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Serie: Leben eines Schwerkranken Personalmangel auch in der Intensivpflege

Bernd Tews vertritt 10.000 Pflegeeinrichtungen in Deutschland. Der Experte kennt das Problem, dass auch Fachkräfte in der Intensivpflege fehlen, um ALS-Patienten wie Tobias Laatz zu behandeln.
28.07.2018, 19:42 Uhr
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Personalmangel auch in der Intensivpflege
Von Christian Weth

Herr Tews, wenn viele vom Notstand in der Pflege sprechen, wie groß ist dann die Not in der Intensivpflege, die viel spezieller ist?

Die Not in der Intensivpflege ist mindestens genauso groß wie in der Pflege allgemein: Nicht immer kann eine Versorgung durch mobile Dienste ad hoc sichergestellt werden. In der Alten- und Krankenpflege gibt es bundesweit die größten Personalprobleme.

Bei Patienten mit ALS potenzieren sich die Probleme: Sie brauchen schnell Hilfe, weil die Krankheit schnell verläuft. Was tun?

Menschen mit ALS brauchen nicht nur schnell, sondern auch mehr Hilfe. Die Pflegekräfte sind oft permanent im Einsatz. Die Pflegedienste müssen die Versorgung sicherstellen, können es aber nicht so schnell und umfangreich, wie es erforderlich wäre.

Wie lange müssen Schwerkranke darauf warten, bis ein Team für sie bereitsteht?

Die Pflegedienste brauchen durchschnittlich etwa zwei bis drei Monate, um ein qualifiziertes Team zusammenzustellen.

Und was raten Sie Patienten und ihren Angehörigen in der Zwischenzeit?

Für die Sicherstellung der Leistung ist die Krankenkasse in der Pflicht. Es gibt Pflegedienste, die übergangsweise andere Formen der Pflege anbieten. Zum Beispiel Wohngemeinschaften, in denen manche Patienten vorübergehend versorgt werden.

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Und wenn keine Plätze in Pflege-WGs frei sind?

In diesem Fall versuchen die Pflegedienste, so viele Kräfte bereitzustellen, wie sie können, um eine Versorgung gemeinsam mit den Angehörigen sicherzustellen.

Wie oft haben Sie davon gehört, dass ein Patient erst einmal in einem Altenheim betreut wurde, auch wenn er gar nicht alt ist?

Das kommt vor, meines Wissens nach aber selten. In der Regel wird versucht, die Wartezeit auf ein Team mit einem verlängerten Aufenthalt im Krankenhaus zu überbrücken.

Was unternehmen Sie, um die Situation für Schwerkranke und Angehörige zu verbessern?

Wir haben Gespräche mit den Krankenkassen geführt, um Angebote für Patienten zu entwickeln und eine zügige Bearbeitung der Anträge zu ermöglichen. Wir drängen auf angemessene Bezahlung für die Leistung. So wurden die Voraussetzungen und der Rahmen für die Versorgung geschaffen.

Aber ein Rahmen löst keine Personalprobleme.

Das stimmt. Es musste jedoch erst einmal ein Rahmen geschaffen werden, weil es ihn für die Intensivpflege vorher nicht gab.

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Und was ist mit mehr Geld für Pflegekräfte?

Die Bezahlung ist ein Riesenproblem. Bei sechs qualifizierten Kräften, die im Wechsel rund um die Uhr für einen Patienten da sind, kann sich jeder schnell ausrechnen, dass das viel Geld kostet, um das die Pflegedienste oft erbittert mit den Kassen kämpfen müssen.

Was schreibt denn der Tarif vor – und wie viel weniger zahlen manche Pflegedienste?

In der Pflege sind eher tarifähnliche Formen die Regel. Gesundheitsminister Jens Spahn hat sich kürzlich für Gehälter von 2500 bis 3000 Euro ausgesprochen. Das unterstützen wir. Wir fordern aber noch etwas anderes: dass für Pflegepersonal mehr Steuervergünstigungen gelten und Bereitschaftsdienste von den Kassen bezahlt werden.

Wie oft kommt es vor, dass sich ein Team auflöst, weil Pflegekräfte den Arbeitgeber wechseln, um mehr Geld zu verdienen?

Diese Situation gibt es in der Intensivpflege häufiger als in der allgemeinen Pflege. Weil mehr Menschen beispielsweise ambulant beatmet werden müssen, steigt die Nachfrage nach Intensivpflegern.

Wie viele Menschen werden denn bundesweit zu Hause intensiv betreut?

Die Krankenkassen haben erst damit angefangen, ihre Statistiken auf die Intensivpflege umzustellen. Bisher können sie nur sagen, dass in Deutschland rund 15.000 Menschen ambulant beatmet werden.

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Woher weiß Bundesminister Spahn dann, dass 25.000 Pflegefachkräfte fehlen?

Es gibt mehrere Berechnungen. Das ist eine.

Und wie sieht Ihre Rechnung aus?

Wir gehen aktuell von 70.000 Pflegekräften aus, die fehlen. Es gibt zwar immer mehr Menschen, die sich für den Beruf interessieren. Aber die Zahl der Menschen, die intensiv gepflegt werden müssen, steigt schneller. Darum muss mehr getan werden als bisher.

Und was?

Es muss mehr ausgebildet, mehr umgeschult und die Zuwanderung von qualifizierten Fachkräften forciert werden.

Die Fragen stellte Christian Weth.

Zur Person

Zur Person

Bernd Tews (59) ist Geschäftsführer des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste (Bpa), der 10.000 Pflegeeinrichtungen vertritt. Tews stammt aus Worpswede, ist verheiratet und hat zwei Kinder.

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