Aktuell gibt es in der Stadt Bremen 19 Fälle von Kirchenasyl, die evangelische oder freikirchliche Gemeinden betreffen. Das teilte am Dienstag die Bremische Evangelische Kirche (BEK) mit. Man wolle damit die am Vortag von Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) genannten Zahlen differenziert einordnen, sagte Sprecher Matthias Dembski. Die Zahlen der Innenbehörde seien aber "nicht grundsätzlich falsch".
Wie der katholische Gemeindeverband mitteilt, gibt es "aktuell und gab es auch in den vergangenen Jahren keinen einzigen Fall von Kirchenasyl" in den Katholischen Gemeinden der Bistümer Hildesheim und Osnabrück im Land Bremen. * Dazu erklärt Probst Bernhard Stecker: "Das Kirchenasyl ist ein hohes Gut und sollte nur in Härtefällen genutzt werden, um den Betroffenen noch einmal die Möglichkeit zu geben, dass der Vorgang zur Abschiebung erneut geprüft werden kann."
Grundsätzlich gelte, dass sich die Katholische Kirche in Bremen und Bremerhaven an die Rechtsstaatlichkeit, auch in Fragen des Asylrechts, halte und sie achte. Probst betont, dass die bisherigen Regelungen zum Kirchenasyl im Land Bremen zwischen den Kirchen und dem Staat beidseitig akzeptiert wurden und in dieser Form beibehalten werden sollten.
Mäurer hatte eine Aufstellung des Bundesamtes für Migration vorgelegt, nach der es im laufenden Jahr im Land Bremen 202 Kirchenasylfälle gegeben habe. Nach Angaben der BEK waren es in stadtbremischen Gemeinden 125 Fälle, die von ihr oder dem Verein Zuflucht betreut werden. In Bremerhaven betreut die BEK nur eine Gemeinde, alle anderen gehörten je nach Konfession zur Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover oder zum Bistum Hildesheim, deshalb habe man dazu keine Zahlen.
Mäurers Verdacht, "dass in Bremen auch Verfahren organisiert werden für Personen, die gar nicht hier leben", wird von der BEK bestätigt: "Insgesamt hat Zuflucht e.V. 88 Kirchenasyle von Menschen aus Bremer Unterkünften und 37 Kirchenasyle von Menschen betreut, die aus dem restlichen Bundesgebiet kamen." Die allermeisten Fälle endeten "durch Fristablauf" – das heißt, die betreffenden Personen waren länger als sechs Monate in Deutschland und konnten deshalb nicht mehr in ein anderes EU-Land zurückgeführt werden.
So wie Ayub Ishaq, dessen Abschiebung nach Finnland das Verwaltungsgericht Bremen am Montag per Beschluss vorläufig untersagt hat. Gundula Oerter, Sprecherin des Bremer Flüchtlingsrates, freut sich: "Der Innensenator und sein Migrationsamt sind mit dem Versuch, das Kirchenasyl abzuschaffen, ein zweites Mal gescheitert." Denn Ishaq, der seit dem 2. Oktober Kirchenasyl in der Zionsgemeinde genießt, sollte bereits am 3. Dezember in einen Flieger nach Helsinki gesetzt werden. Genau genommen hat das Verwaltungsgericht nun aber nicht gegen Mäurer entschieden, sondern gegen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf).
Ayub Ishaq kann sich wieder frei bewegen
"Der Beschluss ist für das Bamf bindend", erläutert Gerichtssprecherin Verena Korrell. Es müsse nun dem Bremer Migrationsamt melden, dass eine Abschiebung von Ishaq nicht mehr stattfinden kann. Genauer: bis über seine Klage gegen die Rücküberführung im Hauptsacheverfahren entschieden sei. Nach allgemeiner Einschätzung ist unwahrscheinlich, dass die Klage gegen die Rückführung dann abgewiesen wird. Der Somalier kann sich also wieder frei bewegen.
Oerter sieht im Versuch, den Somalier nach dem EU-weit geltenden Dublin-Verfahren zurück nach Finnland zu schicken, eine Menschenrechtsverletzung – und sich selbst nun in dieser Haltung gerichtlich bestätigt. Genau dies hat das Verwaltungsgericht aber nicht getan, im Gegenteil: Mit einem Beschluss vom 2. Dezember hatte dessen 2. Kammer die Durchsuchung der von Ishaq bewohnten Räume in der Zionsgemeinde in der folgenden Nacht ab 2 Uhr nicht bloß genehmigt, sondern ausdrücklich angeordnet.
Und mit Hinweis auf diesen früheren Beschluss begründet das Gericht nun die Weigerung, die Überstellungsfrist zu verlängern. Schließlich hätten das Migrationsamt und Innensenator Mäurer nach der verhinderten Rückführung am 3. Dezember noch vier Tage Zeit gehabt, diese doch durchzusetzen, um die ursprüngliche Frist zu wahren. Selbst wenn sich Ishaq in den kirchlichen Räumen des Gemeindezentrums aufgehalten hätte, wäre dies "kein rechtliches Hindernis für die Überstellung gewesen", auch nicht bei Anwendung von Zwangsmitteln.
Dass die Innenbehörde darauf angesichts des erheblichen Widerstands verzichtete, ist für das Gericht unerheblich. Ishaq sei in seinem Kirchenasyl keineswegs "flüchtig" gewesen, wie es die EU-weit geltende Dublin-III-Verordnung aber für eine Fristverlängerung vorschreibe. Das Bamf und das Migrationsamt Bremen hätten ja immer gewusst, wo sich der Mann aufgehalten habe.
Bovenschulte gibt Mäurer Rückendeckung
Unterdessen stellte sich Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) vor seinen Senator: Die verbalen Angriffe auf ihn seien "weder in der Sache gerechtfertigt noch im Ton akzeptabel". Mäurer sei bei seiner Amtsführung an Recht und Gesetz gebunden: "Ihm kann kein Vorwurf daraus gemacht werden, verbindliche Entscheidungen des Bamf zu vollziehen." Bei der Überstellung von Flüchtlingen an einen anderen EU-Mitgliedsstaat, um dort das Asylverfahren durchzuführen, sei "in der Regel keine besondere Härte zu sehen", betonte Bovenschulte.
Am Vorabend der Bürgerschaftsdebatte äußerte sich der Regierungschef auch generell zum Kirchenasyl: "Es muss auf Einzelfälle beschränkt bleiben, in denen aus humanitären Gründen von der Durchsetzung geltenden Rechts abgesehen werden kann." Es dürfe aber nicht zum Regelfall werden. "Angesichts der auch im bundesweiten Vergleich außergewöhnlich hohen Fallzahlen bestehen berechtigte Zweifel, ob sich das Bremer Kirchenasyl derzeit tatsächlich auf solche Einzelfälle beschränkt."
* In einer früheren Version des Artikels haben wir von 19 Kirchenasyl-Fällen geschrieben, die evangelische, katholische oder freikirchliche Gemeinden betreffen. Der katholische Gemeindeverband teilte am Mittwoch mit, dass es keine Fälle in den Katholischen Gemeinden der Bistümer Hildesheim und Osnabrück im Land Bremen gibt.