Hier oben aufm Deich im Blockland scheint die Zeit still zu stehen. Alte Fachwerkhäuser säumen die Straße, die sich kilometerlang parallel zur Wümme schlängelt. Ausflugslokale bieten hausgemachten Kuchen an, Hofläden Marmelade, Honig oder Eis. In keiner touristischen Beschreibung fehlt die Bemerkung, dass hier mehr Kühe als Menschen leben. Ein Hinweis darauf, wie bäuerlich geprägt die Struktur hier draußen nahe der Grenze zu Niedersachsen ist. Doch wie lange noch?
Hilmer Garbade, 53, weiß es nicht. Er führt einen Milchviehbetrieb, hält selbst 140 Kühe auf 100 Hektar Grünland, aber ob sein Hof in zehn oder zwölf Jahren noch bewirtschaftet wird, kann er nicht sagen. Vermutlich aber eher nicht. „Die Kinder tendieren in eine andere Richtung“, sagt Garbade. Der Sohn hat Mechatroniker gelernt und studiert jetzt, die Tochter lernt gerade Industriekauffrau und will danach studieren.

„Bei gut der Hälfte der Bremer Betriebe ist die Hofnachfolge nicht geregelt, schätzen wir“, sagt Christian Kluge, Geschäftsführer des Bremischen Landwirtschaftsverbandes.
Rund 130 landwirtschaftliche Betriebe gibt es in Bremen noch. Sie liegen nicht nur im Blockland, sondern auch in Oberneuland, Borgfeld, Hemelingen oder Strom. „Bei gut der Hälfte der Höfe ist die Nachfolge nicht geregelt, schätzen wir“, sagt Christian Kluge, Geschäftsführer des Bremischen Landwirtschaftsverbandes, „für ein Viertel stellt sich die Frage nach einer Nachfolgeregelung schon innerhalb der nächsten zehn bis zwölf Jahre.“
Hilmer Garbade ist dann 65. Zwei, drei Generationen früher wäre klar gewesen: Der älteste Sohn übernimmt den Hof. Das sogenannte Ältestenrecht gilt im Blockland bis heute, aber was nützt das, wenn der Nachwuchs andere Pläne hat. Garbade selbst hat den Hof seiner Eltern vor Jahren als der ältere von zwei Brüdern ganz ohne Druck übernommen, „ich hatte schon als Jugendlicher Lust dazu“. Mit Druck, das weiß er, lässt sich heute niemand mehr zur Fortführung eines Betriebes bewegen.
Den Fortbestand der Bauernhöfe in Bremen zu sichern, sagt Kluge, sei „eine der ganz großen Fragestellungen“ der Zukunft. Schon heute wird die Hälfte aller Betriebe nur noch im Nebenerwerb geführt. Wenn dann noch jeder vierte Hof mittelfristig aufgeben sollte, würde das die Landwirtschaft in Bremen nachhaltig verändern. „Ist die Hoftür einmal zu, bleibt sie zu“, sagt Kluge. Doch wie kann das verhindert werden?
Darüber hat man sich in Bremen zuletzt in großer Runde viele Gedanken gemacht. Politiker, Behördenmitarbeiter, Umweltschützer, Vertreter aus der Lebensmittelbranche und anderen gesellschaftlichen Bereichen haben sich in den vergangenen zwei Jahren mehrfach mit Landwirten getroffen und ein „Leitbild der Landwirtschaft“ bis 2035 entwickelt. Garbade war als Bremer Bauernpräsident bei den Gesprächen dabei und sagt: „Es ist gut, dass die Bedeutung der Landwirtschaft auf dieser breiten Basis anerkannt wird.“
Sechs Schwerpunkte setzt das sogenannte „Entwicklungskonzept Landwirtschaft 2035“. Einer davon lautet Nachwuchsförderung, ein anderer Bildung und Kommunikation. Beides hängt eng zusammen. In Zeiten von Work-Life-Balance, Teilzeit und Diskussionen über Vier-Tage-Wochen erscheint eine 24/7-Verpflichtung für einen Bauernhof nicht attraktiv. „Dabei gibt es Möglichkeiten, sich auch mal freizunehmen“, sagt Garbade, dessen Betrieb so gut organisiert ist, dass er zwischendurch Urlaub machen kann.
