Das Übersee-Museum arbeitet seit 2019 in dem Projekt "Ozeanien Digital" mit der National University of Samoa (NUS) zusammen, von dem sie einen Teilbereich betreuen. Warum haben Sie den Kontakt nach Samoa gesucht?
Michael Stiller: Das hat mit der Geschichte unseres Hauses zu tun. Das Deutsche Reich war seit 1900 im westlichen Teil der Samoa-Inseln Kolonialmacht. Die Deutschen haben dort die ersten Kokosplantagen angelegt, das hört man heute von Taxifahrern dort. Deshalb fuhren zur Gründungszeit des "Städtischen Museums für Natur-, Völker- und Handelskunde", wie das Übersee-Museum damals hieß, viele Wissenschaftler in die pazifischen Inselwelten und legten "Aufsammlungen" an. So nennen wir Naturkundler unsere Sammlungen, weil dabei, ob Stein, ob Tier, viel vom Boden aufgehoben wird. Postdampfer machten die Reisen planbar. Weil organische Materialien noch viel vergänglicher sind als völkerkundliche Artefakte, bekamen auch Kaufleute detaillierte Beschreibungen, wie sie tote Tiere zu konservieren hatten, damit die heil hier ankamen. Aus dieser Zeit besitzen wir große Sammlungen.
Sie haben jetzt drei Wochen dort gearbeitet. Wo genau waren Sie?
Auf Upolu, einer der zwei Hauptinseln. Hier leben die meisten der 200.000 Einwohner, während die noch größere Insel Savai?i naturbelassener und waldreicher ist. Die Mehrheit der Samoaner befindet sich Ausland, vor allem in Neuseeland, um dort zu arbeiten. Ich traf auch relativ viele Touristen aus Neuseeland. Für die ist das, als wenn wir auf die Kanarischen Inseln fliegen, vier Flugstunden von Auckland entfernt.
Welche Eindrücke bringen Sie mit?
Es war sehr anstrengend. Es ist immer über 30 Grad heiß, mit einer höllisch hohen Luftfeuchtigkeit. Das hört nicht auf, wenn es um 18 Uhr dunkel wird. Mich hat der Jetlag von zwölf Stunden Zeitunterschied nie verlassen. Auch mit kulturellen Unterschieden muss man umgehen: Ein deutliches Nein hört man nicht so häufig. Mit den Studenten musste ich mich erst vertraut machen und sie sich mit mir. Und einen gewissen Ergebnisdruck hat man auch. Dass Englisch auf Samoa Amtssprache ist, erleichtert vieles.
Worum geht es in Ihrem Projekt?
"Ozeanien Digital" ist ein unter anderem vom Auswärtige Amt gefördertes Projekt, um neue Wege des Wissensaustauschs zu gestalten. Nicht in den alten Formaten: Wir fahren hin, sammeln etwas, bringen das nach Europa und zeigen das hier, und die Leute aus der Herkunftsregion wissen von nichts. Mein naturkundlicher Teil, ein "Citizen Science" (Bürgerwissenschaft)-Projekt, war darauf angelegt, ergebnisoffen ins Gespräch zu kommen. Der Erhalt der Natur ist ein Antrieb auf beiden Seiten.
Wie läuft das konkret ab?
Über zwei Jahre haben wir, wegen Corona virtuell, mit Naturwissenschaftlern der NUS diskutiert. Die Lehrkräfte haben oft einige Jahre im Ausland studiert. Wir haben die Expertise des Sammelns von Wissen, die Menschen in Samoa kennen die Organismen und die Veränderungen der Natur vor Ort, oft ist aber das Wissen darüber abhanden gekommen. Die Frage war: Wie können wir daraus ein gemeinsames Projekt machen. Wir überlegten: Was ist auf einer relativ kleinen Insel lebenswichtig? Süßwasser. Über dessen Qualität wollten wir uns Gedanken machen.
Woher kommt das Wasser auf Samoa?
Es regnet sehr viel dort, aber der Regen versickert schnell in porösem vulkanischem Gestein und taucht dann als Bach oder Fluss irgendwo wieder auf, manchmal auch als Quelle im Meer. Beim Schwimmen mit Taucherbrille im Uferbereich merkt man das an einer gewissen Trübung, wenn sich Salz- und Süßwasser vermischen. Das Süßwasser ist auch kälter.
Welches Gewässer haben Sie sich ausgesucht?
