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Gerichtsurteil aus Münster Bremer Bibliotheken hoffen auf Sonntagsöffnung

Schlappe für die Gewerkschaft Verdi: Bibliotheken in Nordrhein-Westfalen dürfen nach einem Urteil aus Münster auch sonntags öffnen. Was das für die Bremer Bibliotheken bedeutet.
06.06.2023, 18:00 Uhr
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Von Sebastian Loskant

"Warum hat das Museum nebenan am Sonntag geöffnet, nur die Bibliotheken nicht?", fragt Annika Schmidt, Leiterin der Stadtbibliothek Bremerhaven. "Warum darf sonntags überall kulturelles Leben stattfinden, aber nicht bei uns?" Ihre Kollegin Lucia Werder, stellvertretende Leiterin Stadtbibliothek Bremen, sieht das genauso: "Ein Pilotversuch 2012, bei dem die Bremer Bibliotheken sonntags geöffnet waren, fand ein enorm positives Echo", weiß sie. "Wir sind an allen Standorten Magneten für die Stadtteile, ein echter Frequenzbringer für die Stadt."

Die Bemühungen, die Angebote öffentlicher Bibliotheken nach Möglichkeit auf Sonntage auszuweiten, bekommen jetzt Rückenwind. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster hat die Sonn- und Feiertagsöffnung von Bibliotheken in Nordrhein-Westfalen gestattet. Dort hatte die damalige schwarz-gelbe Landesregierung 2019 das sogenannte Bibliotheksstärkungsgesetz eingeführt – mit der Begründung, dass öffentliche Bibliotheken für die kulturelle gesellschaftliche Teilhabe gerade sozial benachteiligter Familien von hoher Bedeutung seien, vor allem in kleineren Städten und im ländlichen Raum. Daher sei die Sonntagsarbeit der Beschäftigten gerechtfertigt.

Gewerkschaft Verdi hatte geklagt

Die Gewerkschaft Verdi hatte dagegen geklagt und Schützenhilfe von der SPD erhalten. Hauptargument war der Schutz der Arbeitnehmer, eine gesunde Work-Life-Balance sei dann weniger währleistet. "Früher haben wir gemeinsam mit den Gewerkschaften unter dem Slogan ,Samstags gehört Papi mir' für das freie Wochenende gekämpft", bemerkte etwa Lena Teschlade, die arbeitspolitische Sprecherin der SPD im Düsseldorfer Landtag. "Da geben wir nun den Sonntag nicht her."

Dieser Sicht mochte sich das OVG Münster nicht anschließen. Mit Ausnahme von Verdi seien alle befragten Sachverständigen einhellig der Meinung gewesen, dass Bibliotheksöffnungen gerade an Sonn- und Feiertagen einen erheblichen Besucherstrom aus verschiedensten Gruppen der Gesellschaft mit sich brächten. Die Experten verwiesen auf gute Erfahrungen mit sonntags geöffneten Büchereien.

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"Für Bremen hat das Urteil aber keine unmittelbaren Auswirkungen", stellt Lucia Werder fest. "Es ist sicher auch nicht sinnvoll, wenn jedes Bundesland eigene Sonderregelungen schafft." Der Deutsche Bibliotheksverband, dem die Bremer Bibliotheksdirektorin Barbara Lison mehrere Jahre vorstand, bemüht sich seit langem darum, dass das Arbeitszeitgesetz auf Bundesebene geändert wird. Es lässt bisher nur bei wissenschaftlichen Präsenzbibliotheken eine Ausnahme zu. "Diese Regelung stammt aus einer Zeit, als Bibliotheken nicht als Kultur-, sondern als Bildungs- oder Wissenschaftseinrichtungen begriffen wurden", stellt Vizedirektorin Weber bedauernd fest. "Dabei erfüllen wir längst viel mehr Funktionen."

Werder erinnert daran, dass viele Menschen heute allein leben. "Wer eine kleine Wohnung und keine finanziellen Spielräume hat, wer nicht ins Café oder ins Museum gehen kann, braucht auch sonntags einen konsumfreien, schönen Aufenthaltsort, an dem er sich Anregung holen und ausprobieren kann", gibt sie zu bedenken. Natürlich solle man über die Ängste und die Voraussetzungen, die mit einer Sonntagsöffnung einhergingen, sprechen. "Was bieten wir an? Brauchen wir mehr Beschäftigte? Solchen Fragen müssen wir uns stellen." Werder weist darauf hin, dass die Berliner Zentral- und Landesbibliothek ebenso wie die Hamburger Bücherhallen sonntags öffnen, aber ihre Räume dann von externen Veranstaltungsdienstleistern bespielen lassen.

Annika Schmidt in Bremerhaven lenkt den Blick ebenfalls auf das Mitarbeiterwohl. "Ich kann Kollegen, die ihren Beruf einst in der Erwartung freier Wochenenden  angetreten haben oder die kirchlich und durch soziales Engagement gebunden sind, nicht sagen: Ab morgen bist du sonntags eingeteilt. Eine alleinstehende  Mitarbeiterin wiederum, die sich sonntags einsam fühlt, würde dann liebend gern arbeiten. Die Regelungen müssen immer zur Lebensgestaltung der Beschäftigten passen und verkraftbar sein."

"An den Einzelhandel koppeln"

Die Bibliotheksleiterin weist darauf hin, dass es sich im Arbeitszeitgesetz um "Kann"-Regelungen handelt. "Von welcher Häufigkeit sprechen wir? Auch in NRW öffnen die Büchereien nicht jede Woche sonntags. Deshalb würde ich bei dem Thema nicht so schwarzsehen wie Verdi." Schmidt hielte es für sinnvoll, die Bibliotheksöffnungen an die verkaufsoffenen Sonntage des Einzelhandels zu koppeln. "Zur Belebung der Innenstädte können wir einen wichtigen Beitrag leisten." Eine andere Möglichkeit sei es, durch Bündelung entsprechender Einrichtungen gezielt kulturell-soziale Treffpunkte zu schaffen.

Leider lasse sich das Thema, das sogar im Ampel-Koalitionsvertrag stehe, kaum noch unbelastet zu diskutieren, vermerkt Lucia Werder. "Die Hardliner sind schwer zu überzeugen. Es gilt, ein sehr dickes Brett zu bohren." Auch das Urteil aus Münster stellt nicht das letzte Wort dar: Die Richter haben eine Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht zugelassen.

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