Dort, wo früher die Torfkähne aus dem Teufelsmoor anlandeten, am Findorffer Hafen, sind die Radler schon nach wenigen Minuten. Gestartet sind sie am Hauptbahnhof und freuen sich schon auf Weite und hohen Himmel. Es geht weiter am Bürgerpark vorbei und ins Blockland. Ohne Frage, am Wochenende ist dort ein beliebter Anlaufpunkt für Radfahrer. Wer diese Runde bis nach Worpswede und zurück fährt, sollte deshalb ruhig schon am frühen Vormittag starten, dann bleibt auch umso mehr Zeit für den ein oder anderen kulinarischen sowie kulturellen Stopp.
Freie Siedler aus Holland machten das nasse Land im 12. Jahrhundert urbar. Die Entwässerungskanäle und ihre Wohnwarften sind heute noch erhalten. Die Deiche, auf denen heute die Höfe stehen, entstanden später. Das letzte Mal brach der Wümmedeich 1880/1881 und das Wasser floss durch das flache Land bis in Bremens Vorstädte. Seit Anfang der 1970er-Jahre schützt das Lesumsperrwerk die tideabhängige Wümme vor den Nordsee- und Wesersturmfluten.
Für die Radler geht es weiter entlang der Wümme und Hamme. Zwischenzeitlich wird der Weg etwas ruppiger und führt weiter entlang an den Deichen mit historischer Deichhöhe; ab Kilometer 16 auf dem Höftdeich zum Neugrabenfleet. Am Horizont ragen das Kraftwerk am Hafen, der Funkturm in Walle sowie der Fallturm der Universität auf. Auf der anderen Seite sieht man über den Baumwipfeln den Turm der Kirche Heiliger Georg im Lande der Gräser, der von den Bewohnern kurz St. Jürgen genannt wird. Jürgen steht übrigens im Niederdeutschen für Georg.
Dass das Teufelsmoor früher unwegsam und unwirtlich war, lässt sich dort gut erkennen. Im Herbst und Winter waren Wiesen, Weiden und Felder überschwemmt. Deshalb steht auch die Kirche auf einer Warft. An der Mauer, die sie umgibt, sind Eisenringe angebracht. „Die waren zum Festmachen der Kähne“, erläutert Jens Joost-Krüger vom Bremer Radkulturprojekt „Bike it“. Die Bauern kamen mit Kähnen zum Gottesdienst, und sobald das Wasser gefroren war, schnallten sie ihre Schlittschuhe unter und liefen auf dem Eis zur Kirche. Die dicke Kaimauer, die die Kirche umgibt, stammt noch aus der Anfangszeit der Siedelei in der Wümmeniederung: aus dem 12. Jahrhundert.

Der Weg führt auch durch das idyllische Oberblockland.
Kurz darauf treffen die Radfahrer auf die Landstraße, die nach Lilienthal und Osterholz-Scharmbeck führt. Der Straße wird ein kurzes Stück gefolgt. Dann geht es links in einen kleinen Pfad und weiter hammeaufwärts Richtung Melchers Hütte. Rechterhand von diesem wunderschönen Weg lag bis zur Einpolderung das Schwimmende Land von Waakhausen. Durch die Beschaffenheit des Bodens schwammen dort unter bestimmten Bedingungen Teile des Landes auf und trieben als kleine Inseln, auf denen sogar Bäume stehen konnten, über die weiträumig überschwemmte Niederung. Die Radfahrer haben Kilometer 25 erreicht und gönnen sich eine kleine Pause. Wer mag, kann nach der Überquerung der Hamme auf der „Brücke mit dem Knick“ auch in Melchers Hütte eine Pause einlegen.

Melchers Hütte bietet sich für eine Pause an.
Melchers Hütte ist eine von sieben Hütten, die entlang der Hamme den Torfschiffern als Rastplätze auf dem Weg nach Bremen und zu anderen Orten dienten. Die Hütten entstanden im 19. Jahrhundert unter anderem an sogenannten Holtstellen. Dort wurde der Torf auf größere Bockschiffe umgeladen. Etwa ein Jahrhundert früher begannen die ersten Siedler damit, das Moor zu bearbeiten. Sie gruben den Torf bis zu zwölf Meter aus den Hochmooren ab und brachten ihn über die Hamme und die städtischen Kanäle in die Stadt. Dort war Torf bis ins 20. Jahrhundert der wichtigste Brennstoff.

