvention. Den Jubel des Publikums besänftigte Hilary Hahn, indem sie die Sarabande aus Bachs Partita d-Moll BWV 1004 intensiv ausleuchtete.
Am Ende des Konzerts stand kein Mozart, sondern die 2. Sinfonie B-Dur des 18-jährigen Franz Schubert. Auch hier betonte Wellmer die Modernität des Jugendwerks. Der grelle Einstieg, das hingefegte Streicherthema und das Wetterleuchten der Bläser ließen den immens langen ersten Satz als Sturm- und Gewittermusik erscheinen. Zwischenbeifall. Weniger überzeugte der ruppige Umgang mit den Noten im Scherzo, in dem sich das Streicherthema zu wenig durchsetzte, und das unmotiviert ins Rasante gesteigerte Finale – Schuberts Zweite ist nicht Beethovens Siebte.
Dann die Überraschung: Zuletzt griff Wellmer doch noch zum Akkordeon, spielte mit Streicherbegleitung als Zugabe Astor Piazzollas "Ave Maria" – sehr stimmungsvoll. Danach hatte der Dirigent die Hände wieder frei und konnte Blumen und Riesenbeifall entgegen nehmen.