Wir haben auf Upolu den Fluss Vaisigano in Augenschein genommen, der direkt in die Hauptstadt Apia mündet und für die Trinkwasserversorgung und die Landwirtschaft wichtig ist. Für tropische Gewässer sind die Kriterien für die Qualität noch gar nicht erarbeitet. Bei uns gibt es Leitorganismen, von denen man weiß: Wenn die dort leben können, muss das Wasser gut sein. Diese wissenschaftliche Basis besteht auf Samoa noch nicht. Da wo wir gemessen haben, war der Zustand des Wassers gut. Aber auch dort schlägt der Klimawandel zu, verändern sich Wetterlagen und Niederschläge. Das muss man beobachten.
Bedeutet das auch, die Menschen zum Umweltschutz anzuleiten?
Das Interesse der Partner war groß, in der Bevölkerung ein größeres Bewusstsein für die Vorgänge in der Natur zu schaffen. Sie traten an uns heran: Ihr seid die Experten für Wissensvermittlung, wie sprecht ihr jüngere Leute an? Das mündete in das "Citizen Science"-Projekt, in dem man Bürger an der Naturerforschung beteiligt. Man gibt einerseits Informationen: Welche Beobachtung ist wichtig? Wie beobachte ich richtig? Wir haben eine App entwickeln lassen, die sie einsetzen und ihre Erkenntnisse eintragen können. Da kommt mit der Zeit viel Wissen zusammen.
Also wie etwa durch die Gartenbesitzer bei uns, die Vögel zählen?
Genau. Die App hatten wir schon vorbereitet, aber wir entwickeln sie weiter. Es ging jetzt erst einmal um das Startsignal. Vier Leute vom Übersee-Museum, darunter Diana Michler, die das Projekt ganz wesentlich getragen hat, zwei Mitwirkende aus Indien und vier aus Samoa haben das Vorhaben begleitet. 20 Studierende haben gelernt, Methodiken zu entwickeln. Ihr Ziel war es, Sammlungen anzulegen, damit sie selbst verfolgen können, wie sich Änderungen in ihren Gewässern vollziehen. Dafür sind Sammlungen wichtig: In Bremen können wir mit unserem alten Referenzmaterial fast 150 Jahre überblicken.
Auf Samoa kennt man diese Form des wissenschaftlichen Arbeitens nicht?
Die Methodik war dort nicht geübt, eben weil sich die naturkundlichen Sammlungen in Europa und Amerika befinden. Wir haben Aufsammlungen durchgeführt und den Grundstein gelegt. Diese Informationen werden auch einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht und mit anderen Sammlungen verknüpft. Wir in Bremen haben eine Million naturkundliche Objekte, aber nur drei Mitarbeiter dafür und natürlich nicht für jede Vogelgruppe Spezialisten. Es ist also wichtig, dass man Informationen austauscht und sich gegenseitig hilft. In dieses Netzwerk wird Samoa eingebunden.
Welche Konsequenzen ergeben sich für das Übersee-Museum?
Wir werden unseren Bestand ebenfalls im Internet digital verfügbar machen. Wir haben die Coronazeit in den vergangenen drei Jahren intensiv genutzt. Was wir zu Samoa besitzen, wird Ende des Jahres vollständig digitalisiert sein. Dabei geht es um mehr als ein Foto zu machen. Man muss erst mal Standards entwickeln, handgeschriebene Kataloge übertragen, abgleichen, für den internationalen Gebrauch und die Menschen aus Herkunftsgesellschaften aufbereiten. Der Aufwand ist riesig.
Ändert sich auch die Darstellung der Ozeanien-Ausstellung hier, die gerade umgebaut wird?
Man spricht anders über ein Land, wenn man schon mal dort war. Wir beziehen die Leute vor Ort ein, bringen in Filmen, in Zitaten ihre Sicht auf die Welt ein. Mitarbeiter der NUS haben zum Beispiel im Bereich Mangrovenschutz einiges geleistet, das hat für den Küsten- und Artenschutz eine große Bedeutung und wird in unserer Ausstellung auf jeden Fall auftauchen. Der Klimawandel kann dort wie bei uns dazu führen, dass bestimmte Landstriche unbewohnbar werden. Menschen, die die neue Ausstellung besuchen, werden erkennen: Als Menschheit haben wir gemeinsame Probleme, die können wir aus unterschiedlichen Perspektiven wahrnehmen und gemeinsam angehen.