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Am Bremer Rembertiring Marodes Hochhaus: Mehr als 100 Balkone seit einem Jahr gesperrt

Das Hochhaus am Bremer Rembertiring müsste dringend saniert werden. In mehr als 100 Wohnungen sind mittlerweile die Balkone gesperrt. Die Fahrstühle funktionieren nicht. Den Mietern reicht es.
24.07.2025, 05:00 Uhr
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Marodes Hochhaus: Mehr als 100 Balkone seit einem Jahr gesperrt
Von Jürgen Hinrichs

"I call the police!", ruft die Frau, "I'm the security girl." Sie ruft und warnt, doch es hilft nichts. Der junge Mann im Flur will partout nicht das Haus verlassen, obwohl er hier offenkundig nichts zu suchen hat. Er führt was im Schilde, schaut um sich, wittert seine Chance und flitzt plötzlich die Treppe hoch. Die Frau hinterher, sie verfolgt ihn, gibt nach zwei Etagen aber auf – keine Chance, der Mann ist nach oben verschwunden, dorthin, wo kaum einer den anderen kennt und Fremde deshalb nicht auffallen.

Eine Szene, wie bestellt für die Stippvisite in einem Hochhaus, in dem jeden Tag Theater ist, ständig etwas passiert und Zustände herrschen, die regelmäßig zu Beschwerden bei den Behörden führen. Die Frau vom Sicherheitsdienst nimmt's gelassen, sie ist das gewöhnt und erzählt jetzt vom Müll im Treppenhaus. Vollgestopfte Tüten, die in den Ecken liegen, leere Weinflaschen, Zigarettenkippen. Nicht selten, dass etwas aus dem Fenster geworfen wird, einfach weg damit, egal. Die Überreste liegen hinter dem Haus verstreut auf dem Boden. "Bescheuert", sagt die Frau. Immerhin hat sie jetzt mal jemanden erwischt, "der war doppelt blöd und hat eine Abmahnung bekommen. Im Abfall lag ein Umschlag mit seinem Namen."

Das sind Geschichten, die Wolfgang Melchert bald jeden Tag zu hören bekommt. Er ist der Mieter mit der wohl längsten Zeit in dem zehn Stockwerke hohen Gebäude am Rembertiring. "Ich habe schon vieles erlebt, aber so schlimm war's noch nie", sagt der 56-Jährige. Er bezieht das gar nicht mal auf den Schmutz überall, da könne man wenig machen, unter den mehr als 100 Bewohnerinnen und Bewohnern gebe es nun mal solche und solche. Seine Klage richtet sich vielmehr gegen den Eigentümer und Vermieter, die Peach Property Group, ein Immobilieninvestor mit Sitz in Zürich.

Unmöglich, meint Melchert, dass er seit fast einem Jahr nicht mehr seinen Balkon betreten kann. Er ist gesperrt, der Türgriff wurde abmontiert. Den anderen Mietern im Haus, die eine Wohnung mit Balkon haben, geht es genauso. Der Grund: Absturzgefahr. So ziemlich alles an der Fassade bröckelt, so sehr, dass Teile abfallen und die Wege um das Haus herum auf Geheiß der Behörden mit einem Gerüstdach gesichert werden mussten, damit niemand zu Schaden kommt.

Melchert, der seit 28 Jahren in dem Haus lebt und die zentrale Lage schätzt, will seinen Balkon zurück. Er braucht ihn für die Wäsche, denn wo sonst soll er sie trocknen, in einer Wohnung, die mit Küche und Bad zusammen 21 Quadratmeter misst. Die Miete, rund 430 Euro, hat er um zehn Prozent gemindert und wird das weiterhin tun, solange sich mit dem Balkon nichts rührt: "Komisch, die haben darauf gar nicht reagiert, dass ich weniger zahle." Das ist etwas, was ihn besonders auf die Palme bringt, diese Ignoranz, sagt Melchert, auch bei den anderen Problemen: "Ständig sind die Fahrstühle kaputt, jetzt erst wieder und seit Wochen." Für ihn ist das noch erträglich, er wohnt in der ersten Etage. Für andere dagegen nicht: "Die weiter oben haben die Arschkarte." Und solche Menschen, die nicht so gut zu Fuß sind.