Landschaft und Kultur - beides verbindet diese Radtour nach Worpswede. Der Weg geht durch das Blockland in das Künstlerdorf, wo in einem herrschaftlichen Anwesen auch die Galerie Cohrs-Zirus ihre Räumlichkeiten hat.
Die Radler fahren weiter Richtung Hammewiesen. Das Land wird dort weiter, der Himmel höher, sagt man. Vielleicht, weil die Landschaft sich ohne industrielle Einflüsse und Erhebungen bis zum Horizont wie ein grün-braunes Band dahin zieht. Kurze Zeit später erreichen die Radfahrer etwa die Hälfte der Bremen-Worpswede-Runde: Neu Helgoland und den Hammehafen. Der kleine Strand wurde erst vor wenigen Jahren angelegt und ist im Sommer ideal für ein kleines Bad geeignet. Vor allem Kinder nutzen das ausgiebig. Wassersportler können dort Kanus und Kajaks ausleihen. Im Hafen nebenan liegen die Torfkähne der Adolphsdorfer Torfschiffer, die noch auf Gäste warten. Im Bistro am Hafen kann man sich mit Kaffee und Kuchen und anderen Leckereien versorgen. Abends treten dort oft Musiker auf - den Sonnenuntergang gibt es dann inklusive. Das gilt auch für Neu Helgoland nebenan. Das Ausflugslokal war das erste Backsteinhaus für die Torfschiffer.

Unterwegs haben die Radler auch mal tierische Gesellschaft.
Die Tour führt weiter entlang an Weiden und baumgesäumten Straßen. Die ersten Häuser und eine Mühle verraten, dass Worpswede beginnt. Gleich am Ortseingang kommt man an den Atelierhäusern vorbei, die der Grafiker Martin Kausch 1971 gründete. Sie gehören nach wie vor zu den bedeutendsten Stätten in Deutschland für Stipendiaten. Kurze Zeit später erreichen die Radfahrer den Worpsweder Bahnhof, der auf die Entwürfe des Jugendstil-Künstlers Heinrich Vogeler zurückgeht. In den 1970er-Jahren wurde der Zugverkehr eingestellt, doch seit einigen Jahren wird die Strecke an Wochenenden und Feiertagen vom Moorexpress genutzt. Für die Radfahrer geht es über Kopfsteinpflaster weiter durch den alten Ortskern. In der Zionskirche können Besucher Fresken von Paula Modersohn-Becker sowie Putten von Clara Westhoff anschauen. Sie sind ein schönes Überbleibsel einer Strafarbeit, die die beiden Freundinnen für illegales Läuten der Kirchenglocken ableisten mussten. Nach einer scharfen Kurve geht es die Bergstraße hinauf. Der Straßenname hält selbst im Flachland, was er verspricht. Es geht bergauf. Wer dort sein Fahrrad abstellt und sich eine längere Pause genehmigen möchte: Sämtliche Museen und Galerien sind von dort aus fußläufig zu erreichen.

Die 63 Kilometer lange Radtour ist eine Rundtour.
Die karge Landschaft und das Licht begeisterten Ende des 19. Jahrhunderts die Künstler, die sich in dem Dorf im Teufelsmoor ansiedelten. „Worpswede hat ihnen künstlerische Freiheiten im Windschatten der biederen und konservativen wilhelminischen Gesellschaft eröffnet“, sagt Joost-Krüger. Gründer der Künstlerkolonie waren Fritz Mackensen, Otto Modersohn, Hans am Ende, Fritz Overbeck und Heinrich Vogeler. Ihre Bilder machten das Dorf und das Teufelsmoor berühmt. Von kunsthistorischer Bedeutung sind vor allem die Arbeiten von Paula Modersohn-Becker.
Wer auf dem Weyerberg angekommen ist, kann sein Fahrrad noch einmal abstellen und ein wenig in den Wald hineinwandern. Dort findet er ein steinernes Ungetüm, das wie ein Adler aussieht: den 18 Meter hohen Niedersachsenstein. Er wurde 1922 nach einem Entwurf des Architekten Bernhard Hoetger, der auch die Böttcherstraße in Bremen gestaltet hat, erbaut und gilt als einzige expressionistische Großplastik Deutschlands.

Auf dem Rückweg geht es über Lilienthal in Richtung Bremen. Auf dem Bild: die Truper Kapelle in Lilienthal.
Zurück am Rad führt die Strecke nun durch idyllische Birkenalleen über Südwede und an einem Golfplatz vorbei, der einer der wenigen Golfplätze in Deutschland ist, auf dem auch Menschen mit Behinderung spielen können und dort einen eigenen Golfclub haben.
In Lilienthal folgt die Strecke auf schmalen Pfad der Wörpe. Der schmale Weg war einst die Hauptstraße des Ortes. Weiter geht es über den Jan-Reiners-Weg und schließlich wieder an der Wümme entlang, die sich zwischen den Deichen hindurch schlängelt. Am Kuhgraben geht es fast bis zum Universum und dann den Bürgerpark entlang zum Ausgangspunkt.

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