Die meisten Städte müssen sich einiges einfallen lassen, um den Tourismus anzukurbeln. Bremen hat hingegen die perfekten Werbebotschafter von den Gebrüdern Grimm geschenkt bekommen: die Stadtmusikanten. Zu Ferienzeiten sind die vier prominenten Tiere am Rathaus von einer Menschentraube umringt, jeder Tourist will dem Esel einmal an die Hufe greifen. Aber das Märchen von den rebellischen Tieren ist inzwischen mehr als 200 Jahre alt. Braucht der Klassiker der Kinderzimmer deshalb nicht dringend eine Frischzellenkur?

Es war einmal vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxis: eine Science-Fiction der Märchenfiguren.
Im Original spielt die Geschichte im Mittelalter. Esel, Hund, Katze und Hahn können zwar sprechen, sind rein äußerlich aber gewöhnliche Tiere. Doch wie würde es wohl aussehen, wenn das Quartett im Friesennerz auf stürmischer See unterwegs wäre? Und welche Wesen könnten in einem futuristischen Parallel-Universum in die Rollen der Stadtmusikanten schlüpfen?
Es sind Gedankenspiele wie diese, mit denen sich Rita Rassenhövel seit April beschäftigt. Auf ihrem Instagram-Profil "bremen_town_musicians" hat sie diverse Bilder veröffentlicht, auf denen die Märchenfiguren immer wieder neu interpretiert werden. Mal bestehen sie aus bunter Wolle, dann fliegen sie über den Wolken wie in einem Disney-Film. In einer Bilderreihe spielt das Märchen hingegen auf einem anderen Planeten, wo anstelle des Esels ein Fantasiewesen seine Freunde trägt, das an ein Nilpferd erinnert.

Mit diesem Bild startetet die Grafikerin ihren Instagram-Kanal.
Die 52-Jährige macht kein Geheimnis daraus, wie ihre Bilder entstehen. Instagram-Nutzer erfahren in der Profilbeschreibung, dass sie künstliche Intelligenz (KI) nutzt. Zuletzt hatte das KI-Programm ChatGPT weltweit Aufsehen erregt, weil es auf Knopfdruck lange Texte produzieren kann, die von der menschlichen Wortwahl nicht zu unterscheiden sind. Dies ist aber nur ein Anwendungsbereich der KI, längst hilft sie Menschen auch in diversen anderen Bereichen. Wie etwa beim Bearbeiten und Erstellen von Bildern.
Rassenhövel berichtet, dass sie in ihrem Beruf als Grafikerin tagtäglich Bilder bearbeite. „Ich muss mich aber an den Vorstellungen der Kunden orientieren, ich bewege mich in der Regel in einem engen Korsett“, berichtet sie. Deshalb ist sie von dem Programm Midjourney begeistert, mit dem sie ihrer Kreativität freien Lauf lassen kann.
Midjourney ist eine KI, die mit frei verfügbaren Bildern aus dem World Wide Web gefüttert wurde. Durch die Verarbeitung dieser riesigen Datenmengen hat das Programm gelernt, Bildmuster zu erkennen und nachzuahmen. Die Nutzer arbeiten mit Befehlen wie „Male die Bremer Stadtmusikanten im Stil von van Gogh“. Midjourney erarbeitet vier Vorschläge, die allesamt Zufallsprodukte sind. Auch bei der erneuten Eingabe desselben Befehls können die Ergebnisse anders ausfallen. Danach lassen sich gewisse Parameter gezielt anpassen und neue Befehle für die erstellten Bilder eingeben.
„In wenigen Monaten hat das Programm rasante Fortschritte gemacht“, berichtet Rassenhövel. In seiner ersten Version scheiterte Midjourney noch an der einfachen Aufgabe, einen Esel darzustellen. Stattdessen gab es abstrakte Farbkleckse, die sich nur mit Vorwissen als Esel deuten ließen. Inzwischen ist für einen Laien der Unterschied zwischen einem echten van Gogh und der Computer-Imitation kaum noch zu erkennen.

Als wäre das Sprechen noch nicht Superkraft genug, kann das Quartett in dieser Version sogar fliegen.
Laut Rassenhövel löst die rasante Entwicklung der KI-Technologie in ihrer Branche auch Sorgen aus: „Unter uns Grafikern wird viel darüber geredet, ob man uns bald nicht mehr braucht.“ Diese Angst habe sie aber schnell verloren, als sie die KI ausprobierte. „Im Prinzip ist es nur ein weiteres Werkzeug, das nichts alleine macht“, erklärt sie. Die KI sei kein selbstständiger Künstler. Vielmehr müsse man lernen, sie zu bedienen und mir ihr zu arbeiten.
Mit ihrem neuen Hobby will Rassenhövel kein Geld verdienen. Auf ihrer Website schreibt sie, dass die Weiterverbreitung der Stadtmusikanten-Bilder für private Zwecke erlaubt ist. Eine kommerzielle Nutzung ist aber verboten, beziehungsweise nur auf Nachfrage erlaubt. „Ich habe auch kein eigenes Spendenkonto. Wer etwas zahlen möchte, soll das Geld stattdessen an die Bremer Tafel überweisen“, sagt sie.