Dass mit dem Hochhaus grundsätzlich etwas im Argen liegt, erkennt jeder, der daran vorbeigeht. Das Problem fällt förmlich ins Auge – und lässt mindestens eine Fraktion in der Bremischen Bürgerschaft nicht ruhen. Die Linken, allen voran ihre Vorsitzende Sofia Leonidakis, halten die Zustände für einen Skandal. Sie haben das Bauressort um einen Bericht gebeten, was bisher passiert ist, um die Sicherheit der Fassade mitsamt den Balkonen wiederherzustellen. Leonidakis engagierte außerdem einen Rechtsanwalt und hielt mit ihm zwei Mieterversammlungen ab.

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Der Bericht für die Linken ist nicht öffentlich, er liegt dem WESER-KURIER aber vor. Die Liste der Verwaltung über die Vorgänge fängt bei einer Ortskontrolle im Juni vergangenen Jahres an. Anlass war, dass das Ordnungsamt Mängel an dem Gebäude gemeldet hatte. Zwei Monate später hat der Eigentümer ein Sanierungskonzept vorgelegt. Zur selben Zeit wurde er aufgefordert, die Balkone zu sperren und die Wege vor dem Hochhaus zu sichern. Nachdem das aus Warte der Behörde nur unzureichend geschehen war, setzte sie ein Zwangsgeld in Höhe von 3000 Euro fest. Peach Property hatte dagegen Widerspruch eingelegt.

Wie das Verfahren ausgegangen ist, konnte die Baubehörde aus Datenschutzgründen nicht sagen. Wohl aber wurde auf Anfrage allgemein Auskunft gegeben: "Der Bauantrag für die umfangreiche Sanierung des Gebäudes Rembertiring 18-24 wird aktuell vom Antragsteller noch in einzelnen Punkten ergänzt", teilt das Ressort mit. Der Austausch mit dem Antragsteller hierzu sei konstruktiv. Die Prüfung der bereits vorliegenden bautechnischen Nachweise finde parallel zur Ergänzung des Bauantrags statt.

Wolfgang Melchert ist mit seiner Geduld am Ende. Er will zusammen mit zwei anderen Mietern des Hauses vor Gericht ziehen. Der Eigentümer soll gezwungen werden, die Balkone zu sanieren. Die Klage wird gerade vorbereitet, berichtet der Rechtsanwalt, den die Linken-Fraktion eingeschaltet hat. Eine noch ganz andere Herangehensweise bekam er von einem Teilnehmer der Mieterversammlung zu hören: "Könnte Bremen den Vermieter nicht enteignen, wenn der nichts macht?"

Einen konkreten Zeitpunkt, wann die Balkone wieder von den Mietern genutzt werden können, kann Peach Property nicht nennen. Derzeit würden die Planungen für eine Fassadenerneuerung finalisiert. "Im Zuge dessen planen wir ein siebenstelliges Investment in den Bestand", teilt der Investor dem WESER-KURIER mit. Man hoffe, das "Projekt zeitnah zu starten". Die Sperrung der 110 Balkone sei eine Sicherungsmaßnahme nach einer Begehung im vergangenen Jahr gewesen – diese habe einige Zeit in Anspruch genommen. Für die Begehung sei man auf die Mitarbeit der Mieter angewiesen gewesen.

Das Gebäude gehöre erst seit wenigen Jahren zum Bestand, seitdem seien verschiedene Themen aufgearbeitet worden: "Dazu gehören technische Themen, aber auch die Einführung regelmäßiger Reinigungen und der Sperrmüllentsorgung", heißt es in der Stellungnahme. Auch ein Notdienst für Probleme im Bestand sei eingerichtet worden.

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