Sie stammen aus Leipzig und haben im weltberühmten Thomanerchor gesungen. Sind Sie durch diesen Knabenchor zur Musik gekommen?
Karl Bernewitz: Auch. Mein Elternhaus ist sehr musikalisch. Mein Vater singt als zweiter Bass im Opernchor Leipzig, meine Mutter war Balletttänzerin und unterrichtet heute an der Staatlichen Ballettschule Berlin, eine Tante spielt Bratsche im Gewandhausorchester, eine andere Tante ist Gesangslehrerin. Musik war immer da, und natürlich saß ich oft im Theater. Ich sang schon sehr früh in einer Kurrende, einem evangelischen Kinderchor, und meine Eltern meinten: Wenn dir das Singen so einen Spaß macht, dann versuchen wir es mal bei den Thomanern. Dort war ich von 1998 bis 2005 dabei, erst als Sopran, dann als Bass. Aber ich habe aufgehört, weil ich Dirigent werden wollte. Damals wurde mir das Klavier, das ich seit meinem siebten Lebensjahr spiele, immer wichtiger.
Sie haben in Dresden Orchesterdirigieren studiert, waren aber auch noch mit einem Erasmus-Stipendium für ein Jahr in Stockholm. Welche Erfahrungen haben Sie in Schweden gemacht?
In Stockholm habe ich Daniel Harding als Gastprofessor erlebt. Das war super. Er hat uns Studenten sehr gefördert, und wir konnten bei seinen Proben mit dem Radio-Sinfonieorchester teilnehmen. Und ich habe assistiert an der Königlichen Oper bei "La Bohème".
Nach Ihrem Studium waren Sie von 2015 bis 2018 stellvertretender Chordirektor in München am Staatstheater am Gärtnerplatz. Ein guter Start in den Beruf?
Unbedingt, man lernt das Handwerk in alle Richtungen. Die großen Schinken gehen zwar an die Staatsoper, und der Schwerpunkt liegt auf Operette und Spieloper. Aber es gibt auch viel Mozart, Belcanto und Musical. Einmal musste ich sogar in Bellinis "La Sonnambula" (Die Nachtwandlerin) im Kostüm auf der Szene das Bühnenorchester dirigieren. Das ist für einen Chordirektor selten.
Die vergangenen fünf Jahre waren Sie Chordirektor an den Sächsischen Landesbühnen, einem Reisetheater, dessen Stammhaus in der Karl-May-Stadt Radebeul bei Dresden liegt. Welche Herausforderungen gab es dort für Sie?
Die Bühnen wechseln ständig, das Repertoire ist laufend anders, das Tolle ist die Vielseitigkeit dort. In Radebeul habe ich, anders als in München, auch viel dirigiert und eigene Produktionen einstudiert, zum Beispiel "Die lustigen Nibelungen" von Oscar Straus und "Pariser Leben" von Jacques Offenbach. Sogar Arnold Schönbergs "Pierrot lunaire", ungekürzt – das schult das Gehör auf eine ganz andere Weise.
Und welche spannenden Aufgaben gab es für den Chordirektor?
Sicher die Aufführung des "Fliegenden Holländers" von Richard Wagner auf der sehr schön renovierten Felsenbühne in Rathen – da mein Chor nur 26 Sängerinnen und Sänger groß war, habe ich als Verstärkung Chorsänger von der Staatsoper und Staatsoperette Dresden angeworben. Es war ja im Sommer, und dort waren Ferien. Eine Herausforderung bedeutete auch ein abendfüllendes, zum Teil atonales Chorwerk mit Klavier des ersten Kapellmeisters Hans Peter Preu. Da war der Chor anfangs am Jammern und am Ende sehr stolz, das geschafft zu haben. Zuletzt habe ich Francis Poulencs "Les mamelles de Teiresias" (Die Brüste des Teiresias) in der Originalsprache Französisch einstudiert, eine surrealistische freche Oper von 1917, in der der Chor die ganze Zeit auf der Bühne steht und sehr schnell singen muss. Da muss man viel trainieren.
Was unterscheidet den Chor- vom Orchesterdirigenten?
Mein Thomaskantor Georg Christoph Biller, der beides war, sagte immer, es gäbe keinen Unterschied. Das glaube ich nicht. Beim Chor hat man über den Atem, den man suggeriert, direkten Einfluss auf die Klangerzeugung. Beim Orchester muss man Klangfarben anders vermitteln und vor allem mit einem klaren Schlag Orientierung geben, gerade in der Oper. Auch weil man weniger Proben hat. Im Moment tendiere ich eindeutig zum Chordirigat.
Haben Sie eine bestimmte Probentechnik?
Man muss sehr flexibel sein. In international zusammengestellten Opernchören unterscheidet sich die Technik der einzelnen Sänger oft voneinander. Deshalb muss man sie immer wieder ermuntern, einander zuzuhören, damit ein ausgewogener Gesamtklang entsteht.
Die Bremer lieben Ihren Opernchor, der auch sehr spielfreudig ist. Haben Sie ihn schon kennengelernt?
Ja, ich habe schon ein paar Wochen mit ihm gearbeitet. In "Salome" gibt es ja keinen Chor, aber an Mozarts "La Clemenza di Tito" und Prokofieffs "Liebe zu den drei Orangen" proben wir bereits. Die Arbeit mit dem Chor macht Riesenfreude, weil die Grundstimmung so positiv und offen ist. Ich freue mich auch sehr darauf, den neuen Theaterkinderchor aufzubauen, den Stefan Klingele beim Weihnachtskonzert vorgestellt hat. Ich arbeite gern mit Kindern, weil sie eine direkte Rückmeldung geben. Man erfährt es sofort, wenn ihnen langweilig ist.
Singen Sie selbst noch?
Nur privat, aber sehr gern.