„Viele Menschen wissen zu wenig über die Landwirtschaft“, sagt Verbandsgeschäftsführer Kluge. Daran hätten auch die Bauern selbst ihren Anteil. „Das stimmt“, sagt Garbade, „wir müssen viel mehr zeigen, was wir tun, und dass das, was wir tun, gut für die Umwelt ist.“ Eines seiner Lieblingsprojekte ist das Wiesenvogelschutz-Programm, in dem Naturschützer, Jäger und Bauern zusammenarbeiten.
Tatsächlich ist es mit dem Projekt innerhalb von zehn Jahren gelungen, die Bestände von Kiebitz, Brachvogel oder Rotschenkel, die anderswo gefährdet sind, in Bremen entscheidend zu vergrößern. Die Anzahl der Brutpaare beim Kiebitz etwa hat sich im Blockland mehr als verdreifacht, seitdem Landwirte vor dem Walzen, Pflügen und Mähen Nester mit Bambusstöcken markieren, Schutzgitter aufstellen, Brutflächen einzäunen oder Grasinseln stehen lassen, im Schutz des hohen Grases können die Tiere unbesorgt brüten.
Garbade und Kluge haben recht klare Vorstellungen davon, wie der Bremer Landwirt der Zukunft aussehen soll. Schon heute haben viele Betriebe weitere Standbeine. Sie betreiben Hofläden, vermieten Ferienwohnungen, besetzen Nischen, weil sie mit ihren Produkten den Geschmack der Leute treffen. Im Blockland muss Garbade dafür gar nicht weit schauen: Ohne ein Bio-Eis von „Snuten Lekker“, der Marke des Bio-Hofes Kaemena, darf für viele Gäste kein Blockland-Besuch enden.
„Wir werden sicher Lebensmittelproduzenten bleiben“, sagt Garbade, „aber noch mehr als bisher Klimaschützer, Landschaftspfleger oder Hochwassersicherer sein.“ Landwirte als Energiebauern stellen Flächen für Fotovoltaikanlagen und Windräder bereit, die sie womöglich auch selbst betreiben. Landwirte als Bildungsbauern richten auf ihren Betrieben grüne Klassenzimmer ein, in die Kindergartengruppen und Schulklassen kommen, um etwas über Natur und Tiere, Lebensmittel und Landwirtschaft zu lernen.
Neu sind diese Ideen nicht. Aber sie lassen sich ausbauen. Unterricht auf dem Bauernhof zum Beispiel könnte in den Lehrplänen der Schulen festgeschrieben werden. Die Idee passt in die Zeit: Die Bundesregierung hat eine Strategie zur gesunden Ernährung aufgelegt, zentraler Bestandteil ist die Aufklärung. Lebensmittel, so ein weiteres Ziel von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir, sollen künftig am besten nur noch regional, ressourcen- und klimaschonend hergestellt werden. "Da sind wir Landwirte sofort dabei", sagt Garbade.
Bremens Bauernpräsident und sein Geschäftsführer wissen nicht, wie schnell und ob sie überhaupt mit ihrer Offensive beim Werben um Hofnachfolger erfolgreich sein werden. Dabei, so Kluge, müsse auch die Politik mitspielen und berechenbar sein. „Landwirt zu sein bedeutet, bereit zu sein, ein wirtschaftliches Risiko einzugehen“, sagt Garbade. Am Bau eines neuen Kuhstalls rechnet Kluge vor, was das konkret heißt: „Ein Kuhplatz kostet zwischen 10.000 und 15.000 Euro. Für 100 Kühe liegen Sie bei 1,5 Millionen Euro, abgeschrieben nach 20 Jahren.“
Für diese Zeit, also 20 Jahre, hätte ein Landwirt gern Planungssicherheit. 20 Jahre, das sind aber auch fünf Bundestagswahlen mit möglicherweise fünf verschiedenen Regierungskonstellationen. Seit 1998 kamen die Bundeslandwirtschaftsminister aus der SPD, von den Grünen, aus der CSU und der CDU. Aktuell ist das Ressort wieder grün. „Wir nehmen es, wie es kommt“, sagt Garbade. Aber mehr Verlässlichkeit als zuletzt würde den Bauern schon gefallen.